Mittwoch, 21. Mai 2025

Die Schönheit von Sprachunfallprotokollen

Gelegentlich schäme ich mich ein wenig dafür, aber ich habe eine diebische Freude daran, wenn in Literaturkritiken einem Autor / einer Autorin stilistische Fehler, schlechte Recherche und allgemeine Gedankenlosigkeit nachgewiesen werden. Solche Textarbeit ist natürlich im Umfeld der Neuen Frankfurter Schule besonders populär: Stefan Gärtner nimmt sich auf seiner Konkret-Doppelseite "Kunst & Gewerbe" regelmäßig schlechte Schreibe vor, Michael Ziegelwagner hat in mehreren Artikeln seine bejubelte Landsmännin Raphaela Edelbauer – stets auf Grundlage sauberer Zitatlese – abgewatscht, und unvergessen sind Bernd Eilerts Fritz-J.-Raddatz-Erledigungen.

Besonders freue ich mich, wenn sich an einer Stelle, mit der ich nicht gerechnet hätte, an überschätzten Geistesmenschen abgearbeitet wird. Jürgen Kaubes kolumnistische Senge gegen den neuen Kulturstaatsminister Wolfram Weimer (dessen Flitzpiepigkeit Hans Mentz bereits 2012 erkannt hat) ging vor ein paar Wochen viral (hinter der FAZ-Paywall nachzulesen), und heute zauberte mir Juliane Liebert ein breites Grinsen ins Gesicht. Im Süddeutsche-Feuilleton vom 20. Mai ließ sie sich über den neuen Roman des "Wunderkindes" Ocean Vuong wie folgt aus:

Im ersten Kapitel unternimmt Vuong eine literarische Kamerafahrt über Gladness, den Schauplatz des Buches, eine ausgedachte amerikanische Kleinstadt. Das Kapitel ist offenbar dazu zu gedacht, dem Leser die Sprachgewalt Vuongs zu demonstrieren – immerhin ist Vuong ursprünglich Dichter. Aber je heftiger er Sprachgewalt performt, desto unangenehmer wird es.
Da gibt es "Veteranen, die von sämtlichen nur denkbaren Schlachtfeldern nach Hause kommen (...) ehe sie in verqualmte Zimmer zurückschlurfen, wo kleine Fernseher, so groß wie Menschentorsos, sie in Schlaf lullen." Ohne kleinlich zu sein: Welcher kleine Fernseher hat denn bitte die Größe und das Format eines Menschentorsos? Zwei kleine Fernseher nebeneinander könnten Menschentorso-breit sein, oder ein Kindertorso, wenn man gnädig ist. Aber wozu?
Oder: "Am anderen Ende des Grundstücks liegt die vor einer Woche geborgene Abwrackkarre, die Augenhöhle gefüllt mit warmem Coca-Cola, das Werk eines Jungen, der sein Getränk auf dem Heimweg von der Schule aus Langeweile in dieses endlose Dunkel blinder Blicke geschüttet hat." Schmissig, schmissig, aber warum hat das arme Auto nur eine Augenhöhle, warum versickert die Cola darin nicht, und womit haben wir "das endlose Dunkel blinder Blicke" verdient?
Kaum hat man sich von dieser elaborierten Schwülstigkeit erholt, legt Vuong nach: "Trotz dieser Hitze wächst alles Grün, als gelte es, die Winterödnis wiedergutzumachen, üppiges Moos zwischen den hölzernen Schwellen, sodass es bei einem bestimmten Einfallswinkel von sattem Licht wie Algen wirkt, als wäre die Gletscherflut über Nacht wiedergekehrt und wir wären endgültig geworden, was zu werden uns schon immer bestimmt war: biblisch." Im Ernst, biblisch? Das ist prätentiöser Kitsch durch und durch, egal, wie viele Auszeichnungen man draufklebt.
Alles an Ocean Vuongs Sprache ist nicht bloß pathetisch, sondern parfümiert sinnlich, immer drei Stufen zu hoch. Als läge seine Welt zwischen sozialkritischem Melodram und Achtzigerjahre-Erotikfilm. Die Metaphern sind zu 90 Prozent beliebig, knapp dran vorbei, schief zu sein, aber sie haben auch keine semantische Zündkraft.

Hahaha! In derselben Ausgabe gab es übrigens auch eine – leider etwas zahnlose – "Begegnung mit dem Dark Lord des deutschen Debattenzirkus" Ulf Poschardt.

Eine meiner All-time-Lieblingszerpflückungen ist Peter Dierlichs Jungle-World-Beitrag "Zwischen den Mauern des Schluckaufs" aus dem Jahr 2008 über Martin Mosebachs Roman "Ruppertshain". Auch wenn beim digitalen Einpflegen die Formatierungen verloren gegangen sind, d.h. Auszüge nicht kursiv erscheinen, lohnt sich die Lektüre dieses 50.000-Zeichen-Rundumschlags in all seiner Glorie.

Montag, 19. Mai 2025

Eine überraschend harmonische Kombination

Shakshuka ist eines der genialsten Gerichte, die es gibt. Die folgende vegane Variante "Paprika-Shakshuka mit Avocado" ist eigentlich ein Thermomix-Rezept, kann aber auch mit einem normalen Mixer zubereitet werden. Zwei Personen werden davon satt.

In den Mixtopf kommen 2 Knoblauchzehen, 80 g Frühlingszwiebeln (im Originalrezept: Zwiebeln; aber ihr kennt mich ...) sowie 1 gelbe Paprikaschote in Stücken. Ein paar Sekunden pürieren, sodann die Masse in etwas Öl kurz erhitzen. Den Inhalt einer Dose stückige Tomaten, 40 g Tomatenmark, 20 g Zitronensaft, 100 ml Wasser, 1 TL Paprikapulver (ich habe schärferes verwendet, aber das ist Geschmackssache), 1 TL Kurkuma, 1,5 TL Salz und 1/2 TL Pfeffer dazugeben und alles eine Viertelstunde unter gelegentlichem Rühren köcheln lassen. Auf den Tellern mit Avocadostreifen garnieren, mit Tahin beträufeln und mit Korianderblättern belegen (s. Foto). Dazu schmeckt Fladenbrot, Pita o.ä. (auch s. Foto).

