Dienstag, 28. März 2023

TITANIC vor zehn Jahren: 4/2013

Ich vermag bis heute nicht auszudrücken, was genau an diesem Titel so komisch ist, aber ich liebe ihn:

In der äußerst "dichten" Aprilausgabe dominieren politische Themen (dazu gleich mehr), der Aufmacher hatte allerdings nur über Bande (pun intended) etwas mit einem Politiker zu tun, konkret mit CSU-Innenminister "Hans-Zeter Friedrich", der vor "Armutseinwanderern" gewarnt hatte: "Sie kommen aus Rumänien und Ungarn, haben es auf unser schönes Hartz IV abgesehen und verdrängen unsere heimischen Bettler. Zum Glück gibt es jetzt das 'Rote Kreuz ohne Grenzen'!" (S. 12ff.). Und als dieses zogen wir, in klischeehafter Kluft "fahrenden Volkes", durchs verschneite Frankfurter Westend und bereiteten der gehobenen Mittelschicht streunend, musizierend und im Müll wühlend reichlich Sorge.


Das war fraglos eine der spaßigsten Aktionen, an denen ich je teilgenommen habe. Eine Doppelaktion, muss man präzisieren: Zwischen den genannten Handlungen warfen wir nämlich vorgeblich offizielle Flugblätter ("Keine Werbung!") mit der Ankündigung einer "Woche des Bettelns", während welcher "registrierte Sammler" mit dem Segen einer "Referatsleiterin für Armutsfinanzierung" vorbeikommen würden, durch die Briefschlitze der hiesigen Villen und warteten nächsten Tags auf entgeisterte Rückfragen.


Das Feedback war beachtlich und kam nicht nur über Telefon und Anrufbeantworter direkt zu uns, sondern zeigte sich auch in Form einiger Pressemeldungen, nachdem ein besorgter Millionär das echte Rote Kreuz verständigt haben musste.

Der gewissermaßen zweite Aufmacher, ein Agenturfotoroman aus dem Hause Tietze/Rürup, behandelt gleich zwei Themen, die zehn Jahre später immer noch bzw. wieder von erhöhter Relevanz sind: 1.) die Allmacht von Amazon und 2.) der desolate Zustand der Bundeswehr. Verteidigungsminister Thomas de Maizière (immerhin er, wie auch H.-P. Friedrich, inzwischen ohne Bedeutung) forderte damals "eine funktionierende Armee, die jederzeit und überall einsatzfähig ist", haha!


Auch Peer Steinbrück machte unablässig von sich reden und verlieh in den Monaten vor der Bundestagswahl seiner Kanzlerschafts-Wahrscheinlichkeitskurve ein regelmäßiges Wellenmuster. So habe ich es zumindest in Erinnerung; gänzlich aus meiner Erinnerung verschwunden sind hingegen irgendwelche "Clown-Vergleiche", die ihm im März "unzählige Sympathiepunkte gekostet" haben. Zum Glück hat Stephan Rürup das Wahlkampf-Auf-und-Ab des SPD-Kandidaten in seiner Superhelden-Serie dokumentiert!


Anno 2023 ebenfalls aus dem Fokus geraten ist "der kleine, kompakte Mann mit dem trüben Blick, der immer Sachen sagt, die man genauso schnell vergißt wie ihn selbst": Hermann Gröhe, der nach Merkels Wiederwahl Gesundheitsminister werden sollte. Mark-Stefan Tietze unterzog den damaligen CDU-Generalsekretär einem "Bodycheck" in der gleichnamigen, eher seltenen, nichtsdestotrotz geschätzten Rubrik (vgl. Titanic 4/23).


In der Heftmitte findet sich ein Texttrumm, der so aufwändig und außergewöhnlich gesetzt ist, dass man darüber beinahe die schreiende Komik des Ergusses (von M. Ziegelwagner) zu würdigen verpasst. "Wer beim Durchblättern des neuen 'FAZ-Playboys' nicht künftig längere Stielaugen bekommt als König David beim Anblick Bathsebas in der Umkleidekabine, der ist impotent oder von der Gürtellinie abwärts tot. Leserbriefe darf er freilich trotzdem schreiben."


Eine weitere vergnügliche Doppelseite (22f.) bilden die "100 besten Gedanken", die wir, nachdem wir schon länger vorgehabt hatten, "so was mal zu machen", in etlichen Gemeinschafts- wie Solo-Brainstorming-Sessions gesammelt haben. Diverse Sätze sind einfach nur Tom-Hintner-Zitate, die isoliert stehend völlig sinnentleert, aber deshalb nicht minder lustig sind ("Große Schweine ja – aber kleine Schweine nicht!").


Weiteres Notierenswertes
- Der Egner-Umblätterer (S. 19/20) ist regelrecht vollgestopft – mit fünf farbigen Bildern, bei denen schwer zu entscheiden ist, ob sie einzeln oder als zusammenhängender Comic gelesen mehr Magie entfalten!
- Bei der Produktion dieser Ausgabe quollen die Büroräume geradezu über. Nicht nur beschäftigten wir gleich zwei Schülerpraktikantinnen (welche mehrere Auftritte haben, z.B. in der schönen Fotoreportage "Schwul und in der CDU", S. 58-60), sondern auch Moritz Hürtgen als Volontär, der hier u.a. über chinesische Hackerangriffe auf Familienbetriebe aufklärt ("Zunächst war nur der Kuchenkühlschrank infiltriert, der analoge Käsekuchen begann sich zu digitalisieren. Wenige Zeit später hatte das Schnüffelmodul auch die Croissantzentrifuge und den Nachbrenner lahmgelegt.").
- Wenn ich nur ein einziges Beispiel für Sebastian-Klug-Humor geben müsste, würde ich auf den Eckenbrüller auf der Titelseite von "55ff" verweisen. Darüber kann ich mich wieder und wieder beömmeln.
- Kardinal Joachim Meisner in "Der letzte Mensch" über Neu-Papst Bergoglio: "Franziskanus ist gleichsam die hartgekochte Version von Ratzinger. Sie wissen, der Mann hat unter Militärs gedient, ist zackige Umgangsformen gewohnt. Ihm reicht ein 'Ja, amen, wegtreten', wo Benedikt seinerzeit erst mal einen gregorianischen Shantychor einbestellt hat."
- Mindestens zwei Anspielungen auf den "Harlem Shake" gibt es in diesem Heft. Mein Gott, ist dieser Internet-Hype auch schon wieder zehn Jahre her ...

Schlussgedanke
Ich wollte an dieser Stelle einen pfiffigen Gedanken einfügen, der es nicht unter die "100 besten Gedanken" geschafft hat, aber beim Abgleich meines Dokuments mit der erwähnten Doppelseite stellte sich heraus, dass alle von mir notierten Zeilen verwendet wurden. Daher nur dies: Der streak an Glanznummern hält an, 2013 wird ein guter Jahrgang.

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