Dienstag, 30. Juli 2013

Gedankenexperiment

Wir leben bekanntlich im Remix-Zeitalter. Alles baut auf Bekanntem auf, jedes neue Kulturerzeugnis ist Anspielung, Re-Interpretation, Variation von vorher Dagewesenem. Selbst die Negation von Konventionen ist nicht möglich ohne Bezugnahme auf nämliche Konventionen (duh!). Was einerseits zu der Frage führt, womit man post-postmoderne Konsumenten überhaupt noch überraschen kann, andererseits zu folgender Gedankenspielerei, die an Mary's Room erinnern mag:

Man lasse einen Menschen aufwachsen und bilde ihn zum Kunstschaffenden aus – ohne ihm dabei irgendeine Art von Kunst zugänglich zu machen. Das heißt, dieser Mensch lernt zwar (etwa durch Vorträge oder hochtheoretische Literatur), was Kunst ist, aber jedwede Beispiele werden ihm vorenthalten. Am Ende kann er beispielsweise genau definieren, was einen Film ausmacht und welche geistigen und technischen Mittel nötig sind, um einen zu produzieren, aber er hat noch keinen einzigen Film gesehen. Nun ist die Frage: Wie würde ein Werk dieses Kunst-Kaspar-Hausers ausschauen? Um beim Beispiel Film zu bleiben: Was wäre das für ein Film? Lediglich eingefangener Alltag, eine Dokumentation? Oder das Gegenteil? Und was würde diese Versuchsperson zeichnen, wenn man ihr Pinsel, Farbe und Leinwand zur Verfügung stellte? Man weiß ja aus der Menschheitsgeschichte, dass die ersten Kunstwerke eben nicht ausschließlich Darstellungen der Wirklichkeit waren. Die Venus von Willendorf zum Beispiel ist bereits eine Variation der Wirklichkeit, ein Remix letztlich, und bei einigen der ältesten Götterstatuetten fragt man sich, wo da überhaupt das Vorbild lag.

Ist uns Kreativität womöglich ins Erbgut geprägt worden? Erkennen wir Kunst nur, wenn wir wissen, was Kunst ist? Was ist der Unterschied zwischen "schlechter Kunst" und "Nicht-Kunst"? Wäre ein Kunstbanause, der zum ersten Mal mit Warhol oder Tarantino konfrontiert wird, sofort begeistert oder würde er nur mit den Schultern zucken? Sind diese Fragen gar zu naiv? Soll ich aufhören? Okay.

Sonntag, 28. Juli 2013

Hitzethema Wasser

  • In der ZEIT war einmal zu erfahren, dass Henning Scherf fast ausschließlich heißes Wasser trinkt. Das hat er sich in China angewöhnt.
  • In Tahiti trinkt man gelegentlich Meerwasser als Delikatesse.
  • Leute, die zu viel Geld haben, können sich übers Internet abgefülltes Gletscherwasser aus der Arktis bestellen. Man lese auch mal die Produktbeschreibungen auf www.wasserdepot.de. (Wir reden hier von Wasser!) 
  • Der Slogan der Mineralwasser-Marke Rosbacher lautet "Rosbacher - dann löwt's!" Auf den Rosbacher-Flaschen ist nämlich ein Löwenkopf.  
  • In Wiesbaden gibt's über die ganze Stadt verteilt Quellen mit angeblich besonders heilsamem Wasser. Im sog. Kochbrunnentempel zum Beispiel kann man sich ein widerliches, über 60° C heißes Gesöff abfüllen, das u.a. Strontium und Arsen in bedenklichen Werten enthält. Gute Internet-Quelle (höhö) in diesem Zusammenhang: quellenatlas.eu
  • Wasserflasche aus Spanien:
  • Samstag, 27. Juli 2013

    ... und ein Buchtipp

    Lange Zeit habe ich einen Bogen um Stephen Kings Christine gemacht. "Ein amoklaufendes bzw. -fahrendes Auto als Horrormotiv? – Was für ein Supertrash", sagte die innere Stimme, die mich von der Lektüre abhielt. Dabei macht sich der titelgebende 1958er Plymouth Fury erst ungefähr in der Mitte des umfangreichen Wälzers (da bin ich gerade angelangt) selbstständig; ansonsten geht es, typisch für die frühen kingschen Werke, um teenage angst, Frust, Freundschaft und Zerbrechen derselben.
    Ich lese das Buch übrigens nicht, sondern habe die Hörbuchfassung gewählt, für welche David Nathan den Text kongenial eingesprochen hat. 