Samstag, 17. Mai 2025

Meine zehn zuletzt gesehenen Filme

Deadpool & Wolverine
"Best. Movie. Ever", schrieb Torsten Dewi über "Deadpool & Wolverine", und ich freue mich über seine Begeisterung. Unterschreiben würde ich dieses Verdikt aber nicht, ich würde nicht einmal so weit gehen, "Best Marvel movie ever" zu urteilen. Die ersten zwei "Deadpool"-Filme haben mir, ihr erinnert euch, enormes Vergnügen bereitet. Aber das hier? Bestenfalls "unterhaltsam". Vielleicht liegt es daran, dass ich zu Wolverine absolut keinen Bezug habe, vielleicht daran, dass dieses überdrehte Gipfeltreffen der (Anti?-)Helden zu sehr von sich selbst überzeugt ist und von Anfang an auf Kult getrimmt war (so zumindest mein Eindruck), aber ich fühlte mich spätestens nach dem ersten Viertel gleichzeitig über- und untersättigt. Auf emotionaler Ebene hat mich das Spektakel gleich gar nicht gepackt. Action- und Humorfaktor gehen gerade so in Ordnung, wobei ich am liebsten "Metzel- und Dollereifaktor" schreiben würde. Ja ja, im Marvel-Universum, mit dem ich bekanntlich nichts mehr zu schaffen haben möchte, wäre ich die noch zu erfindende Figur "Captain Buzzkill".

Nosferatu
Man muss ehrlich sein: Der Dracula-Stoff lässt nicht allzu viel Variationsraum zu; freshe Wendungen oder Neuinterpretationen hatte ich denn auch gar nicht erwartet, wohl aber, dass Robert Eggers der Atmosphäre und der Optik seinen eigenen Stempel aufdrückt. Und das Eggers-Versprechen wird eingelöst: Der fiktive norddeutsche Schauplatz ist szenenbildnerisch superb, das Schloss des Grafen ist eine eisig-graue Pracht, er selbst ist, nun ja, mindestens barttechnisch gewöhnungsbedürftig, von Bill "Pennywise" Skarsgård aber eindrucksvoll verkörpert (vor allem bei seinem ersten Auftritt war ich froh, diesen im Kino erlebt zu haben), das obschon kurze visuelle Highlight waren für mich jedoch die Landschaften, die Orloks Gegenspieler "Herrrrr Hutter" auf seiner Reise in die Karpaten durchstreift.
Kurzum: Wer bei der Story Abstriche macht und zudem verschmerzen kann, dass der mittlerweile unvermeidbare Willem Dafoe ausnahmsweise ein wenig kasperhaft und damit deplatziert wirkt, der bekommt Eggers at his best. Auch die Dialoge haben mir wieder sehr zugesagt, auch wenn sie nicht ganz das Niveau von "Der Leuchtturm" erreichen.

Thelma
June Squibb habe ich erstmals 2024 – in einer nischigen Serie, die da auch schon fast zehn Jahre auf dem Buckel hatte, – bewusst wahrgenommen (obwohl sie auch schon in "Nebraska" in Erscheinung getreten war), und zwar als äußerst komische Senior-Aktrice, die übrigens ein Musterbeispiel für einen second act ist (über dieses Phänomen gibt es eine schöne Overthinking It-Folge): Erst mit 61 gab sie ihr Filmdebüt, und in "Thelma" stemmte die inzwischen 93-Jährige noch einmal mit Bravour eine Hauptrolle. Abgesehen von Squibbs Leistung bietet die Enkeltrick-Komödie nichts Herausragendes, verdient, auch wegen geschickt gesetzter Action- und Drama-Elemente, aber das Prädikat "sehenswert".

Rio
Ein in Brasilien spielender Animationsfilm der Blue Sky Studios ("Ice Age"): das versprach ein Fest für die Augen zu werden. Und sapperlot, war dies das bunteste Trick-Spektakel, das ich je gesehen habe! Auf der großen Leinwand lief "Rio" (übrigens bereits 2011) sogar in 3D – da hätte ich vor Staunen das Maul gar nicht mehr zugekriegt.
Der Humor ist kindgerecht, aber nicht kindisch (das junge Publikum wird ernstgenommen, und es geht sogar, huiuiui!, um aviäre Fortpflanzung), die Papageien als Stars des Abenteuers sind putzig und charakterstark, die Sprecher/innen gut gewählt.
Ich wollte mir direkt im Anschluss die Fortsetzung von 2014 ansehen, weil diese ebenfalls bei Amazon Prime verfügbar war, allerdings begann "Rio 2" mit einer ultra nervigen Gesangsnummer, die sich obendrein nicht in Originalsprache wiedergeben ließ, und da habe ich abgebrochen.

American Fiction
Für mich die Überraschung meines bisherigen Filmjahres: Die dutzendfach ausgezeichnete und u.a. für fünf Oscars nominierte Verfilmung von Percival Everetts Roman "Erasure" ist eine gelungene Satire über den Literaturbetrieb, Rassismus und Stereotype. An manchen Stellen wird es zwar erwartbar bedrückend, es überwiegt aber eine herrliche Leichtigkeit; mehr als einmal musste ich laut auflachen. Jeffrey Wright stattet seine Rolle mit der perfekten Mischung aus Lakonie, Schwermut und Keckheit aus. Sterling K. Brown ("This Is Us") dagegen darf die Sau rauslassen.

A Slight Case of Murder
Der obligatorische Oldie in dieser Liste: Basierend auf dem gleichnamigen Theaterstück, lässt diese amerikanische Gangsterkomödie von 1938 einen "ehrenwerten Geschäftsmann" kurz nach dem Ende der Prohibition in allerlei Schwulitäten purzeln. Es geht turbulent und schwarzhumorig zur Sache, und das Ensemble, von dem ich zu meiner Schande keine und keinen (nicht mal die Golden-Age-Hollywood-Legende Edward G. Robinson) kannte, spielt fröhlich auf.

