Donnerstag, 25. Juli 2024

TITANIC vor zehn Jahren: 8/2014

Yippie, ein Sommerlochtitel! Aber keineswegs ein Sommerlochheft – es gibt viel zu erzählen.


Quietschvergnügt habe ich den Aufmacher wiedergelesen, eine Telefonaktion. Der Islamische Staat war gerade drauf und dran, den Irak, die Levante und mittelfristig den Rest der Welt zu unterwerfen, also riefen wir schon mal in diversen Örtchen im Rhein-Main-Gebiet als "konsularische Vertretung" an, um uns nach "Repräsentativgebäuden" für das abgespaltene Kalifat sowie der allgemeinen Aufgeschlossenheit diesem gegenüber zu erkundigen. Als Krönung kontaktierten wir auch noch einen Hüpfburgverleih und eine Konditorei, auf dass die anstehende Konsulatseröffnung angemessen gefeiert werden konnte ("... würden wir gerne eine Hüpfburg mieten. Haben Sie etwas, das vielleicht so ein bißchen in Richtung Moschee geht?"). Zu unser aller Fassungslosigkeit erklärte sich tatsächlich eine Konditorin bereit, eine ISIS-Torte anzufertigen.



Das gute Stück wurde ganz knapp vor Redaktionsschluss fertig; Tim Wolff und ich holten es mit dem Auto ab und verzehrten es bildmächtig (und nicht ohne Genuss).


In der gegenwärtigen Fast Fashion-Ära leider erfolgreich verdrängt wurde, dass 2014 wiederholt in Kleidungsstücken von Primark Einnäher mit Hilferufen entdeckt worden waren. (Ein solches Sweatshop-Etikett ist im Humboldt Labor des neuen Berliner Humboldt-Forums ausgestellt.) Mark-Stefan Tietze und ich spannen diese Ungeheuerlichkeit weiter: "In immer mehr Branchen melden sich Zwangsarbeiter und andere Ausgebeutete heimlich zu Wort!" (S. 24-25)


Eine arg freidrehende Parodie, deren Vorlage man heute kaum noch auf dem Schirm hat (die rotzigen, überlangen Abfuck-Reportagen von Vice), findet sich auf S. 32f.: "Wir haben eine todkranke Frau getroffen, die uns mit ihrem Lebenswillen einfach umgehauen hat, oder: Wenn du jeden Morgen mit dem Gefühl aufwachst, daß in deinem Kopf gerade eine Monster-Truck-Rallye stattfindet, ist es dir vollkommen egal, wenn dich deine eigene Mutter einen Spast nennt". Dass Elias Hauck der Verfasser ist, darf hier und heute verraten werden und ist von Insidern gewiss schon damals entschlüsselt worden.


Das erste Motiv in einer kurzlebigen, aber hübschen Anzeigenkampagne ("Eine Initiative der Gesellschaft zur Komplexitätsreduktion und des Verbands deutscher Kabarettisten, Witztreibender und Stammtisch-Clowns"), ins Leben gerufen, glaube ich, vom Chef persönlich:


Hier kommt eine meiner Lieblings-"55ff"-Titelseiten:


Die Idee dazu hatte Moritz Hürtgen, und es war herrlich zu erleben, wie Tom Hintner von uns dazu gebracht wurde, sich auf der Straße in alberner Gewandung ablichten zu lassen – üblicherweise ist es andersrum.

Stolz auf mich selbst bin ich wegen dieses Witzes im "55ff"-Innenteil:


Zu guter Letzt muss es noch einmal um mich gehen. In die beliebte Rubrik "TITANIC intern" (S. 5) hat sich nämlich folgende Unverschämtheit eingeschlichen:


Weiteres Notierenswertes
- Mit dieser Ausgabe ist Titanic zum ersten Mal nach sieben Jahren teurer geworden: um 50 Cent.
- 4 Euro hingegen kostete eine Ausgabe, wenn man sie in der hier (S. 11) erstmals beworbenen Neuheit namens TITANIC-App las. Im August 2024 feiert diese App also schon ihr Zehnjähriges!
- Noch ein Jubiläum: Die PARTEI wurde 2014 zehn Jahre alt. Ich kann schon jetzt verraten, dass am 3. August 2024 in Köln eine "20 Jahre Die PARTEI"-Party steigt.
- Haha, wir befinden uns in der Phase, wo J. Gauck zusehends den Verstand verliert. Es sei im "Kampf für Menschenrechte oder für das Überleben unschuldiger Menschen [...] manchmal erforderlich, auch zu den Waffen zu greifen", sagte der Christ am 14. Juni dem Deutschlandfunk, worauf mit einem "Brief an die Leser" (S. 6f.) und dem Alternativtitel auf der Rückseite angemessen repliziert wurde.
- Ein (nicht von mir abgefasster) Brief an Günter Grass wiederum nimmt auf die legendäre Kuckucks-Aussage im Focus Bezug. Das hat sich allein für die wunderschöne Vignette von Hilke Raddatz gelohnt (S. 10)!
- Auf S. 29 befasse ich mich mit der sog. Weltformel. Auf den erwartbar albernen Aufsatz hin erreichte mich einige Monate später ein mehrseitiger Brief, in dem mir ein wunderlicher Herr nicht nur seine eigene Weltformel verriet (sie ist ca. eine Zeile lang), sondern mir obendrein auseinandersetzte, warum E=mc² "nicht komplett" ist ("es fehlt die dunkle Energie!!"), die Schwerkraftdefinition falsch ist ("KEINE KRAFT!"), die Keplerschen Gesetze upgedatet gehören und die Hubble-Konstante zu korrigieren ist.

- Nicht gedacht hätte ich, dass der Ärztemangel auf dem Land schon vor zehn Jahren akut war (S. 36-39)!
- Auf Seite 41 steht ein weiterer Beitrag, der unter Pseudonym verfasst worden ist: "Neues vom Tod" von einem "Johnny B. Dead". Dahinter verbirgt sich ein ehemaliger Redakteur, der seit den frühen 1980ern für Titanic geschrieben und selbst noch unter meiner Ägide allmonatlich "Briefe an die Leser" eingesandt hatte, bevor er sich 2018 in den Ruhestand verabschiedete.
- Zu meinen Lieblingstexten in dieser Nummer gehört "Halb und nackt gesellt sich gern" von Michael Ziegelwagner (S. 42-43). Ich würde ihn gerne auszugs(!)weise zitieren, kann mich aber für keine Stelle entscheiden; man muss ihn in toto genießen.
- Das zwote Gedicht in Folge, in dem Wurst ein Motiv ist: "Langsonett von der evangelischen Pommesbude", Th. Gsella, S. 54.

Schlussgedanke
Abermals eine lohnende Revisitation.

Mittwoch, 24. Juli 2024

... und das Schlechteste von heute

Im Grunde macht mir Granteln und Mosern gar keinen Spaß mehr, und an Kulturpessimismus liegt mir so wenig wie daran, anderen ihre Lieblingsmusik madig zu machen. Nachdem ich in letzter Zeit aber mal wieder viel zu lange deutsches Dudelradio gehört habe, müssen wir ein Wort über aktuelle Coverversionen verlieren.

Sakra, ist das alles scheiße. Nichts, aber auch nichts fügen moderne Covers den alten, oft ohnehin abgedroschenen Hits hinzu. Produktion und Arrangement erreichen kaum das Niveau von Neunzigerjahre-Kirmestechno. Bereits zwei Jahre ist es her, dass ich in einem Supermarkt war, der als Hintergrundbeschallung u.a. eine Neuinterpretation des fucking Lambada laufen ließ; "Night Away (Dance)" hieß das Machwerk. Ich blieb einen Moment wie versteinert stehen und fragte mich, wer darauf wohl gewartet hatte. Von Mainstream-Privatsendern rauf und runter gespielt werden zurzeit eine Billo-Bearbeitung von Kim Wildes "Cambodia" sowie eine Bums-Collabo von One Republic und David Guetta, in der die Melodie von "Dragostea din tei" verwurstet wird. Auch wurde ich neulich Ohrenzeuge einer Trash-Fassung von "Narcotic" (Liquido) sowie eines Remakes des schon im Original stark meine Nerven strapazierenden Cutting-Crew-Gejaules "(I Just) Died In Your Arms".

Schluss damit! Fordert:
Euer Nörgel-Opa (Generation Y)

Montag, 22. Juli 2024

Word of the day (vor 20 Jahren)

In der "Jeopardy!"-Sendung vom 25. Juni 2004 wurde folgende Frage in der Kategorie "Coined Words & Phrases" gestellt (von mir ins Deutsche übersetzt):

Spam ist unerwünschte Werbung per E-Mail; das ist unerwünschte Werbung, die über einen Instant-Messaging-Dienst versandt wird

