Dienstag, 30. März 2021

Neues von der Altenwelt

Anfang des Monats starb 103-jährig der deutsche Typograf und Grafiker Helmut Matheis. Ich las seine Vita und war begeistert, zu erfahren, dass mit ihm wohl einer der Letzten gegangen ist, die noch vor dem großen Zäsurjahr 1945 ein Studium abgeschlossen haben. Ich fragte mich, ob wohl noch Menschen unter uns weilen, die im "Dritten Reich" promoviert haben! Das hat mich an Hildegard Hamm-Brücher stets fasziniert. Wenig später starb kurz vor seinem 100. Geburtstag der Chemiker Siegfried Hünig, der tatsächlich wie seine Jahrgangsgenossin Hamm-Brücher ein "Turbo-Studium" hingelegt hatte und 1943 seinen Doktor machte. Bei dieser Gelegenheit soll auch die amerikanische Kinderbuchautorin Beverly Cleary (* 12.4.1916, † 25.3.2021) geehrt werden, die zwei Bachelor-Abschlüsse erlangte, noch bevor ihr Land in den Zweiten Weltkrieg eintrat. Als wäre das alles noch nicht mind-blowing genug gewesen, machte mich via Twitter jemand auf Renée Simonot aufmerksam, die noch lebende 109-jährige Mutter von Catherine Deneuve, die ihr Schauspieldebut im letzten Jahr des Ersten Weltkriegs hinlegte!

Heute habe ich gelernt, dass es für solche aufregenden Epochenverbindungen einen englischsprachigen Spezialausdruck gibt: "The Great Span". Das renommierte Blog kottke.org sammelt Beispiele für derartige Links, etwa den Auftritt eines 96-jährigen Augenzeugen der Lincoln-Ermordung in einer TV-Gameshow von 1956.

Sonntag, 28. März 2021

Die Tee-Zeremonie

"In der Coronapandemie haben die Briten die Liebe zum Tee wiederentdeckt", lese ich gerade. "Neun von zehn Menschen im Königreich gönnen sich nun regelmäßig ein Tässchen – zunehmend auch jüngere." Das erstaunt mich insofern, als ich geschätzt hätte, dass sich bisher zehn von zehn Menschen im Königreich mindestens einmal pro Tag a cuppa gönnen. Sofern zeitgenössische britische Serien und Filme die Lebenswirklichkeit widerspiegeln, ist Tee mehr als ein Genussmittel für private Mußeminuten, er ist flüssiger sozialer Kitt. Selbst wenn deine verfeindete Nachbarin wutentbrannt vor der Wohnungstür aufmarschiert, um sich über dies und das zu beschweren, gebietet es der Anstand, sie auf eine Tasse Tee hereinzubitten. Wenn nun in einer Filmszene jemand so ein Teetrinkangebot ablehnt, ist das ein Symbol dafür, dass die letzten Brücken eingerissen sind. Fernsehklischee, klar.

Ich selbst trinke jeden Tag Tee, obwohl ich dem Inselvolk nicht staatsbürgerlich, sondern nur mit dem Herzen verbunden bin. Beliebter Schwarztee wie Earl Grey kommt mir allerdings nicht in den Pott. Für mich kann es gar nicht postmodern und albern genug sein, weswegen ich im Supermarkt vergnügt kichernd zu Sorten wie denen der aktuellen "fabelhaften" Edition von Meßmer greife: "Zauber der Zwerge" (Holunder-Waldmeister) oder "Fantasie der Feen" (Himbeer-Vanille).

Freitag, 26. März 2021

Bean there, done za

Folgendes Rezept möchte ich allen empfehlen, die meinen, in Sachen Pizza schon alles ausprobiert zu haben. Keine Sorge, die Machart ist nicht ungewöhnlich um der Ungewöhnlichkeit willen, affig oder italienverhöhnend gar! Die hier vorgestellte, angeblich ligurische Variante ist im Gegenteil ziemlich bodenständig, wenn man näher drüber nachdenkt, ja regelrecht naheliegend sowie reduziert. Fast schon zu mild ist der Belag für meinen Geschmack, enthält er doch zwei Käsesorten, die ich für die fadesten auf dem Molkereimarkt halte. Doch bevor ich mich in noch mehr widersprüchlichem Geschwätz verliere, in medias res, wie man in Italien sagt(e)!