    Donnerstag, 25. Juli 2013

    Serientipp: Family Tree

    Das heimliche Comedy-Highlight des Jahres ist eine achtteilige britisch-amerikanische Co-Produktion von (u.a.) Christopher Guest. Ich muss gestehen, dass mir Christopher Guest bis vor kurzem gar nichts sagte, dabei ist sein Name immerhin mit zwei Filmen verbunden, die zumindest in den USA absoluten Kultstatus genießen: This is Spinal Tap und The Princess Bride. Für ersteres hat er das Drehbuch geschrieben, in zweiterem hat er mitgespielt. Auch in Family Tree hat Guest eine Rolle innerhalb des gut aufgestellten Ensemble casts, wobei die Hauptrolle Chris O'Dowd (The IT Crowd) einnimmt. O'Dowd spielt den 30jährigen Tom Chadwick, der im Nachlass seiner Großtante das Foto eines faszinierenden Vorfahren findet und schlagartig davon besessen ist, die Vergangenheit seiner Familie zu erforschen. 

    Gedreht ist Family Tree im Mockumentary-Style, der sich allerdings auf vereinzelte Talking heads beschränkt – von allzu häufigem In-die-Kamera-Schielen der Charaktere wie in ähnlichen Sitcoms wird man gnädigerweise verschont. Die Dialoge sind improvisiert, weshalb die größten Lacher nicht durch penibel durchkomponierte Witze erzeugt werden, sondern durch tatsächliche Situationskomik und die fein ausgearbeiteten Wesenszüge der Figuren. Wirklich jeder hat hier einen kleinen bis mittleren Spleen, sei es Toms Vater (Michael McKean), der süchtig nach grotesken Brit-Serien ist; dessen moldawische Frau, die sich das Gemüt eines Kindes bewahrt hat; oder Toms Schwester (Nina Conti), die ... aber das möchte ich nicht verraten (nur so viel: Über diese Figur habe ich buchstäblich Tränen gelacht). Richtig in Fahrt kommt die Serie ab der Hälfte, wenn die Handlung in die Vereinigten Staaten verlegt wird, denn die amerikanischen Verwandten und deren Bekannte können die britische Chadwick-Sippe in Sachen Exzentrik sogar noch überbieten.

    Alles in allem eine feine, kleine Show, der man zu gern eine zweite Staffel wünscht.

    Dienstag, 23. Juli 2013

    Kurz notiert: Impfpflicht

    Zur Abwechslung heute etwas Ernstes: Warum gibt es im Deutschland des Jahres 2013 einen beunruhigenden Anstieg von Fällen einer Krankheit, die eigentlich (fast) ausgerottet sein sollte? Antwort: weil die Zahl der Esoteriker, "Schulmedizin"-Leugner und anderer irrational denkender Alternativlinge ebenfalls steigt. Nun sind wir so weit, dass wir ernsthaft über eine Impfpflicht diskutieren, was mir als Demokratiefreund natürlich Bauchschmerzen bereitet. Menschen zu ärztlichen Eingriffen zwingen, das kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Aufklärung muss her. Immerhin haben sich viele Medien in den vergangenen Wochen der Masernproblematik angenommen. Für einen ersten Überblick siehe auch Psiram (wo man tendenziell eher für die Impfpflicht ist).

    Welche Wörter mit der Buchstabenfolge pfpf kennt ihr noch? Mir fallen ein: Sumpfpflanzen, Dampfpflaumen (eine Art gekochtes Obst?) und Napfpfennig (das könnte die umgangssprachliche Bezeichnung für eine Steuer auf Hundenäpfe sein).

    Samstag, 20. Juli 2013

    Die besten Webcomics

    Endlich mal wieder ein guter: Extra Fabulous Comics

    Die "stylistic mutation" ist hier besonders schön zu sehen, wenn man sich durch das Archiv wühlt. Süß: Der Künstler (Zach) entschuldigt sich sogar für seine ersten Comics. Updates sehr unregelmäßig.

    Donnerstag, 18. Juli 2013

    Mittwoch, 17. Juli 2013

    Fastfood und Verbrechen

    Lustiges Fundstück:


    Man sieht: Die Beziehung zwischen Grund- und Bestimmungswort in Determinativkomposita ist nicht nur im Deutschen manchmal vertrackt. Da aber besonders. Erinnern wir uns an das mediale Unwort "Döner-Morde": Morde, die von Dönern begangen wurden, könnten damit genauso gemeint sein wie Morde, bei denen Döner als Tatwaffe eingesetzt wurden. Gemeint war natürlich was ganz Anderes. Kennt man eigentlich den Erfinder dieses Schlagwortes? Und kann man dem vielleicht mal mit einem Sandwich eins auf die Rübe geben?