The Rover
Wie obiger Streifen hat auch diese australische Produktion von 2014 einen ausgemachten Antihelden im Fokus. Doch wo es "A Slight Case of Murder" gelingt, dass der Zuschauer Sympathien für den einnehmenden Schmugglerkönig aufbaut, lässt ihn der Protagonist in "The Rover" anhaltend kalt. Der von Guy Pearce dargestellte Outlaw hat alles verloren und nichts zu verlieren, ist aber auch nicht darauf aus, sein Leben oder das von anderen zu verbessern oder auch nur irgend den Status quo in dieser kaputten Welt wiederherzustellen. Die einem, apropos, gar zu vertraut dünkt: Anarchische Verbrecherbanden im australischen Outback nach dem kompletten Zusammenbruch der Gesellschaft – "Mad Max",
anyone?! Die Rohheit und Verrohung sind zumindest greifbar modelliert, man möchte sich den Staub von den rissigen Hosenbeinen klopfen, wenn der Abspann läuft. Und Robert Pattinson in einer Nebenrolle stört nicht weiter.

Network
Sidney Lumets bissige Abrechnung mit dem Raubtierkäfig namens Network-TV lässt sich dank ihres hohen Tempos, einwandfreier Schauspielleistungen und der rotzigen verbalen Schlagabtausche auch nach bald 50 Jahren noch genießen. Vier Oscars konnte "Network" abräumen, darunter "Beste Hauptdarstellerin" für Faye Dunaway sowie den für den besten Hauptdarsteller, der posthum an Peter Finch ging (auch hier ein Geständnis von mir: Den Mann kannte ich vorher nicht).

Das Mädchen Irma la Douce (OT: Irma la Douce)
A lot to unpack here. Zunächst einmal ist mir dafür, dass "Irma la Douce" auf einem Musical basiert und 1964 mit dem Academy Award für die beste Filmmusik ausgezeichnet wurde, nichts musikalisch Herausragendes aufgefallen. In Erinnerung bleiben wird mir das freizügige Lustspiel vorrangig wegen seines verharmlosenden, wenn nicht gar romantisierenden Umgangs mit Prostitution. "Jedes Mädchen hat ihren Zuhälter, und dem gibt sie etwas von ihren Einnahmen ab, so ist das nun mal", sagt nahezu wortwörtlich eine der Pariser Kokotten schulterzuckend. Überhaupt ist die ganze Grundprämisse höchst problematisch: Ein Ex-Polizist verliebt sich in die titelgebende Dame, tritt nach einem Gefecht mit einem Luden "offiziell als Irmas Zuhälter auf, kann es aber aus Eifersucht nicht ertragen, wenn sie Umgang mit Freiern hat. Er verkleidet sich [...] als reicher englischer Lord X, bezahlt Irma 500 Franc für jedes Treffen und erwartet hierfür nur einige Partien Patience. Sie vereinbaren sich zweimal die Woche zu treffen, so dass Irma keine weiteren Freier mehr annehmen muss" (der Einfachheit halber aus Wikipedia kopiert). Die Maskerade gerät für meinen Geschmack zu klamaukig, doch immerhin schien Jack Lemmon eine Menge Spaß beim Dreh gehabt zu haben, wie er überhaupt eine hinreißende Chemie mit seiner Partnerin Shirley MacLaine unter Beweis stellt (und umgekehrt), was nicht verwundert, hatten die beiden doch bereits wenige Jahre zuvor in "Das Appartement" als Liebespaar begeistert.
Ein paar Running Gags fand ich nett, auch tun sich interessante juristische Fragen auf, und Timing und Tempo tragen im besten Sinne Billy Wilders Handschrift. Wobei ich alles andere als ein Wilder-Experte bin: Dies war erst der fünfte Film des stilprägenden Komödienregisseurs, den ich sah. Vielleicht hole ich demnächst wirklich mal "Das Appartement" nach. Oder wenigstens "Manche mögen's heiß" oder "Das verflixte 7. Jahr", verflixt!

Y2K
Darüber habe ich eine Humorkritik geschrieben, die in der aktuellen Titanic zu lesen ist.

Freitag, 16. Mai 2025

Zum Ditschen reicht's

Plombir, das beliebte Eis, in Keksform, das klingt erst mal verlockend. Leider konnte ich mich nicht dafür erwärmen, zumindest nicht für die Breakfast Biscuits mit Schokogeschmack. Es gibt auch noch Karamellgeschmack, der ist womöglich intensiver. Die von mir getestete Sorte fand ich jedoch ziemlich fad.

Das Konzept "Frühstücks-Biskuits" sagt mir aber grundsätzlich zu. Ich aß heute drei dieser Kekse als Begleitung zum ersten Bürokaffee (ich hatte allerdings zuvor schon daheim Müsli gegessen). Dann war die Packung, die ich vor Wochen im Supermarkt entdeckt hatte (Sonderangebot), endlich leer.

Mittwoch, 14. Mai 2025

Neues Altes (Februar-Mai '25)