Man koche 150 Gramm grüne Bohnen für eine gute Viertelstunde in Wasser auf. Währenddessen vermenge man 150 Gramm Mozzarella mit 150 Gramm Ricotta sowie einem Schluck Milch in einem Standmixer o.ä. und schmecke die Mischung mit Salz und Pfeffer ab. Dann rollt man den (gekauften Fertig- oder selbstgemachten) Pizzateig aus und bestreiche ihn mit grünem Pesto. Man kann gern veganes nehmen, denn genug Käse kommt ja eh hinzu, nämlich indem man gleich die Käsemasse darauf verteilt. Ganz oben werden die blanchierten Bohnen ausgelegt. Backen, rausnehmen, ggf. mit Olivenöl beträufeln und nochmals salzen und pfeffern, fertig!

Mittwoch, 24. März 2021

Meine zehn zuletzt gesehenen Filme

John Wick
Wie damals im Fall von Liam Neesons "Taken"-Franchise erschließt sich mir der Hype um Keanu Reeves' Rache-Vehikel kein Stück. "John Wick" kann zwar mit einem namhaften Cast und, so man auf derlei steht, ordentlich choreographierten Kampfszenen aufwarten, doch scheint mir, dass hier in erster Linie der sympathische Keanu Reeves abgekultet werden sollte und ansonsten "style over substance" als Credo galt. Tut mir leid, aber ein Actioner um einen ehemaligen Attentäter sollte anno 2014ff. ein bisschen mehr bieten als Schauwerte, nämlich entweder eine Schippe Herz und Menschelei ("Mann unter Feuer", 2004) oder komplett durchgeknallte Comic-Brutalität ("Crank", 2006). "John Wick" geht weder in die eine noch die andere Richtung und bleibt letztlich ein vergessenswertes Martial-Arts- und Baller-Stück, das sich allzu geleckt von Szene zu Szene schleppt.

The Big Wave Project
Um meine wasserbezogene Angstlust zu befeuern (haha), habe ich mir diese Sportdoku über Monsterwellenreiter besorgt. Mir gehen Surferdudes mit ihrer Attitüde und ihrem Lifestyle gehörig auf den Keks ("A Band of Brothers" lautet der Untertitel – ugh!), aber die Stars sind hier ohnehin die Wellen. Deren gigantischsten findet man vor der Küste Portugals, von wo die meisten der beeindruckenden Videoaufnahmen stammen. Die Männchen auf ihren Brettern braucht's eigentlich gar nicht.
Hach, ich möchte mich sofort an einem lauschigen Aussichtspunkt an der Küste platzieren und stundenlang die gewaltigen Meeresmassen beobachten. Auch geologisch gibt es einiges zu bestaunen (googelt mal "Eddystone Rock Australia").

Porträt einer jungen Frau in Flammen
Landschaftlich eher karg ist die Insel in der Bretagne, auf die es im 18. Jahrhundert eine junge Malerin (Noémie Merlant) verschlägt. Karg ist auch das aufspielende Ensemble; neben besagter Malerin stehen nur ihr Modell (eine ehemalige Klosterschülerin)* sowie gelegentlich dessen Mutter und das Hausmädchen im Mittelpunkt der ruhig erzählten Geschichte. Ein Ausstattungsspektakel darf man ebenfalls nicht erwarten. Ich hatte mich auf opulentes Kostümkino eingestellt, aber ich schätze, die Reduktion ist wie bei den genannten Punkten Mittel zum Zweck. Hätte von mir aus trauriger sein können.
* Klammern statt Kommata gesetzt, um hervorzuheben, dass die drei Wörter eine Apposition sind und nicht zu der Aufzählung gehören