    Vor ein paar Monaten warben die Grünen übrigens mit ähnlich mehrdeutigen Plakaten für eine Diskussionsrunde in meiner Stadt. "NSU-Versagen" stand groß darauf. Auch wenn die intendierte Bedeutung hier schon eher klar ist (= Behördenversagen im NSU-Fall), könnte man das Wort auch als "Versagen des NSU" verstehen. 

    Die wahre Bedeutung des "Cheeseburger stabbing" ist leider die unlustigste der aufgeführten Möglichkeiten: "A Central Toledo teenager [...] was upset with his mother for not bringing him home a cheeseburger, along with the fast food she brought home for herself. The teen attacked his mother, stabbing her in the right arm with a large butcher knife. In the altercation, Vergie stabbed her son in the hand with another knife, according to authorities."


    Montag, 15. Juli 2013

    Rage against the Pfandmachine (a.k.a. The onion incident)

    "Wenn alle so denken würden wie ich, wäre die Welt ein besserer Ort." Hand aufs Herz, diesen Gedanken hatte sicher jeder von uns schon einmal. Und auch wenn es sich um eine anmaßende Umdeutung des Kantschen Imperativs handelt, glaube ich zumindest, in einigen ausgewählten Bereichen des Lebens ein bisschen mehr Recht zu haben als andere, konkret in der Frage, wann man seine Pfandflaschen wegbringen soll. Nämlich 1.) nicht erst, wenn das Volumen des Pfandguts das der Gepäckstücke für eine mehrwöchige Fernreise übersteigt, 2.) nicht unbedingt in den allerärgsten Stoßzeiten, sofern man mangels Beschäftigung eh rund um die Uhr Zeit hat, und 3.) nur, wenn man die Bedienung des Pfandautomaten schon einmal geübt hat.

    Die mittelalte Frau, die letzte Woche in der Riesenschlange des Rewe-Getränkemarktes vor mir stand, verstieß gegen mindestens zwei der drei angeführten Punkte. Immer wieder stopfte sie die Dosen und Flaschen aus ihren schier nimmervollen Beuteln in den Automatenschacht, ohne abzuwarten, bis das jeweils vorangegangene Objekt verschluckt war. Infolgedessen kam es wiederholt zum Anhalten des Fließbandes – wenn das Leergut nicht ohnehin retourniert wurde, weil es aus einem anderen Marktsortiment stammte oder gar nicht bepfandet war (sie schob tatsächlich ein Gurkenglas hinein). Irgendwann verweigerte das Gerät den Dienst. Erst ein pampig herbeigerufener Mitarbeiter ließ es wieder anspringen. Weil die Dame aber nichts gelernt hatte und auch nie in ihrem Leben was lernen wird, fuhr sie exakt so nachlässig und grob fort wie zuvor, so dass das Fließband bald erneut die Richtung wechselte. Der Frau entfuhr nun ein grotesker Fluch, ein unwirklicher Spruch, ein Ausruf, der mir Augen und Mund gleichzeitig aufstehen ließ. Sie rief (ich schwöre es): "Och Mann, was is'n das für'n Muschirasierer?!" 

    "Bitte was?", wollte ich schon fragen, doch ich wollte nicht für weitere Verzögerungen sorgen, denn der Automat zeigte sich für eine Weile gnädig und die Frau schwieg ... bis sie sich unvermittelt zu mir umdrehte und flüsterte: "Zwiebel." Ich glaubte, mich verhört zu haben, interessierte mich aber auch nicht für das wirre Gefasel der Kundin. Ohne weitere Zwischenfälle ging die Rückgabe über die Bühne. Als sämtliche Taschen und Säcke leer waren (die nicht angenommenen Pfandstücke ließ sie einfach auf dem Fußboden stehen), machte sich die Frau auf den Weg zur Kasse. Bevor sie losging, sagte sie erneut, diesmal deutlicher: "Zwiebel!" 

    Lange rätselte ich über dieses Wort. Wollte sie mir mitteilen, dass ich nach Zwiebeln roch? Das ist unwahrscheinlich, denn ich esse gar keine Zwiebeln. Wusste sie gar um meine Zwiebelphobie und wollte mich ärgern? Wie aber kann sie davon wissen? Gut, ich erzähle oft davon, aber nicht auf offener Straße, wo sie mich u.U. gehört haben könnte. Und warum sollte sie mich überhaupt darauf ansprechen? Oder war das gemurmelte "Zwiebel" nur eine Notiz an sie selbst? Ich werde es wohl nie erfahren. Vergessen werde ich es auch nie.