  • Forscher finden Spuren von Kannibalismus aus der Steinzeit ("Spiegel online", 12. Februar) 18.000 Jahre alte Menschenknochen, die "zwischen Steinwerkzeugen, Knochenspitzen und den Resten von zuvor erbeuteten eiszeitlichen Tieren" in der südpolnischen Maszycka-Höhle gefunden wurden, weisen "Schnittstellen und andere Spuren" auf, die "auf ein systematisches Zerlegen von Verstorbenen und Kannibalismus" in der späten Altsteinzeit hindeuten. "Gewaltkannibalismus" sei dabei wahrscheinlicher als "Kannibalismus aus Not".
  • Jahrhundertelang unentdeckte Basilika in London ausgegraben (Berliner Morgenpost, 15. Februar) Erstaunlich gut erhaltene Kalksteinmauerreste aus dem Untergeschoss eines Bürogebäudes legen Maße von 40 m Länge, 20 m Breite und 12 m Höhe nahe. Die Basilika wurde um 80 n. Chr. in der Nähe des Forums von Londinium errichtet.
  • Forscher entdecken Grab von Thutmosis II. in Ägypten ("Spiegel online", 20. Februar) Ein ägyptisch-britisches Team hat im Tal der Könige von Luxor das letzte bisher nicht lokalisierte königliche Grab aus der 18. Dynastie (ca. 1550 bis 1292 v.u.Z.) gefunden.
  • Forscher entdecken in Dänemark Stonehenge-ähnliche Anlage ("Spiegel online", 27. Februar) Im norddänischen Aars haben Archäologen eine etwa 4000 Jahre alte kreisförmige Anlage entdeckt, die an Stonehenge erinnert, jedoch aus im Abstand von ca. 2 m angeordneten hölzernen Pfählen besteht. Sie sei "ein Beweis für die engen Verbindungen der Himmerländer [= früheren Bewohner der Halbinsel im Norden Jütlands] zu anderen Gebieten und Völkern in Europa".
  • Sagenumwobenes Reitervolk: Genanalyse enthüllt die wahre Herkunft der Hunnen ("Focus online", 2. März) Ein Team des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig "analysierte insgesamt 370 Genome von [...] 35 Menschen, großteils aus dem heutigen Ungarn", aus dem 4. bis 6. Jahrhundert. "Dabei zeigte sich, dass die ethnische Zusammensetzung der Hunnen divers war. Ihre Herkunft lässt sich nicht nur auf das Xiongnu-Reich in der Mongolei zurückführen", wie man ab dem 18. Jahrhundert angenommen hatte. "Es gab auch Einflüsse aus verschiedenen Teilen Europas, aber auch aus dem Kaukasus oder der zentralasiatischen Steppe."
  • Archäologen entdecken bei Leipzig rätselhafte Grubenlinien ("Spiegel online", 4. April) Sechs Grabensysteme, insgesamt mehrere Kilometer lang, zwischen 1 bis 1,50 m tief und rund 3000 Jahre alt: Etwa 500 Jahre lang wurden die Gräben genutzt, doch wofür, muss vorerst Spekulation bleiben (Ackerflächentrennung, Wasserableitung?).
  • Jäger und Sammler reisten schon vor 8500 Jahren nach Malta ("Spiegel online", 9. April) "Die frühen Seeleute im Mittelmeer könnten etwa einen Einbaum oder ein Floß aus Schilfrohr oder Tierhäuten genutzt haben, schreibt Dylan Gaffney von der University of Oxford in einem Nature-Kommentar. Er schließt nicht aus, dass die Menschen aus Nordafrika kamen, auch wenn das unwahrscheinlich ist. 'Zum Zeitpunkt der Seefahrt betrug die Meeresdistanz zwischen Tunesien und Malta 250 bis 300 Kilometer.' Dabei könnten Inseln dazwischen als 'Trittsteine' gedient haben." Bisher galten 50 Kilometer als am weitesten von Jägern und Sammlern zurückgelegte Distanz im Mittelmeer. Grundlage für die neuen Erkenntnisse sind Werkzeugfunde, Feuerstellen- und Essensreste aus der Höhlenausgrabungsstätte Latnija im Norden Maltas.
  • Archäologen finden "fremden" Altar in der Mayastadt Tikal (scinexx.de, 9. April) Malweise und Motivik auf dem 1600 Jahre alten Altar sowie die um diesen herum gefundenen Gräber von rituell Geopferten entsprechen nicht den Traditionen der Maya, sondern deuten auf die rivalisierende Kultur von Teotihuacan.
  • Gladiatoren kämpften wohl auch gegen Löwen ("Spiegel online", 24. April) Mit "Bissspuren an den Überresten eines Menschen, der wahrscheinlich vor etwa 1800 Jahren im nordenglischen York begraben wurde", liegen erstmals physische Beweise für jene römischen Spektakel vor, die bislang nur aus bildhaften Darstellungen bekannt waren.
  • Röntgenanalyse macht antike Tinte auf verkohltem Papyrus lesbar ("Spiegel online", 8. Mai) Zwei Forscher für maschinelles Lernen haben die Tintenschrift auf einer karbonisierten Rolle aus Herculaneum entschlüsselt, die 79 n. Chr. unter der Asche des Vesuv begraben worden war. "Dazu analysierten sie Röntgenscans vom Inneren des Fundstücks mit Computermodellen. So wurden altgriechische Buchstaben sichtbar, die den Philosophen Philodem als Autor ausweisen und das Werk als 'Über die Laster'."
  • Die ältesten vollständig erhaltenen Jagdwaffen der Welt sind vielleicht doch nicht so alt ("Spiegel online", 10. Mai) Das Alter der sog. Schöninger Speere, gefunden in einem Tagebaugebiet in Helmstedt (Niedersachsen), wurde bisher auf 300.000 Jahre geschätzt. "Diese Angaben basierten allerdings auf Altersschätzungen der darüber und darunterliegenden Ablagerungen und nicht von der eigentlichen Fundschicht, schreibt das Forschungsteam um Studienleiter Olaf Jöris vom Monrepos-Forschungszentrum und Museum für menschliche Verhaltensevolution in Neuwied". Nach der Korrektur aufgrund alternativer Datierungsmethoden gelten die bis zu 2,50 m langen Neandertalerwaffen nun als rund 200.000 Jahre alt.

PS: Ich habe mehrmals ChatGPT darum gebeten, die verlinkten Artikel in vier bis fünf Sätzen zusammenzufassen. Angeboten bekam ich Redundanzen, wörtliche Übernahmen statt Paraphrasierungen, unnötige Informationen bei gleichzeitiger Unterschlagung von Relevantem. Kurzum: Wieder einmal erweist sich "K.I." als herbe Enttäuschung.

Samstag, 10. Mai 2025

Can I crash at your place?

Apropos herrliche Wikipedia-Listen: Hochinteressant ist die leider noch nichts ins Deutsche übertragene "List of landings on extraterrestrial bodies". Es handelt sich um eine Liste sämtlicher bisher durchgeführter Landungen von Menschen und menschgemachten Objekten im Weltall, sortiert nach Himmelskörper. Aufgeführt werden sowohl geplante als auch unbeabsichtigte Landungen. Landungen von Flugkörpern werden grundsätzlich eingeteilt in soft landing (weiche Landung) und hard landing (harte Landung).

Auf 15 Himmelskörpern, die nicht die Erde sind, haben Menschen Zeug aufprallen lassen. Die harte Landung auf dem Asteroidenmond Dimorphos (2022) war die erste, die ein Objekt in unserem Sonnensystem aus seiner Bahn geworfen hat. Nun gut, das liest sich übertrieben dramatisch; "intentionally deviated (slightly) of its orbit" heißt es auf englisch. Die NASA hat damit das geprobt, was wir bisher nur aus unglaubwürdigen Hollywood-Actionern kannten, nämlich durch gezielte Kollision einen unseren Heimatplaneten bedrohenden Asteroiden vom Weg abzubringen.