Greyhound
Zurück ins Wasser: Der Direct-to-Stream-Release mit Tom Hanks als U-Boot-Commander im Zweiten Weltkrieg hätte auf der großen Leinwand vermutlich mehr Eindruck geschunden, wobei epische Seeschlachten und reißerische Effekte nur einen geringen Teil von "Greyhound" ausmachen. Vorder-, um nicht zu sagen untergründig verfolgen wir die nervenaufreibenden, realistisch dargestellten militärischen Routinen und Improvisationen der Mannschaft und schauen in die Psyche eines Kommandanten am Limit. Das ist nicht unspannend, obschon ich ahne, dass der von mir bisher nicht gesehene Klassiker "Das Boot" diesbezüglich Maßstäbe gesetzt hat.
Kurioses am Rande: Der Deutsche Thomas Kretschmann spielt ein Mitglied der sog. Grauen Wölfe, ohne dass man ihn zu Gesicht bekommt (er meldet sich lediglich über Funk). In der deutschen Fassung bekommt man ihn nicht mal zu Gehör, weil Kretschmann von Dietmar Wunder synchronisiert wird.

Belushi
Ein langes Feature über den zu früh verstorbenen Komiker John Belushi mit vielen erhellenden Einblicken in die Anfangszeit von "Saturday Night Live". Dabei ist mir aufgefallen, dass ich keinen einzigen Spielfilm mit Belushi gesehen habe! (In einer alternativen Welt hätte er einen der "Ghostbusters" gespielt.) Die Blues Brothers fand ich immer lahm, aber zumindest "National Lampoon's Animal House" sollte ich mal nachholen.

Boston (OT: Patriots Day)
Eine Rolle, für die nur Mark Wahlberg in Frage kommt: ein raubeiniger, bodenständiger Polizist, der in die Geschehnisse um den Boston-Marathon 2013 hineingerissen wird. Ich hatte wenig Lust auf eine Fiktionalisierung des schrecklichen Anschlags, aber die positiven Kritiken haben mich überzeugt, und ich möchte mich ihnen anschließen. Peter Berg vermag es, einen mitzureißen, wie es bei vergleichbaren Stoffen höchstens Paul Greengrass kann. Das Action-Thriller-Drama (?) ist spürbar der Realität verpflichtet und hält sich nicht über seine zwei Stunden hinweg mit den Ereignissen des Patriots' Day auf, sondern zeichnet präzise die folgenden Ermittlungen und die atemraubende Täterjagd nach – ein aftermath, von dem ich kaum was wusste! 

The Gentlemen
Nicht zu hoch waren auch meine Erwartungen an Guy Ritchies jüngste Gangster-Kapriole, nachdem mich der "Snatch"-Macher mit "Revolver" und "Rocknrolla" ziemlich gelangweilt hat. Entwarnung: "The Gentlemen" ist brillant! Nicht nur die Dialoge (ich muss es leider schreiben: Unbedingt im Original genießen!) sitzen perfekt, auch die sie Vortragenden sind toll gewählt. Der nie wirklich enttäuschende Matthew McConaughey hat dabei nicht einmal die Nase vorn; über den grünen Klee zu loben sind hier vorrangig Colin Farrell und Charlie Hunnam, von deren Auftritten man gar nicht genug bekommen kann. Geadelt wird das wieder zutiefst britische Ganovenstück von Hugh Grant, der seinen permanent zwischen cockiness und Peinlichberührtsein schwankenden Habitus perfektioniert hat.

Die Mörder sind unter uns
Allein aus historischen Gründen sollte man dieses Kriminaldrama von Wolfgang Staudte und mit der Knef gesehen haben. Es handelt sich um die erste deutsche Filmproduktion nach dem Kriegsende (gedreht in der sowjetischen Besatzungszone, noch vor Gründung der DEFA), und diese traut sich mehr Unangenehmes zu thematisieren (allein der Titel!) als so mancher später entstandene Streifen über die NS- und/oder Trümmerzeit. Wenn man durchgeschnauft hat, sollte man nachlesen, wie das ursprünglich vorgesehene Ende aussah.

