"Irgendwann werde ich es schaffen, meine zuletzt gespielten Computer- und Xbox-Games in einem Sammelbeitrag vorzustellen", schrieb ich im Oktober vergangenen Jahres. Heute ist es endlich soweit – wobei es nicht auf einen Sammelbeitrag hinauslaufen wird: Es hat sich mittlerweile so viel angesammelt, dass ich den Rezensions-Rundumschlag splitten muss. Ich will schließlich nicht nur ein, zwei Sätze zu jedem Game runtertippen; das bin ich euch schuldig.
Ganze 36,5 Stunden habe ich mit Pathfinder: Wrath of the Righteous verbracht. Das ist viel, aber nicht so viel, wie man erwarten würde, oder? Let me explain. In meiner Freizeit bin ich Mitglied einer Pen-&-Paper-Gruppe, die seit etlichen Jahren das Pathfinder-System nutzt, daher kann ich recht gut einschätzen, wie gelungen die Versoftung durch Owlcat Games ist, nämlich sehr! Und ich liebe es, mich in den zahlreichen Anpassungsmöglichkeiten, dem Charakterausbau und dem Crafting-System zu verlieren. Einsteiger mögen von der Freiheit erschlagen werden, ich finde es geil, wie viel Liebe und Regelwerkstreue in dieses Abenteuer geflossen sind. Diese Optionen, diese Tiefe, diese Komplexität! Die Kämpfe, die man wahlweise in Echtzeit oder rundenbasiert ablaufen lassen kann (ich bevorzuge natürlich Runden!), gehören mit zu den besten, die ich je in einem Computer-RPG erlebt habe. Nicht selten sind sie massiv. Wenn wieder einmal ein Dutzend höllischer Abominationen ("mongrels") vor einem steht, denkt man sich knöchelknackend: Zum Glück habe ich in den nächsten zwei Stunden nichts vor. Die Story ist nicht bahnbrechend, aber spannend genug, die Begleiter/innen sind toll geschrieben und interessant.
ABER. Ein dicker Wermutstropfen fällt einem beizeiten auf. Der Spieler wird direkt in das Geschehen geschubst, von Anfang an geht es turbulent zu, eine bedeutungsvolle, actionlastige Sequenz folgt der nächsten, man hat keine Gelegenheit zum Durchschnaufen. Was fehlt, ist eine Art Hub, ein Ort, in den man nach einer geschlagenen Schlacht zurückkehren kann, um zu rasten, zu handeln, Sightseeing zu betreiben oder seichte Nebenquests zu erledigen. Ich hätte mir so etwas wie Athkatla in "Baldur's Gate II" gewünscht, eine zentral gelegene Stadt, an deren Look, Vielfältigkeit, aber auch Vertrautheit man sich jederzeit erfreuen kann. Über das Fehlen einer solchen hätte ich noch hinwegsehen können, würde nach der Hälfte der Kampagne (oder nach einem Drittel?) nicht eine Art Zusatzauftrag bzw. ein Parallelspiel eingeführt, das zum Weiterkommen unabdingbar ist: der Kreuzzug. Zitat Gamersglobal: "Fortan durchquestet ihr nicht mehr nur mit eurer eigenen Party die Lande, sondern kommandiert auf der Übersichtskarte zusätzlich unabhängige Truppenverbände, mit denen ihr den versprengten Dämonenarmeen zu Leibe rückt. Diese Kämpfe werden auf eigenen, schachbrettartigen Schlachtfeldern ausgetragen – und spielen sich leider noch weniger spannend als die RPG-Gefechte. Im Wesentlichen klickt ihr den Gegner so lange an, bis er umfällt – die zahlenmäßig stärkere Fraktion gewinnt. Überspringen könnt ihr die Auseinandersetzungen nicht. Häufig müsst ihr nämlich erst mit euren Stoßtrupps den Weg freiräumen, bevor eure Party die nächste Mission erfüllen kann." Ich sag's ehrlich: Das nervt wie Sau. Nachdem ich viermal an so einem Geplänkel gescheitert bin, weil meine Truppen einfach zu schwach waren und ich weder mit Taktik noch Glück weiterkam, musste ich das Spiel schweren Herzens deinstallieren.
Keine zwei Stunden dauert Old Man's Journey, aber diese Reise wird nie vergessen, wer nicht vollends abgestumpft ist. Es geht emotional zu wie in "Up", und das, obwohl kein einziges Wort fällt. Ein alter Mann schnappt sich den Wanderstock und stapft durch eine wunderschöne, französisch angehauchte Landschaft. Wir steuern ihn lediglich mit Mausklicks, müssen dabei aber – und das ist ein enorm innovatives Spielprinzip – die Ebenen jener Landschaft verschieben: Ein Berg wird nach unten gezogen, eine Brücke nach oben; man rückt die Gegend sozusagen zurecht, als würde unser Held durch ein Aufklapp-Bilderbuch marschieren. Schwer zu beschreiben. In Rückblenden lernen wir die Lebensgeschichte des Opas kennen, die dezente Musik unterstreicht die Stimmung. Toll!
Ungewöhnlich ist auch The Lion's Song, zumindest was die Optik angeht. Sepia-Pixel-Look, Retro-Font ("System"), Animationen wie in frühen Graphik-Adventures. Die vier Episoden dieses Point-and-Click-Indie-Games erschienen bereits 2016. Das Entwicklungsstudio Mi'pu'mi Games sitzt in Österreich und verlegt die Handlung ebendort hin. Die Wiener Kaffeehauskultur zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird wunderbar eingefangen. Es geht um Kunst, Kultur und Wissenschaft, im Mittelpunkt steht allerdings das Innenleben der Protagonisten, deren Schicksale, wie man nach und nach erfährt, miteinander verstrickt sind. Bemerkenswerten Kopfnüssen begegnet man nicht, meist kommt es auf das Navigieren durch lebensnahe Dialoge an. Diese weisen leider etliche Komma- und Tippfehler auf, was aber das einzige ist, was den rund fünfstündigen, reichlich melancholischen, nun ja, Spielspaß trübt.
Wer Melancholie mag und von schweren Themen nicht abgeschreckt wird, ist bei Tell Me Why richtig. Ein Vergleich mit "Life is Strange" drängt sich auf, doch ist das ebenfalls von Dontnod entwickelte Coming-of-Age-Drama deutlich weniger clever, was das Gameplay angeht. Im Grunde ist ein solches gar nicht vorhanden. Die "Rätsel" sind nicht der Rede wert, abseits von unspektakulären Sammel- und Kombinationsaufgaben treibt man die Handlung über das Durchsuchen von Räumen und das Interagieren mit Personen voran. Auch die Entscheidungen fallen nie so schwerwiegend aus wie in der "Life is Strange"-Reihe. Doch genug genörgelt. "Tell Me Why" sieht fantastisch aus! Sowohl der Schauplatz Alaska als auch die Handelnden sind exzellent in Szene gesetzt. Die Geschichte ist mitreißend und gefühlsbetont, ohne je unglaubwürdig oder kitschig zu werden. Die Transgender-Thematik wird professionell, i.e. einfühlsam und klischeefrei behandelt. An der Vertonung ist so wenig auszusetzen wie am Umfang des mehrfach ausgezeichneten Episodenspiels aus den Xbox Game Studios.