    Sonntag, 14. Juli 2013

    Das gute Zitat

    "Automatic paper towel dispensers are a solution to something that was never a problem.
    'Hey man, you know how people get a paper towel when they need one?' - 'Yeah, they just take their hand and pull it, and then they have one.' - 'Yeah, yeah ... we're gonna change that. We're gonna use lasers and make it really complicated.' - 'That seems pretty unnecessary.' - 'Extremely unnecessary, yeah, that's the idea. We're gonna work on the sinks, too.' - 'Oh yeah? What are you gonna do there?' - 'We're gonna get rid of the hot and cold handles and just have a sensor and let them conjur the water to get it out of the faucet, like a little rain dance with their hands.' - 'But then they won't be able to adjust the water temperature.' - 'Fuck 'em!'"

    --- Demetri Martin

    Freitag, 12. Juli 2013

    Albernes zum Wochenschluss

    Awwwwkwaaaard!

    Kennen Sie das auch? Sie sind auf eine Party eingeladen und gehen hin. Sie erscheinen dort relativ zeitig. Jedoch sind ausschließlich Leute da, die Sie überhaupt nicht kennen! Man stellt sich einander vor, wartet, aber auch im weiteren Verlauf kommen keine Ihnen bekannten Gäste. Es wird immer später, Sie können sich mit niemandem unterhalten. Die Hoffnung, dass noch wenigstens ein Ihnen bekannter Mensch eintrudeln könnte, schwindet mit jeder Sekunde. Irgendjemand fragt schließlich, wer Sie eigentlich eingeladen hat. Sie sagen, Sie wissen es nicht, Sie können sich an gar nichts mehr erinnern. Sie werden höflich, aber bestimmt zum Ausgang eskortiert. Verstört steigen Sie in das nächste öffentliche Verkehrsmittel. Sie fahren Richtung Stadtrand. Ausgedünnte Wohnlandschaften. Industriegebiet. Es ist dunkel. Noch zwei Stationen bis zur Endhaltestelle. Plötzlich sehen Sie: den Flughafen. Sie steigen aus, eine spontane Entscheidung, irrational. Sie gehen zum einzigen noch offenen Schalter. Es gibt Angebote für Last-Minute-Flüge. Einer geht in Kürze nach Mallorca. Sie schlagen zu. Wenig später sitzen Sie im Flieger. Noch ein wenig später betreten Sie die spanische Insel. Instinktiv und strammen Schrittes gehen Sie auf den Strand zu. Sie starren auf das Meer. Bald geht die Sonne auf. Jetzt erkennen Sie, dass das Wasser eine seltsame rötliche Trübung aufweist. Sie gehen näher heran. Des Rätsels Lösung: Quallenplage. Tausende rote Quallen schwimmen im Meer. Die Quallen tanzen. Und sie scheinen zu sprechen! Sie hören hin. Tatsache, die Quallen rufen Ihren Namen! "Wir kennen dich! Wir wissen deinen Namen. Mit uns kannst du ewig Partys feiern. Komm, komm zu uns, sei unser Quallenkönig!" Hypnotisiert steigen Sie ins tiefe Nass.
    Oh Mann, das passiert echt immer wieder! ;)))))))))))

    Mittwoch, 10. Juli 2013

    Dienstag, 9. Juli 2013

    Humorperlen aus dem Abreißkalender (3)

    Klausur, der Professor bemerkt, dass ein Mädel aus den hinteren Reihen von einem Zettel abschreibt. Er bewegt sich langsam auf sie zu, doch sie bemerkt es. Schnell versteckt sie den Zettel in ihrem Dekolleté. Er sagt zu ihr: "Als Ihr Professor darf ich das nicht, aber als Mann darf ich das!" und greift ihr in den Ausschnitt und holt sich den Zettel. Sie: "Als Ihre Studentin darf ich das nicht, aber als Frau darf ich das!", und scheuert ihm eine.