Donnie Brasco
Kein Pflichtprogramm ist meiner bescheidenen Meinung nach diese schmutzige Mafia-Saga mit Al Pacino. Bemerkenswert immerhin: Paul Giamatti in einer frühen Mini-Rolle und – im negativen Sinn – gewisse Szenen mit Johnny Depp, die 2021 einen unguten Beigeschmack haben.

Die Braut des Prinzen (OT: The Princess Bride)
Es gibt eine Reihe amerikanischer Achtzigerjahre-Filme, die im Produktionsland einen nahezu unerklärlichen Kultstatus besitzen, deren Namen bei uns jedoch irgendetwas zwischen Achselzucken und Ratlosigkeit hervorrufen. "The Breakfast Club" gehört dazu, "Say Anything", "Top Gun", sicher auch der oben genannte "Animal House" und eben die Märchenkomödie "The Princess Bride". Einige Zitate daraus sind zum Allgemeingut geronnen ("Inconceivable!"; "My name is Inigo Montoya ..."), und Adventurespiele-Fans älteren Semesters werden sich daran erinnern, dass ein Teil der berühmt-berüchtigten "Kings Quest"-Reihe "The Princeless Bride" hieß (in Deutschland "Die prinzlose Braut", na ja).
Sollte ich benennen, was genau daran so kultverdächtig ist, ich könnte nicht mit dem Finger drauf zeigen. Vielleicht funktionieren die Zitate auf deutsch einfach nicht so gut. Tatsächlich sehr gediegen ist die Besetzung, obwohl ich die meisten Schauspieler gar nicht erkannt habe: Mandy Patinkin (jung und bartlos), Billy Crystal (kein Gesicht vor Augen), Carol Kane (stark verkleidet, aber mit Trademark-Exzentrik wie in "Kimmy Schmidt")! Der Hauptdarsteller kam mir sofort bekannt vor, aber ich musste hinterher nachschlagen: Es ist Cary Elwes, der ja erst 2004 mit "Saw" seinen (zweiten) Durchbruch haben sollte. Dass André the Giant mitspielt, hatte ich bereits gewusst. An der Regie von Urgestein Rob Reiner, Sohn von Carl Reiner, gibt es nichts zu mäkeln. (Reiners rezenteste Arbeit, die ich gesehen habe, ohne zu wissen, dass sie von ihm ist, war übrigens "Being Charlie".)

Montag, 22. März 2021

Lieder, die wir sangen

"Wegen des Dopingskandals ist Russland bei den beiden kommenden Olympischen und Paralympischen Spielen sowie Weltmeisterschaften kein Start unter russischer Flagge und mit russischer Hymne erlaubt", notierte "Spiegel online" vergangene Woche am Rande. "Da Sportler an den Veranstaltungen unter bestimmten Voraussetzungen als 'neutrale Athleten' teilnehmen dürfen, sollte das im Zweiten Weltkrieg populär gewordene Lied 'Katjuscha' statt der Hymne gespielt werden. Doch der [Internationale Sportgerichtshof] Cas verweigerte seine Zustimmung."

Schon während ich die Überschrift zu dieser skurrilen Meldung las, schossen mir die ersten Zeilen des genannten Liedes durch den Kopf: "Leuchtend prangten ringsum Apfelblüten, still vom Fluss zog Nebel noch ins Land. Durch die Wiesen ging hurtig Katjuscha, zu des Flusses steiler Uferwand." Die kannte ich nämlich noch aus dem Musikunterricht. Oft genug habe ich meine Schulzeit in Bausch und Bogen verdammt, aber dass die musikalische Erziehung zu kurz gekommen wäre, kann ich nicht behaupten. Tatsächlich gehörte die Musikstunde nicht selten zu den wenigen Lichtblicken einer Schulwoche. Unsere Lehrerinnen haben uns so viel zum Singen gezwungen animiert, dass wir gar nicht anders konnten, als Begeisterung für diese Kulturtechnik zu entwickeln.