Der erste Einschlag auf einem anderen Planeten erfolgte bereits 1966. Die sowjetische Sonde Venera 1, kurz nach Sputnik 7 gestartet, trat am 1. März in die Atmosphäre der Venus ein, nachdem der Kontakt zur Erde abgebrochen war. Venera 7 konnte dann Ende 1970, nach der ersten weichen Landung auf einem fremden Planeten überhaupt, bereits 23 Minuten übertragen und in diesem Zuge bestätigen, dass der Mensch nicht auf der Venus überleben kann. Dieser Erfolg sowie knapp ein Jahr später die erste (Bruch-)Landung einer Raumsonde auf dem Mars (allerdings ohne Kontakt) entschied das russisch-amerikanische "Space Race" zunächst zugunsten der UdSSR, zumal diese auch – nach drei Fehlversuchen – ebenfalls 1966 die erste weiche Landung auf dem Erdmond vorzuweisen hatte. Dagegen und immerhin hatten es drei Ranger-Missionen der USA zwischen 1964 und 1965 auf drei intentional hard impacts gebracht.

Mit Apollo 11 gewannen das Wettrennen im All 1969 freilich die Amis, wobei ein Jahr später die russische Mission Luna 16 mit der ersten Gesteinsprobenentnahme und -rückführung durch einen Roboter endete. Im neuen Jahrtausend traten dann weitere Nationen ins extraterrestrische Game ein: 2019 führte die chinesische Raumfahrtbehörde die erste weiche Landung auf der erdabgewandten Seite des Mondes durch. In der Südpolregion des Mondes glückte Indien im Jahr 2023 die erste weiche Landung.

Auf den Merkur crashte 2015 die 2004 gestartete NASA-Raumsonde MESSENGER; das war der bislang einzige Eintritt in den Orbit des sonnennächsten Planeten. Bei den Gasriesen Jupiter und Saturn kann mangels festem Boden eine Landung im Wortsinn schlechterdings nicht möglich sein, gleichwohl gab es vonseiten der Vereinigten Staaten bereits Annäherungsversuche: 2003 wurde die Raumsonde Galileo in die Atmosphäre des Jupiter gelenkt und verglühte dort, ebenso fand 2017 der Cassini-Orbiter in der Saturn-Atmosphäre sein Ende. Als Teil von letztgenannter Mission konnte sich auch die ESA Sporen verdienen, deren Sonde Huygens die NASA auf dem Saturnmond Titan landen ließ.

Ich hoffe, in den kommenden Jahr(zehnt/hundert)en wird der Mensch noch viele weitere Himmelskörper ansteuern!

Donnerstag, 8. Mai 2025

Von Bälgern und Wanen

Gestern vorm Einschlafen ist mir doch glatt ein weiteres Anachronym eingefallen: Blasebalg. Die Grundbedeutung von Balg ist zwar eh verblasst – die Hauptbedeutung dürfte heutzutage "freches Kind" sein (wobei auch das schon ziemlich veraltet ist) –, dennoch passt es insoweit in die Liste, als Blasebälge heutzutage "zumeist aus Kunststoff hergestellt" werden. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass z.B. bei Manufactum noch bzw. wieder Blasebälge aus echter Tierhaut zu bekommen sind. Die wenigen, wunderlichen Leute, die einen Blasebalg besitzen wollen, werden doch tunlichst darauf achten, den real deal zu kaufen.

Auf der Suche nach Beispielen für "Dinge, die nicht mehr aus dem Material hergestellt werden, nach dem sie benannt sind", habe ich mir das Periodensystem der Elemente gegriffen und bin es durchgegangen. Fündig bin ich dabei nicht gefunden, stattdessen musste ich etwas Bemerkenswertes feststellen, nämlich dass bereits mit der Ordnungszahl 23 ein Element auftaucht, von dem ich noch nie gehört hatte: Vanadium. Wie konnte mir das jahrelang entgangen sein? Haben wir in der Schule nie darüber gesprochen, wurde es nicht mal erwähnt? Viel wichtiger: Warum heißt Vanadium Vanadium? Laut der herrlichen Etymologischen Liste der chemischen Elemente benannte der Schwede Nils Gabriel Sefström das Element "nach Freya, der nordischen Göttin der Schönheit, die den Beinamen Vanadis trug". Woher Vanadis kommt, steht dort leider nicht; eine schnelle Recherche ergibt, dass der Beiname "Vanengöttin" bedeutet. Die Etymologie des Göttergeschlechtes der Wanen (altnordisch Vanir, "die Leuchtenden") zu recherchieren, würde mir Spaß machen, ich habe aber gerade keine Zeit dafür.

Übrigens habe ich zweimal bei Google "Dinge, die nicht mehr aus dem Material hergestellt werden, nach dem sie benannt sind" eingegeben. Oben tauchte, wie es seit einiger Zeit üblich ist, ein Block mit Antworten von einer generativen KI auf. Beim ersten Versuch wurden mir als Beispiele "Filme" und "Musik" angeboten, beim zweiten faselte der Bot etwas von geplanter Obsoleszenz. Die "Künstliche Intelligenz" versteht also nicht mal, worauf ich eigentlich hinaus will. Deaktivieren lässt sich der Mist freilich nicht.

Dienstag, 6. Mai 2025

Speyseeis


Diese Eispreisliste aus der FAZ ist insofern nicht sehr aussagekräftig, als für die Erhebung nur 123 Eisdielen/-cafés in 41 Städten gemustert wurden, zudem bereits 2024. In diesem Jahr dürfte der Durchschnittspreis für eine Kugel noch höher liegen. Sehr gefreut habe ich mich am Sonntag. Da war ich nämlich im schönen Speyer, wo an jedem Eisstand, an dem ich vorbeikam, für das Bällchen faire 1,50 € berechnet wurden. Ich wählte eine Kugel Lotus (Biscoff) und eine Kugel Spaghetti-Eis (!). Beide haben vorzüglich geschmeckt.