    Ich schwöre, dass dieser Witz auf dem Kalenderblatt vom 5. Juli 2013 stand! 2013, nicht etwa 1960, als sexuelle Belästigung noch zum guten Ton gehörte. Es lässt einem den Mund offen stehen, doch sollten wir froh sein über solche Witze und ihre Konservierung durch leicht verwirrte Abreißkalenderredakteure. Witze spiegeln oft ein Stück Zeitgeist wider, und dass es in Deutschland eine Zeit gab, in der ein Mann schlicht wegen seines Mann-Seins die Lizenz zum Busengrapschen hatte, darf nicht unter den Teppich gekehrt werden! 
    Dieser Witz ist übrigens nicht nur deshalb furchtbar, weil die "Pointe" darin besteht, dass eine Frau sich gegen eine Nötigungshandlung zur Wehr setzt, sondern weil er nicht mit wörtlicher Rede endet ("... und scheuert ihm eine"). Was für ein grober Regelverstoß gegen die Genrekonventionen! Ein recht seltener, aber ich möchte wetten, dass ich im Rahmen dieser Reihe noch weitere Beispiele präsentieren kann.

    Montag, 8. Juli 2013

    Neu: Automatische Metalkritik

    Schon seit längerem gärt in mir die Idee, nach dem Vorbild der "Automatischen Literaturkritik" von Riesenmaschine eine automatische Metalkritik zu entwickeln. Und wann damit anfangen, wenn nicht jetzt?!

    Anleitung: Metalband auswählen, Punkte abhaken, rumrechnen, auswerten.

    Pluspunkte:
    + Stücke mit mehr als 8 Minuten Länge sind die Regel
    + Eigentümliche Distributionsweise (Alben auf 1000 Stück limitiert; Vertrieb nur auf MC; etc.)
    + Screamende Sängerin(nen)
    + Texte in ausgestorbener oder fiktionaler Sprache (Altisländisch, Sindarin)
    + Banjos
    + Leadsänger ist Vertreter obskurer Weltanschauung (Minuspunkt bei Nationalsozialismus)
    + Doublebass jenseits von Gut und Böse
    + Cleaner Gesang an unpassenden Stellen
    + Unironisches Corpsepaint

    Minuspunkte:
    - Englische Texte bei nicht-englischer Muttersprache
    - Bandmitglieder bauen Körperflüssigkeiten in ihre Bühnenshows ein
    - Durchschnittsalter der Fans ist 14
    - Maultrommeln
    - Missglückte experimentelle Ausflüge in andere Genres (etwas vager Punkt, ggf. ausformulieren)

    Das sind meine ersten Ideen, die Liste ist sicher noch ausbaufähig. Input nehme ich gerne entgegen.

    Sonntag, 7. Juli 2013

    Der gute Sonntagsfragebogen

    Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hat letzte Woche ihr gesamtes Feuilleton mit Fragebögen zur "kulturellen Praxis" gefüllt, bestehend aus je 30 Fragen, die von 16 Politikerinnen und Politikern beantwortet werden sollten. Und auch wurden. Als ich mit der – nicht langweiligen – Lektüre fertig war, fragte ich mich, a) ob Politiker nicht doch im Herzen ganz normale Menschen sind, und b) wie ich wohl geantwortet hätte. Punkt b) soll an dieser Stelle geklärt werden. Das könnte (für mich wie für euch) interessant sein und erspart mir das Nachdenken über irgendwelche "Themen".

    1. Welches Buch nehmen Sie in die Hand, wenn Sie nicht mehr weiterwissen?
    Die Wikipedia (wobei die laut Wikipedia kein Buch ist; war aber auch Teil der Antwort von K. Göring-Eckardt).

    2. Gab es jemals einen Film, der Sie so aufgewühlt hat, dass Sie dachten, Sie müssten sofort Ihr Leben verändern?
    Nein, aber die Verfilmung von "Die Wolke" hat mich zum Atomkraftgegner gemacht.

    3. Bleiben Sie im Theater immer bis zum Schluss, auch wenn es Sie schrecklich langweilt?
    Klar, das gebietet der Anstand.

    4. Gucken Sie eher zur Entspannung fern oder um etwas zu lernen?
    Wenn, dann eher zur Unterhaltung. Oder um mich beim Wäscheaufhängen nicht ausschließlich aufs Wäscheaufhängen konzentrieren zu müssen.

    5. Welche Fragen bei "Wer wird Millionär?" finden Sie schwieriger: die ersten oder die letzten vier?
    Die letzten vier (das machen die extra so, weil's da um höhere Gewinnsummen geht).

    6. Welches Orchesterinstrument würden Sie gerne spielen?
    Pauke. 

    7. Mit welchem Song können Sie bei Karaoke punkten?
    Ich habe, glaub ich, noch nie gekaraokt.

    8. Finden Sie evangelische Kirchentagslieder auch so schrecklich?
    Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich welche kenne. Zumindest fand ich das, was wir im Reli-Unterricht gesungen haben, nicht gänzlich unerträglich.