Letztes Jahr habe ich, als kleines Experiment, versucht, mich an alle Lieder zu erinnern, die wir von Klasse 5 bis 12 geträllert haben, und die Liste, die dabei herauskam, ist beachtlich:

  • I am sailing
  • Little Boxes
  • In einen Harung
  • Yesterday
  • Die Forelle
  • Bella Bimba
  • Heidenröslein
  • Sascha geizte mit den Worten
  • San Francisco (Be Sure to Wear Flowers in Your Hair)
  • Die Moorsoldaten
  • By the Waters of Babylon (Philip Hayes)
  • Es, es, es und es
  • Als ich einmal reiste
  • We Will Rock You
  • We Shall Not Be Moved
  • 99 Luftballons
  • Swing Low Sweet Chariot
  • Hinterm Horizont geht's weiter
  • Whiskey in the Jar
  • Es waren zwei Königskinder
  • Get on Board, Little Children
  • La pulce d'acqua
  • Aquarius
  • Ich komme schon durch manche Land
  • Ho, unser Maat hat schief geladen
  • Hoch auf dem gelben Wagen
  • Oh My Darling Clementine
  • Laurentia, liebe Laurentia mein
  • Down by the Riverside
  • Ein Mann, der sich Kolumbus nannt'
  • Sacco und Vanzetti
  • Sind so kleine Hände
  • Heut kommt der Hans zu mir
  • Dat du min Leevsten büst
  • Lemon Tree
  • Sag mir, wo die Blumen sind
  • My Bonnie Lies Over the Ocean
  • Kumbaya
  • Heißa Kathreinerle
  • Stille Nacht
  • Sitz-Boogie-Woogie
  • Guantanamera
  • Hab mein Wage vollgelade
  • Jingle Bells
  • Miau, miau, hörst du mich schreien
  • Mary's Boy Child
  • Der Kuckuck und der Esel
  • Bona Nox (bist a rechta Ox)
  • Die Gedanken sind frei
  • Die Moritat von Mackie Messer
  • Heho, spann den Wagen an
  • Auld Lang Syne
  • Little Drummer Boy
  • Boat on the River
  • Bruder Jakob
Die Aufzählung ließe sich erweitern, wenn ich auch noch den Englisch-, Französisch-, Spanisch- und Religionsunterricht mit einbezöge. Zum Beispiel mit:
  • Alouette
  • Von guten Mächten wunderbar geborgen
  • Wonderful World (Sam Cooke)
  • María Isabel
  • Streets of London
  • Arroz con Leche
  • Sur le Pont d'Avignon
  • Kleines Senfkorn Hoffnung
  • Que Sera Sera
  • Laudato si
... und da habe ich garantiert das eine oder andere Lied vergessen. Auch wenn nicht jedes davon Begeisterungsstürme unter uns Schülern und Schülerinnen auszulösen vermochte, so gab es doch genügend Gassenhauer, die ich noch heute gerne vor mich hin singe, wenn mir danach ist. Danke dafür! 

Es soll ja Leute geben, die ihre Schulaufzeichnungen nicht aufgehoben haben. Tja, die können halt zwei Jahrzehnte nach ihrem Abschluss keine banalen Blogbeiträge schreiben!

Samstag, 20. März 2021

Oy veh, SPD!

"Spiegel online" zitiert den neuen Vorsitzenden des SPD-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen, Thomas Kutschaty: "So etwas Meschugges habe ich über mich noch nie gehört".

Hm, muss es nicht "Meschuggenes" heißen? So kenne ich die nicht-prädikative Form des jiddischen Adjektivs jedenfalls ... nun gut, zumindest aus amerikanischen Filmzeilen. Tatsächlich schreibt das Jewish English Lexicon: "In Yiddish, meshugene(r) – with the "ne(r)" ending – is used as an attributive adjective modifying a noun (e.g., a meshugene froy, 'a crazy woman'), whereas meshuge is a predicative adjective (zi iz meshuge, 'she is crazy'). This distinction is preserved for many speakers of Jewish English (e.g., 'He is absolutely meshuga!' vs. 'He is such a meshgene (guy)!')." Ob diese "Regel" auf "deutsches Jiddisch" anwendbar ist, kann ich nicht beurteilen. Ich habe zwar während meines Studiums an einem Jiddisch-Blockseminar teilgenommen, aber davon ist nichts hängen geblieben, und wenn ich jetzt meine Aufzeichnungen konsultiere, werde ich mich wieder stundenlang damit befassen; in diesen Kaninchenbau stürze ich mich nicht! Fragen wir das Netz. Für "meschugges" liefert Google unwesentlich mehr Belege als für "meschuggenes" (jeweils weniger als 1000 Treffer), aber womöglich könnte der Buchtitel "Das meschuggene Jahr" ein Argument für letztere Form sein.