 

Sonntag, 4. Mai 2025

Die Crème der Unendlichkeit

Vor einigen Wochen habe ich einen leichten Riss an meinem Fuß mit dem Inhalt aus dieser Dose behandelt; man beachte das Ablaufdatum des Produkts:



Als ich die Dose zuschraubte, dachte ich: Wenn die leer ist, dann ist die erste Sekunde der Ewigkeit vergangen. Diesem Bild zugrunde lag natürlich die bekannte Erzählung von dem Vogel, der alle hundert Jahre seinen Schnabel an einem Berg wetzt – die erste Sekunde der Ewigkeit sei vergangen, sobald der Berg vollständig abgetragen sei. Aus welchem Märchen der Gebrüder Grimm stammt diese Analogie eigentlich?, fragte ich mich und recherchierte es. Antwort: Aus dem Märchen "Das Hirtenbüblein" (KHM 152). Und das ist nun ein wenig unheimlich, denn ein Hirte, wenngleich ein ausgewachsener, ist es ja, der den Deckel der Penaten-Dose ziert. Das oben zu sehende Logo ist allerdings veraltet! Seit 2009 begleitet den Schäfer nicht mehr ein Hund, sondern ein Schaf.

(Bild der Penaten-Website entnommen)

Freitag, 2. Mai 2025

Serientagebuch 04/25

01.04. Family Guy 23.08
The Simpsons 36.12
02.04. The Walk-In 1.01
The Walk-In 1.02
04.04. Severance 2.08
Severance 2.09
05.04. Family Guy 23.09
07.04. The Simpsons 36.13
The Walk-In 1.03
The Walk-In 1.04
09.04. Person of Interest 3.17
Severance 2.10
The Walk-In 1.06
11.04. Family Guy 23.10
13.04. Squid Game 2.05
14.04. After the Party 1.01
The Simpsons 36.14
15.04. Doctor Who 15.01
After the Party 1.02
18.04. Person of Interest 3.18
19.04. Jack Ryan 1.01
20.04. After the Party 1.03
Doctor Who 15.02
21.04. After the Party 1.04
22.04. Jack Ryan 1.02
24.04. Common Side Effects 1.01
Common Side Effects 1.02
After the Party 1.05
After the Party 1.06
26.04. Lost 1.14 (RW)
28.04. Common Side Effects 1.03
Common Side Effects 1.04
Person of Interest 3.19
29.04. Family Guy 23.11
Jack Ryan 1.03
30.04. Common Side Effects 1.05
Doctor Who 15.03
The Simpsons 36.15

Ich hatte mir nach der langen Pause, die der ersten Staffel von Severance folgte, noch einmal ein Review-Video zu jener angeschaut und war erstaunt darüber, wie viel da bereits passiert! Und auch in der famosen zweiten Season geht es ereignisreich, vertrackt, mysteriös und mind-blowing weiter. Eine ganz, ganz besondere Serie, mehr habe ich dazu nicht zu sagen. Apple übertrifft sich ständig selbst.
Halt, eins hätte ich dann doch noch (kritisch) anzumerken: Die Staffel hätte mehr Kuhglocken, Quatsch; mehr Christopher Walken vertragen können!

Die ganze Welt redet seit Wochen über "Adolescence", und auch ich werde mir dieses (buchstäbliche) Pflichtprogramm irgendwann, wenn der Hype verflogen ist, zu Gemüte führen. Zuvor wollte ich allerdings eine andere Miniserie mit Stephen Graham – der ja immer ein Garant für Hochkarätiges ist – nachholen: The Walk-In von 2022. In dieser auf realen Ereignissen um die rechtsterroristische Organisation National Action beruhenden ITV-Produktion spielt Graham einen Neonazi-Aussteiger, dem sich ein Mitglied genannter Gruppierung anvertraut, als diese einen Mord an einer Politikerin plant.
"The Walk-In" (mir ist immer noch keine adäquate Übersetzung dieses Substantivs eingefallen) ist angemessen spannend, gut gespielt und verzichtet sowohl auf moralische Gemeinplätze als auch auf ein sozialromantisches Dénouement.
Geschrieben hat den Fünfteiler der oscar-nominierte Brite Jeff Pope, der in der Vergangenheit Drehbücher wie das für "A Confession" oder auch für mehrere Steve-Coogan-Filme (zuletzt "The Penguin Lessons") verfasst hat.

Harter Tobak ist After the Party, ein neuseeländisches Thriller-Drama, bei dem man bis zur letzten Folge nicht weiß, was die Wahrheit ist und auf wessen Seite man als Zuschauer sein "soll". Starker Cast.

Mittwoch, 30. April 2025

Der Stoff, aus dem die Wörter sind

Ein xkcd-Cartoon von neulich hieß "Anachronym Challenge". Das Fachwort Anachronym war mir bisher nicht bekannt (es scheint in der deutschen Linguistik nicht etabliert zu sein), es wird aber klar, was damit gemeint ist. Die Challenge besteht darin, eine Einkaufsliste zu erstellen, die nur aus Dingen besteht, die nicht mehr aus dem Material hergestellt werden, nach dem sie benannt sind:


Beispiel: Tin foil bezeichnet heute üblicherweise Alufolie und eben keine Folie aus Zinn (tin). Wie ich soeben gelernt habe, existiert auch im Deutschen das Wort "Zinnfolie" als Synonym für Stanniol und wird ebenfalls "umgangssprachlich auch für Folien aus Aluminium (Alufolie) verwendet". Für weitere Erklärungen s. "Explain xkcd".