    9. Haben Sie ein Lieblingsgedicht - wenn ja, welches?
    "The Raven". 

    10. Ihr Lieblingscomic in der Jugend?
    Carl-Barks-Comics. 

    11. Welches Buch haben Sie zuletzt verschenkt?
    Vergessen.

    12. Ist Amazon gut oder böse?
    Als Kunde finde ich es spitze. :(

    13. Haben Sie etwas von Rainald Goetz gelesen?
    Nein.

    14. Was würden Sie eher retten - Opel oder Suhrkamp?
    Ach, die retten sich schon selbst.

    15. Haben Sie schon einmal einen Song von Bushido gehört?
    Erstaunlicherweise nicht.

    16. Bis zu Ende?
    s. 15

    17. Welcher ist Ihr Guilty-Pleasure-Popsong, bei dem Sie immer lauter stellen, wenn er im Autoradio kommt, auch wenn es eigentlich gegen jeden guten Geschmack geht?
    Kann die Frage bitte noch länger sein? Also: Ich höre so gut wie nie (Auto-)Radio, würde aber bei Liedern von Empire of the Sun lauter stellen. (Wobei: Werden die im Radio gespielt? Und gelten die als "gegen jeden guten Geschmack"?)

    18. Von welcher US-Fernsehserie haben Sie mindestens eine ganze Staffel auf DVD gesehen?
    Zuletzt "Boardwalk Empire".

    19. Haben Sie schon mal Robert de Niros Originalstimme gehört?
    Ja. Seine deutsche Synchronstimme gefällt mir aber fast besser.

    20. Für welchen Star schwärmen Sie oder haben Sie einmal geschwärmt?
    Da gab und gibt es einige. Mein erster Schauspielerinnenjugendschwarm war Claire Danes in "Willkommen im Leben" ("My so-called Life").

    21. Welches war die erste Zeitung, die Sie in Ihrem Leben abonniert haben?
    Eine Tageszeitung hatte ich noch nie im Abo. Meine erste abonnierte Zeitschrift war das Time Magazine (J. Trittins übrigens auch).

    22. Aus welchem Grund haben Sie dieses Abo gekündigt?
    Bin mit dem Lesen nicht mehr hinterhergekommen.

    23. An einem Samstag ohne Termin beim Frühstück: Welchen Teil der Zeitung lesen Sie als Erstes?
    Während des Frühstückens kann ich nicht Zeitung lesen, zu umständlich. Ansonsten: den Anfang zuerst, das Ende zuletzt, bei Überblättern von Sport und Wirtschaft und ausführlicher(er) Lektüre von Fötong und Medienteil.

    24. Benutzen Sie E-Reader?
    Ein Reisen ohne Kindle ist möglich, aber sinnlos.

    25. Was hängt bei Ihnen zu Hause über dem Sofa?
    "Die Visionen des Ezechiel" von Gustave Doré.

    26. Welcher lebende Künstler dürfte Sie gerne mal porträtieren?
    Ich möchte bitte nicht porträtiert werden.

    27. In welchem Alter haben Sie aufgehört, Ikea-Möbel zu kaufen?
    Warum sollte man damit aufhören?

    28. Halten Sie es für eine Fehlentscheidung, dass Hedi Slimane beim Markenzeichen von Yves Saint Laurent, YSL, auf das Y verzichtet?
    Davon habe ich nichts mitbekommen, meine aber, dass man starke Markennamen nicht ändern sollte.

    29. Überhaupt, interessieren Sie sich für Mode?
    Nein.

    30. Was wäre ein guter Titel für Ihre Autobiographie?
    Beim Aufstehen ist mir heute eingefallen: "Hans Dampf in allen Nudeln". Gibt's laut Google sogar noch nicht.

    Wow, das hat jetzt wirklich eine Stunde gedauert ...

    Freitag, 5. Juli 2013

    Kannibalismus, durch die historische Lupe betrachtet

    Das ist echt komisch: Der Artikel "Kannibalismus" ist mittlerweile der meistgelesene auf diesem Blog, und bei den Suchanfragen, die auf Kybersetzung.net führen, liegt "Kannibalismus" auf Platz 2. Das offensichtliche Interesse an diesem Thema möchte ich hiermit stillen. Bei meiner Recherche (= Rumgoogelei) bin ich auf die kostenlos bei Google Books verfügbare Monographie "Von Menschenfressenden Völkern und Menschenopfern" gestoßen (Friedrich Ludwig Walther, Hof: 1784). Die ersten paar Seiten des alten Schmökers habe ich durchgesehen, und ein paar der darin verzeichneten Beispiele für Kannibalismus gebe ich an dieser Stelle wieder.