Das Meschuggene, das Kutschaty im Spiegel-Interview meint, ist übrigens die Äußerung eines anderen Politikers: "Ein Parteifreund aus Ihrem Landesverband beschreibt Sie zum Beispiel als Krokodil: Ein Tier, das träge im Sumpf liegt, meistens nichts macht, doch wenn ein Gegner vorbeikommt, schnappt es zu."

Notiz an mich selbst: Ich muss mal wieder Meshuggah hören!

Donnerstag, 18. März 2021

Gedankenlose Produktbenennung

Die backfertige Mohnfüllung von Dr. Oetker heißt "Mohn Back". Was soll das? Für mich ist das Militärsprache und erinnert mich an unseren Sportlehrer, der zu Ausdauerlauf immer "Lauf Ausdauer" gesagt hat. Die Benennung fügt sich nicht einmal in ein markenspezifisches Muster, denn seinen Kakao zum Backen nennt Dr. Oetker schlicht "Kakao zum Backen".

Gnatzig machte mich auch der Back-Ziegenkäse, den ich letztens bei Rewe sah. "Omas Ziegenkäse aus dem Ofen" stand darauf. Es ist dasselbe Problem wie beim "heißen Met": Nimmt man den Käse aus der Packung, kommt er eben nicht aus dem Ofen, sondern erst hinein. "Ziegenkäse für den Ofen" wäre eine sinnvolle Bezeichnung (ob er tatsächlich von Oma stammt, ist eine andere Frage). Es würde doch auch niemand hinnehmen, wenn Saftorangen mit "Frisch gepresste Orangen" etikettiert wären!

Dienstag, 16. März 2021

FReu dich des Lebens

Letzten Freitag stand ich am offenen Bücherschrank und studierte die Buchrücken, als ein mittelalter Herr angepest kam und sich zielstrebig etwas aus dem Schrankinnern schnappte, das er schon von weitem erblickt hatte: die tagesaktuelle Ausgabe der Frankfurter Rundschau. "Hoho", freute er sich über seinen Schatz und sagte beim Weggehen zu sich selbst: "Was für ein Tag!"
Es sind die kleinen Dinge.

Sonntag, 14. März 2021

Nicht bestanden

Nur fürs Tagebuch, der Vollständigkeit halber: Am 12. März 2021 habe ich zum ersten Mal einen Corona-Test verpasst bekommen – von mir selbst. Das Schnelltestkit für den Hausgebrauch, das ich benutzte, war zugleich ein Intelligenztest, denn die Bedienung erschloss sich nicht bei bloßer Betrachtung, sie musste gelesen werden, und die Instruktionen nahmen einen großen Teil des Beipackzettels ein. Ehrensache, dass ich dann auch ein Detail übersehen habe, nämlich das Flüssigkeitsröhrchen-Fixierloch in der Verpackung. 'Das ist aber unpraktisch! Soll ich das Röhrchen jetzt die ganze Zeit in der Hand halten?', dachte ich noch. Egal. Bevor man mit der Prozedur beginnt, soll man sich die Hände waschen und sich mehrfach schnäuzen. Das Abstrichstäbchen ist sodann je 2,5 cm in jedes Nasenloch einzuführen. Danach tränten mir die Augen leicht; war ich von innen gegen meine Glaskörper gestoßen?