Was käme neben Zinnfolie noch auf eine deutschsprachige Entsprechung dieser Liste? Als erstes fällt mir da der Bleistift ein, dessen Mine seit dem 19. Jahrhundert "aus einem Graphit-Ton-Gemisch gebrannt" wird (Wikipedia). Der Gipsverband "wird fast nur noch zur kurzzeitigen Fixation verwendet. Bei längeren Behandlungen werden inzwischen überwiegend Kunststofffasern mit Kunstharz verwendet", aber auch wer einen solchen Verband trägt, wird der Einfachheit halber nach wie vor von "Gips" sprechen. In Klammern setzen würde ich, auch im Original, die Brillengläser: Wohl sind mittlerweile solche aus Kunststoff eine gern gewählte Lösung (auch bei meinem Modell), doch werden Gläser aus echtem (mineralischen) Glas immer noch "aufgrund ihrer außergewöhnlichen Kratzfestigkeit verwendet. Zudem sind sie für den Endkunden günstiger als vergleichbare Kunststoffe. Bei starker Fehlsichtigkeit ermöglichen sie außerdem eine Korrektur mit verhältnismäßig dünnen Gläsern" (zeiss.de). Aus dem Bereich der Lebensmittel wäre die Hirnwurst oder auch Bregenwurst zu nennen: So sagt man u.a. in Teilen Frankens zu Gelbwurst, obwohl die traditionelle Verarbeitung von Gehirnen freilich längst nicht mehr erlaubt ist (vgl. Zervelatwurst). Weiter: "Da echte Kreide relativ teuer ist, wird Tafelkreide heute meistens aus Gips (Calciumsulfat) oder Magnesiumoxid hergestellt, auch Mischformen kommen vor" (Wikipedia). (In diesem Zusammenhang möchte ich euch die Information nicht vorenthalten, dass in der Lampertheimer Schillerschule die letzte Kreidetafel im Landkreis Bergstraße abgehängt wurde, womit nun alle Schulen des Kreises auf digitale Tafeln umgestellt haben. [FAZ-Meldung vom 28. April]) Kreide taucht ja auch in der Vorlage auf, aus welcher ich zusätzlich das Bügeleisen und die Badeschwämme übernehmen würde ("in den allermeisten Fällen sind sie aber durch Kunststoffschwämme ersetzt worden").

Welche Items fehlen noch? Welche "Anachronyme" kommen euch in den Sinn?

Montag, 28. April 2025

Einkauf aktuell

Auch im zweiten Quartal 2025 hält uns der Würgeengel namens Inflation firm in seinem pestigen Griff. Strategisch kluges Shoppen und Bevorraten ist weiterhin geboten, Woche für Woche gilt es, die besten oder zumindest am wenigsten unverschämten Lebensmittelpreise aufzuspüren. Man muss Prospekte wälzen und die Einkäufe auf zwei, drei, vier Supermärkte aufteilen. Ungläubig denke ich an Zeiten zurück, wo ich einfach so in einen beliebigen Markt gegangen bin und alles gekauft habe, wonach mir gerade der Sinn stand. Heute hole ich mir fast ausschließlich Dinge, die im Sonderangebot sind. Gottlob gibt es brauchbare Angebote fast immer, so dass ich kaum auf etwas verzichten muss. Am ärgsten ist es allerdings zurzeit um gemahlenen Kaffee bestellt. Nur ein einziges Mal im vergangenen Monat war das Pfund für unter 5,- Euro zu haben. Was hingegen ständig irgendwo im Preis gesenkt ist: Müsli, Margarine, Chips, Brot, Marmelade, Pasta, Tee; die Basics mithin.

Von allen Supermärkten in meiner Umgebung überzeugt mich unverändert Lidl am stärksten, hier wird man stets fündig und braucht dank wechselnder Thementage (Spezialsortimente à la Spanien, Griechenland, Österreich etc.) keine Eintönigkeit zu befürchten. Bei Rewe finde ich mich trotz abgeschafftem Payback-System ärgerlicherweise noch erstaunlich oft ein, Netto ist von allen Discountern der billigste, was sich leider auch in Zustand und Atmosphäre der Ladenräume spiegelt, Tegut wartet regelmäßig mit echten Schnappern auf, Aldi ist solide, nur Penny hat seine Chancen bei mir auf ewig verspielt (nie sind die im Prospekt verheißenen Angebote vorrätig).

Samstag, 26. April 2025

Traumata auf Papier

Es ist mal wieder Zeit für Mikro-Entrümpelung. Zwei dicke Aktenordner aus der Schulzeit wollen der Mülltonne überführt werden: Mitschriften, Arbeitsblätter und Hefterinhalte aus den Klassenstufen 10 bis 12. Vor dem Entsorgen werde ich den Stoß freilich noch einmal durchgehen. Jetzt. Live.

Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: So viel Wissen, wie uns während der Schulzeit eingetrichtert wurde, waren wir, war zumindest ich später nie wieder ausgesetzt. Das kann doch nicht gut sein für junge Gehirne! Vor allem ist es ja nicht bei der Wissensvermittlung geblieben, es ging ständig mit Wissensabfrage einher. Keine Woche ohne irgendeine Klausur, einen Überraschungstest, einen Aufsatz, dazu täglich Hausaufgaben. Mein Studium war selbst in Hochdruckphasen nicht ein Zehntel so fordernd und strapaziös wie die verfluchte Schulzeit.

Hier sind exemplarisch einige Dinge aufgelistet, mit denen ich mich zwischen 1996 und 2000 allein in den Fächern Geschichte, Englisch, Biologie, Deutsch, Religion und Chemie befassen musste – und da lasse ich "große" und zweifelsohne wichtige Themenfelder wie die Französische Revolution, Kants Aufklärungsbegriff oder den Kohlenstoffkreislauf schon weg:

  • Verfassungsvergleich Paulskirchen- und preußische Verfassung von 1850
  • John Lockes System nach der "Notwendigkeit der Kontrolle staatlicher Gewalt"
  • Lothar Galls Einwände gegen Bismarcks Konzeption von Außenpolitik
  • Transport durch Biomembranen; Endocytose, Exocytose
  • alkoholische Gärung bei Hefepilzen unter Decarboxylierung
  • Bernhard von Clairvaux' "Vom Lob der Tempelherrn"
  • Nachweis von Halogenid-Ionen
  • Interpretation ausgewählter Werke von Paul Lisicky, Peter Porter, Langston Hughes
  • der Gedanke der Gottesebenbildlichkeit und seine Ursprünge in der altorientalischen Königstitulatur
Es ist irre, an wie viel ich mich nicht mehr erinnern kann. Offenbar gehörten einst Wörter wie Turgor, Zupfpräparat und Guttation zu meinem aktiven Wortschatz. Und wenn ich mir meine hundert Seiten Notizen und Berechnungen aus dem Mathe-Grundkurs ansehe, denke ich: Welches fieldsmedaillenwürdige Genie hat das denn gelöst? Außerdem denke ich: Mensch, vieles, was auf dem Lehrplan stand, ist gar nicht mal uninteressant! Gerade was Geschichte angeht, wünschte ich mir, ich hätte damals besser aufgepasst. Ich hätte erst mit Anfang 20 eingeschult werden sollen!