    Da ist etwa der Fall des Schiffs "Peggy", das 1766 in London von einer Reise zurückkehrte, und dessen Captain Folgendes unter eidesstattlicher Versicherung erzählte. Das Schiff war Ende 1765 auf dem Weg von den Azoren nach New York leckgeschlagen und konnte fortan nur mit stark verringerter Geschwindigkeit fahren, weshalb es zu Lebensmittelknappheit kam.

    "Eine Kazze und zwo Tauben, die einzigen noch lebendigen Thiere an Bord, wurden izt geschlachtet und aufgetheilt. Der Capitaen erhilt den Kazzenkopf. Nach diesem krazten sie die Muscheln ab, die sich oberhalb des Wassers an das Schiff angesezt hatten. So schwanden nach und nach 16 kummervolle Tage […] Indessen hatten sie alle Knöpfe von ihren Jakken, Licht, Oehl und das Leder von den Pumpen aufgegessen und noch konnten sie kein Schiff erblikken. Sie zogen also das Todes-Loos. Es traf ihren einzigen Neger, der auch sogleich erschossen und in Stükken zerhauen wurde. Dreizehn Tage lang asen sie Negernfleisch, aber nunmehro gieng es zu Ende und nach einem abermaligen zweitägigen Fasten, wurde zum zweitenmahle gelost. Das Loos traf einen Matrosen, den sie alle sehr lieb hatten."

    Dem Auserwählten wird eine Gnadenfrist gesetzt, binnen welcher die Mannschaft – o göttliche Fügung! – auf ein anderes Schiff trifft, das sie errettet. So musste am Ende allein der "Neger" dran glauben (ja ja, "Losziehung", schon klar); wobei man dem Kapitän zugute halten muss, dass er dieses grausame Menschenopfer hinterher freiwillig eingestanden hat (Er hätte ja auch sagen können: "Och, der ist ertrunken."). Ein weiteres Exempel wird aus dem Herzen Deutschlands berichtet: 

    "Im Jahr 1772, da Teutschland Miswachs hatte und vile Provinzen Hunger leiden musten, ward aus den Boineburgischen Gütern, an der Grenze von Thüringen (im Fuldaischen) ein Hirte eingezogen, der durch Hunger gezwungen, einen iungen Burschen erschlagen und gefressen, auch verschiedene Monate lang in gleicher Absicht blos des Wohlschmaks wegen, zu morden fortgefahren hatte. Er sagte im Verhöre aus, daß ihm das Fleisch iunger Leute vorzüglich gut geschmekt habe."

    Dann geht es endlich nach Afrika:

    "Odoardo Lopez aus Benevento in Portugal, der 1578 und 1589 als Religionslehrer sich einige Jahre in Congo in Süd Guinea aufhielt erwähnt der Ansiger, (Anziker) Völker [...] als einer grausamen Menschenfressenden Nation. Sie sind von einem wilden kriegerischen Carakter und fressen das Fleisch nicht etwa ihrer getödeten Feinde oder Kriegsgefangenen, sondern ihrer eigenen Sklaven / Freunden, und Anverwanden und handeln mit ihrem Fleische als mit einem Lebensmittel. Auf ihren Märkten wird Menschenfleisch, wie bei uns Rind- oder anders Thier-Fleisch verkauft. Sie verkaufen ihre Sklaven an Mezger um von diesen geschlachtet zu werden." [Fußnote: Bemerkenswert, dass die von mir an anderer Blogstelle dokumentierte "um zu"-Schlamperei bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert zu finden ist!] "Vile suchen eine Ehre darinnen fuer den Gaumen ihrer Beherrscher zu sterben und für diese aus ihrem eigenen und ihrer gemästeten Sklavenfleische wohlschmekkende Gerichte zubereiten zu lassen."

    Mit "Odoardo Lopez" ist Duarte Lopes gemeint, der als Abgesandter des Heiligen Stuhls im Königreich Loango unterwegs war (dazu vielleicht ein andermal!). In der Tat findet sich auf der Karte der Region von ca. 1630 ein Eintrag "Anzicana, cujus populi Anthropophagi" ("... dessen Bewohner Menschenfresser sind"); ich konnte jedoch nichts Näheres über dieses sagenhafte Volk herausfinden. Genau hierin liegt auch das Problem: Wir müssen uns auf die Berichte von einzelnen Reisenden europäischer Provenienz verlassen, die stets einem gewissen Bias unterworfen waren. Selbst Walther war sich dessen bewusst, wie aus einem hübschen Halbsatz hervorgeht:

    "Wäre Lopez der einzige Augenzeuge der dies von ihnen erzählte, so hätte man einem wahrscheinlichen Grund in seine Erzählung Mistrauen zu sezzen, da die Missionare nicht immer die hellesten Köpfe und glaubwürdigsten Leute sind; aber so erwähnen fast alle Reisebeschreiber der Anziger als der grimmigsten Menschenfresser." 