Das Warten auf das Ergebnis war dann so aufregend wie das Warten auf das Ergebnis der HIV-Tests, die ich in meiner Zeit als Blutspender regelmäßig über mich ergehen lassen musste – also kaum. Trotzdem freute ich mich natürlich, als nach ein paar Minuten der Negativ-Strich sichtbar wurde. Freuen tu ich mich ferner darüber, dass die Kosten für meinen Schnelltest jemand anders übernommen.

Freitag, 12. März 2021

Welt und Weltgeist

Jahrelang habe ich bei allen möglichen Gelegenheiten herumposaunt, dass die Insel Grönland größer sei als der Kontinent Afrika; das hätte ich mit eigenen Augen auf einer Weltkarte gesehen! Viel zu spät lernte ich, dass solche Weltkarten auf Grundlage der Mercator-Projektion erstellt worden sind, welche wegen ihrer Winkeltreue Landflächen umso stärker verzerrt, je mehr man sich den Polen nähert. Das von mir ungefragt verbreitete Partywissen war nur scheinbar korrekt.

Allgemein lässt sich sagen, dass es die perfekte Weltkarte nicht gibt: "Klassische Atlanten zeigen Länder häufig viel zu groß oder klein. Nun haben Forscher eine radikal neue Karte der Erde entwickelt." Dies ist heute in der Süddeutschen Zeitung zu lesen. Die Wissenschaft dahinter ist nicht unkomplex und braucht hier keine Rolle zu spielen. Ich möchte lediglich auf zwei Personennamen betreffende Kuriosa aufmerksam machen:

1. Einer der Schöpfer der neuen Karte heißt Richard Gott. Es ist nur folgerichtig, dass ein Gott die Erde geschaffen hat und ein anderer Gott deren Darstellung als Lebensinhalt hat.
2. Die bislang als am tauglichsten bewertete Methode, welche auch die National Geographic Society bei ihren Karten anwendet, ist die Winkel-Tripel-Projektion. "Sie stellt einen Kompromiss aus Flächen- und Winkeltreue dar", ihr Name hat aber nichts mit Winkeln zu tun, sondern verweist auf den Mann, der sie 1921 vorstellte: Oswald Winkel. Das erinnert mich an den berühmten Doppler-Effekt, der, obschon er sich u.a. auf doppelte Frequenzen und Doppelsterne bezieht, lediglich nach seinem Entdecker Christian Doppler benannt ist.

Montag, 8. März 2021

Kurz notiert: Oregon

In der FAZ wurde neulich in einem Artikel über Oregon unvermittelt das Wort "Pazifikstaat" als Synonym verwendet, und das ließ mich stutzen. Pazifikstaat: Da denke ich zuerst an Neuseeland, an Samoa, die Cookinseln, Palau oder auch Nauru, aber nicht an einen Bundesstaat der USA, der zufällig an der Pazifikküste liegt. Das ist natürlich meiner Ignoranz geschuldet, denn als Pacific states sind die Westküstenstaaten Oregon, Kalifornien und Washington (gelegentlich auch Alaska) durchaus etabliert. Oregon bezieht sich in mancher Hinsicht auf den Stillen Ozean, ist beispielsweise stolz auf seinen Wanderweg Pacific Crest Trail, mehrere Restaurants führen das Label "Pacific" im Namen, es gibt die Pacific University in Forest Grove und die Warner Pacific University in Portland. In gewissen Aspekten sind die drei zusammenhängenden Staaten zudem durchaus homogen, so etwa historisch (Pacific Fur Company), politisch ("Left Coast") und klimatisch (mediterranes Klima).

Googelt man "Atlantikstaat", erhält man insgesamt nur wenige Treffer, darunter neben naheliegenden wie die unabhängigen Staaten Island und Belize aber auch Verweise auf New Jersey und Rhode Island.

Donnerstag, 4. März 2021

Wort des Tages: Umarell

Auf eine für mich künftig unverzichtbare Vokabel wurde ich im "Something Awful"-Forum aufmerksam gemacht. Das bolognesische Dialektwort umarèl, wörtlich "Männlein", wurde Mitte der Nullerjahre als umarell in großen Teilen Italiens populär und letztes Jahr schließlich sogar in den Zingarelli, die italienische Entsprechung des Duden, aufgenommen. Es bezeichnet einen männlichen Rentner, der seine Tagesfreizeit am liebsten damit verbringt, vor Baustellenzäunen zu stehen und den Arbeitern zuzuschauen, gerne mit hinter dem Rücken verschränkten Armen und ungefragt Ratschläge gebend, wie die englische Wikipedia erklärt (wo auch ein aussagekräftiges Foto zu finden ist).