Nach wie vor sterbenslangweilig finde ich das meiste, was uns in Geographie vermittelt wurde, nämlich keineswegs spannende landeskundliche Fakten, sondern dröge Geologie. Ebenfalls kaum zu begeistern vermochte mich Biologie. Allzu oft war ich im Unterricht mit den Gedanken woanders, wovon die zahlreichen Scribbles in den Blättern aus der Sekundarstufe II zeugen:




Wenn mikroskopisches Zeichnen anstand, machte mir das dann aber weder Spaß noch konnte ich darin glänzen. Hierfür zum Beispiel habe ich 10 Notenpunkte bekommen, was sogar eine meine besseren Leistungen war:


Schwamm drüber, Strich drunter, Deckel zu.

Donnerstag, 24. April 2025

TITANIC vor zehn Jahren: 5/2015

Ein Cover, das vermutlich die meisten heute leider nicht mehr verstehen. Dass sich Hamburg 2015 für die Ausrichtung der Olympischen Spiele bewerben wollte bzw. nicht wollte (und nun voraussichtlich bewerben wird), hat man womöglich auf dem Schirm, aber an die Geschehnisse in einem sachsen-anhaltinischen Dorf erinnern zehn Jahre später nur vereinzelte Medien. Wir dachten damals, "Tröglitz" würde zu einer schandvollen Chiffre wie "Rostock-Lichtenhagen", "Solingen" und "Mölln" werden, aber ach!, schon bald sollte Tröglitz nur einer von vielen, vielen dunkeldeutschen Orten sein, aus denen ähnliche Taten vermeldet (bzw. irgendwann nurmehr unter "Vermischtes" verbucht) wurden.

Nach einer bitteren Anzeigenparodie von Tim Wolff und mir (S. 14/15) sowie Moritz Hürtgens Parodie auf die SZ-Protokolle des NSU-Prozesses (S.16ff.) dürfte die Laune der Lesenden dann vorerst auf dem Tiefpunkt angekommen sein. Sie wird gehoben dank der Fotostory um den tränenvollen "Volksseelsorger" Joachim Gauck ("Ein Quantum Gauck", Hauck/Wolff, S. 24ff.):


Auf S. 39 folgt der nächste Downer in Gestalt einer fünfseitigen Spezialausgabe des Lufthansa-Magazins, in welchem ich zusammen mit E. Hauck, M. Hürtgen und L. Riegel den von einem psychisch kranken Co-Piloten vorsätzlich herbeigeführten Absturz einer Germanwings-Maschine verarbeitete. Einer angemessen geschmacklosen bunten Strecke mit u.a. einem Domian-Interview und einem Gewinnspiel ("1. Preis: Ein Wochenende am Broadway für 2 Personen inkl. Hin- und Rückreise mit der Bahn und Tickets für das Musical 'Einer flog ins Kuckucksnest'; 2. Preis: Zehn Gratis-Stornierungen; 3. Preis: Ein unverwüstliches Kofferset von Samsonite ... Angehörige von Lufthansa- und Germanwings-Mitarbeitern sind aus Pietätsgründen ausnahmsweise nicht ausgeschlossen") ging ein Grußwort des Lufthansa-Chefs Carsten Spohr voraus:


"Die Entwicklung der 3D-Printer ist erstaunlich. Eben noch spuckten sie primitive Aschenbecher und Serviettenhalter aus, jetzt komplexe Aschenbecher und Serviettenhalter. Und was wird morgen sein?", fragte sich Ella Carina Werner und stelle auf der Doppelseite 32/33 "Schönes aus Kunstharz" vor. Besonders erfreut hat mich, dass das sagenhafte Inzest-Foto aus der Januarausgabe noch einmal verwertet werden konnte.


In die neue Folge von Elias Haucks Schnipselseite (S. 47) hat es diesmal eine Spende von mir geschafft: Es handelt sich natürlich um das "Ohne Worte"-Abreißkalenderblatt.

Noch einmal zurück zum Anfang des Heftes: Ich finde im Rückblick, dass jeder der drei "Abgelehnt"-Titel besser gewesen wäre als die tatsächliche U1!


Weiteres Notierenswertes
- April 2015 war der Monat, in dem Günter Grass starb (s. Editorial). Noch bevor ich die Todesnachricht im Internet las, hörte ich sie aus dem Munde Martin Sonneborns, denn ich absolvierte da gerade mein EU-Praktikum.
- Der Umblättercartoon im Essay stammt diesmal erneut von Stephan Rürup und ist ein echter Hingucker in Holzschnitt(!)-Optik.
- Ein Egner-Gemälde als Poster in der Heftmitte, das hat man auch nicht alle Tage!
- Eckhard Henscheid über den "Sonderfall Söder" (S. 36-38): "Heute schon prangt dings... äh: Söder, mit Würd' und Hoheit angetan, gerüstet zudemlich mit beinhärtester Chuzpe auf seinem güldenen Thron und Kothurn im Nürnberger Heimatmuseum bzw. vielmehr -ministerium. Und diese ganze mistige CSU-Bagage, diese verfickte, im fernen München, die hält er sich dort tadellos auf Distanz vom Leibe. Der Kopf von Söder ist zwar seit ca. 2012 frappant machtvoll ausgewuchtet, ja, wie verschiedentlich versichert wird, schon als ein rechter Saukopf zu deklarieren. Aber das ist übertrieben. Vielmehr gemahnen Air und Gesichtsmuskelspiel samt souveräner Grinsgrimassen an Donald Duck oder an eine Barbiepuppe oder aber auch an Schweinchen Schlau."
- Zum Glück führe ich penibel Buch über jeden einzelnen meiner Titanic-Beiträge. Nie im Leben wäre ich heute darauf gekommen, dass die Idee für Elias Haucks Cartoon "Kukident für Elefanten" (S. 57) von mir stammte. Aber so steht's geschrieben.

Schlussgedanke
Ein recht deprimierendes Zeitzeugnis, dieses Heftchen. Trotzdem gibt's wie gehabt ein paar solide Lacher. Note 4+.