    Kolonialphantasien allenthalben? Man weiß es nicht. Schaurig-vergnüglich ist solche Kunde von anno dazumal trotzdem zu lesen. Fortsetzung folgt.

    (Wikimedia Commons)

    Mittwoch, 3. Juli 2013

    Farben

    Manche Menschen, die glauben, sich mit so etwas auszukennen, behaupten, Weiß und Schwarz seien keine Farben. Ja, was sollen sie denn sonst sein? Gerüche? Geräusche? Werkzeuge?  

    Manche Menschen, insbesondere Gefährten der Gothic-Bewegung, lieben die Farbe Schwarz. Auf Weiß oder Bunt verzichten sie gänzlich. Sämtliche ihrer Kleidungs- und Einrichtungsstücke müssen so sein: schwarz. Mehr fällt mir zu diesem Thema auch nicht ein.

    Manche Menschen wissen, wie Farben entstehen und auf welche Weise wir sie wahrnehmen. Alles beruht auf Lichtbrechung, erklären solche Experten.

    Manche Menschen ordnen Dinge nach der Farbe. Ein Schubfach ist gefüllt mit blauen Socken, ein anderes enthält pinkfarbene Schnüre. Wollen diese Menschen so ihr Leben in geregelte Bahnen bringen?

    Manche Menschen kennen mehr als einhundert verschiedene Farben. Bei denen ist ein Roller nicht einfach nur rot, sondern entweder zinnober-, scharlach-, karmin-, tizian- oder fuchsrot. Auch ich kann mir neue Farbtöne ausdenken: sumpf, poulardenbraun, algerien, fencheltee, busenfarbig und grälz.

    Mensche Manchen können nicht einen Satz schreiben, ohne einen Fehler zu machen.

    Manche Menschen sind so schrecklich, dass man glattweg genötigt wird, ein Misanthrop zu sein. Aber welche Alternativen gibt es denn zum Menschen? Kakteen? Na schönen Dank!

    (verfasst am 29.02.2004)

    Dienstag, 2. Juli 2013

    Bye-bye, Google Reader! Welcome, Digg Reader!

    Nun ist es so weit: Der Google Reader ist nicht mehr. Er hat aufgehört zu existieren. This is an ex-reader. Ich finde nach wie vor, dass die Einstampfung dieses praktischen Tools die irrationalste Entscheidung war, die Google je getroffen hat, aber immerhin wird einem jetzt, wenn man die Reader-Startseite aufruft, ebendort ein Link zu einer umfangreichen Alternativensammlung präsentiert. 

    Einige Alternativen hatte ich ja bereits getestet und für durch die Bank weg unbefriedigend befunden. Heute kann ich zum Glück eine eindeutige Empfehlung aussprechen: Der Digg Reader ist die Wahl der Stunde. Die alten Google-Reader-Feeds lassen sich problemlos importieren und nach Wunsch in Unterordnern bzw. Kategorien verteilen. Die Optik ist angenehm simpel: links die Feedliste, rechts die Postings, die sich auch als vollständige Artikel (nicht bloß als Teaser) darstellen lassen. Einige User bemängeln die etwas großzügigen Weißräume um die Beiträge herum, doch das dürfte nur auf sehr kleinen Bildschirmen wirklich stören. Eine App für iOS-Geräte ist bereits verfügbar, die Android-App soll demnächst folgen. In der Zeit, als ich den Google Reader und den Digg Reader parallel verwendet habe, ist mir aufgefallen, dass die Updates bei letzterem mit ein wenig Verzögerung eintrudelten. Seltsamerweise werden die Aktualisierungen meines Blogs nicht angezeigt. Vielleicht liegt das daran, dass ich meine neuesten Posts immer erst auf der tatsächlichen Blogseite betrachte und diese somit als "gelesen" markiert werden, weswegen sie gar nicht erst in den Reader eingespeist werden. Kann mir das jemand bestätigen? Zudem lässt sich ein einzelnes Blog aus meiner alten Liste gar nicht hinzufügen. Nun, hoffen wir, dass es sich dabei um bald überstandene Kinderkrankheiten handelt und dass wir noch viel Spaß mit unserem neuen Helferlein haben werden.