Ich selbst habe für diese freilich auch hierzulande heimische Spezies vor vielen Jahren in meinem Notizbuch den Ausdruck "Baustellenopa" festgehalten, aber umarell (manchmal auch umarèll, Plural umarells) ist viel schöner. Helft mit, es zu verbreiten! Wann findet schon mal ein italienisches Wort Eingang in die deutsche Umgangssprache?

Dienstag, 2. März 2021

Serientagebuch 02/21

02.02. The Drowning 1.01
Mr. Robot 3.09
04.02. It's a Sin 1.01
It's a Sin 1.02
It's a Sin 1.03
06.02. It's a Sin 1.04
It's a Sin 1.05
09.02. The Drowning 1.02
Mr. Robot 3.10
11.02. The Drowning 1.03
The Drowning 1.04
13.02. Leverage 1.11
Servant 2.01
Servant 2.02
Castle Rock 1.01
14.02. Norm 3.19
15.02. Family Guy 19.11
Servant 2.03
Servant 2.04
16.02. Castle Rock 1.02
17.02. The Simpsons 32.12
This Is Us 5.07
18.02. Servant 2.05
Norm 3.20
20.02. Leverage 1.12
Des 1.01
Castle Rock 1.03
21.02. This Is Us 5.08
Leverage 1.12
Des 1.02
22.02. Des 1.03
Norm 3.21
23.02. Castle Rock 1.04
Servant 2.06
26.02. This Is Us 5.09

Gleich zwei Serien mit Beteiligung ehemaliger "Doctor Who"-Zugpferde waren im Februar dabei und werden mir lange in Erinnerung bleiben: Russell T. Davies' ("Years and Years") Achtzigerjahre-Aids-Drama It's a Sin sowie Des mit David Tennant, der mich als 10. Doktor zum Schluss zwar genervt hat, hier aber wie schon in "Broadchurch" beweist, was für ein wandlungsfähiger Schauspieler er ist. Tennant verkörpert in "Des" (nach einem True-Crime-Bestseller von Brian Masters) den narzisstischen Zwölffachmörder Dennis Nilsen, von dessen abscheulichen Taten ich bereits als Bub' im London Dungeon erfahren hatte. Nun darf man aber keinen expliziten Serienkiller-Thriller à la "Der Goldene Handschuh" erwarten, ganz im Gegenteil: Der Dreiteiler setzt nach den Taten von Nilsen – der auf Fotos übrigens wie Tennants Zwillingsbruder aussieht – ein und legt seinen Schwerpunkt auf die Ermittlungen, die Gespräche des Beschuldigten mit seinem "Biographen" sowie die Gerichtsverhandlung, und das alles einfühlsam, zurückhaltend und gerade deshalb sehr eindringlich.
Und weil nach "One Of Us" (11/20) mal wieder ein fiktionales britisches Mini-Crime-Drama fällig war, habe ich mir noch The Drowning vorgenommen, dessen 5,5-er Wertung auf imdb mir nicht einleuchtet.
Mr. Robot hatte ich vor wer weiß wie vielen Jahren nach der zweiten Staffel aufgegeben, weil mir die Handlung zu kompliziert geworden war und die Dialoge zu dämlich-prätentiös waren (und mich darin an "Dr. House" erinnerten). Season 3 gefiel mir nun wieder ganz gut, insbesondere letztgenanntes Problem ist mir hier überhaupt nicht aufgefallen, was daran gelegen haben mag, dass ich von deutscher Sprache auf Originalton gewechselt habe. Allgemein mag ich Sam Esmails Regiestil sowie die stets passende Musikuntermalung und bin auf die vierte und letzte Staffel mehr als gespannt.