Wer mit "Was ist Spim?" geantwortet hat, darf sich 800 $ einstreichen. Von den drei Kandidaten damals, darunter Rekordsieger Ken Jennings, ist keiner drauf gekommen. Hat irgendwer, der hier mitliest, jemals von Spim gehört? Mir jedenfalls ist dieser Neologismus im "Jeopardy!"-Archiv zum ersten Mal begegnet. Der einzige Eintrag, den die Google-News-Suche nach "Spim" ausspuckt, stammt – ebenfalls – aus dem Jahr 2004. In einem Spiegel-Artikel heißt es, ungewollte Werbeanrufe über Voice-over-IP, "VoIP Spam" oder "Spit" genannt, könnten sich einer Softwarefirma zufolge bald zu einer Plage auswachsen. "Spit, so die These, könnte der Nachfolger von unerwünschter Werbung per E-Mail (Spam) und Instant Messenger (Spim) werden."

Es spricht nichts dagegen, einen neuen Ausdruck mit "ein wenig" Verspätung zu etablieren. Von jetzt an werde ich an der Verbreitung von "Spim" aktiv mitwirken. (Ich bin ja auch einer der wenigen Menschen, die das Adjektiv sitt für den Zustand des Nicht-mehr-durstig-Seins verwenden. Kurios: Ein kurzer GSV-Strang zu diesem Komplex ist auch 2004 erstellt worden.) Belästigung per Messenger ist virulent wie nie zuvor. Allein in den letzten drei Monaten erhielt ich dreimal via Telegram und zweimal über Whatsapp Spim, von "Absenderinnen" wie "Karlotta Meier" ("Hallo! Wir_haben_Angebot_Remote-Arbeit. Teilzeit/Vollzeit. Entschuldigen Sie, kann ich Ihnen die_Details? Ja/ok?"). Sollte ich das nächste Mal unter Leuten sein, wenn ich derlei empfange, werde ich laut ausrufen: "Boah, schon wieder Spim!"

Samstag, 20. Juli 2024

Aus der Satirewerkstatt

Dieser Bericht entstand nicht nur mit Billigung, sondern nach ausdrücklicher Anregung von Michael Ziegelwagner.

In der Titanic-Redaktion ist es meine Aufgabe, die Rubrik "Das politische Gedicht" zu füllen. Dazu bestelle ich jeden Monat in der ersten oder zweiten Woche bei einem verdienten Heftlyriker meiner Wahl, i.d.R. ohne Themenvorgabe, einen knackigen Mehrzeiler; notfalls muss ich, wie im Juni geschehen, selbst zur Feder greifen.

Am 9. Juli fragte ich ebendeswegen in Wien bei M. Ziegelwagner an. Schon am Abend des 11.7. kam die Lieferung, in nicht weniger als "drei Versionen, einmal formal locker, einmal formal streng, einmal ein Kompromiß". Und so ging es:

Prinzip Hoffart

Abgesagt: Le Pens Triumphmarsch.
Abgewählt: der Tory-Staat.
Im Iran verliert der Dumpfarsch
geg’n den Mann, der moderat*).

Staunend reibt man sich die Augen:
Weil die Hoffnung Nahrung kriegt,
dass die Umfragen nicht taugen.
Dass am End’ Vernunft obsiegt.

Dass am End’ auch in Amer’ka
Rechtsstaat (Biden) triumphiert!
Und dass Trump, dieser Berserker,
am Wahltag einem Atten-
tat zum Opfer fällt, auf der 5th
Avenue angeschossen, im Staub liegengelassen, plattgetrampelt,
von einem streunenden Puma beschnuppert, geschändet, mit sechs verschiedenen venerischen Krankheiten infiziert,
nach vielen Stunden Röchelns, Kotzens, Blutverlustes,
überrollt von zwölf Dampfwalzen,
aufgeschaufelt,
von einem Trommelhäcksler zerhäckselt,
zu Viehfutter verarbeitet,
wieder herausgeschissen, als Dünger für ein Baumwollfeld verwendet
und somit als Präsident
verhindert
wird.

M.Ziegelwagner, Ernst-Bloch-Lehrstuhl für Democracy, Kalamazoo County

*) Mossad Peschesskian (oder so)
In der als formal strenger angekündigten Fassung stellte sich die dritte Strophe wie folgt dar:
Dass am End’ auch in Amer’ka 
Rechtsstaat (Biden) triumphiert! 
Und dass Trump, diesen Berserker, 
einer abknallt und ihn röchelnd  
auf der Straße liegenlässt, wo-
rauf ein tollwütiger Puma 
ihn beschnuppert, ableckt, schändet, 
und mit Dutzenden Geschlechtskrank-
heiten infiziert, wodurch die 
Sau nach vielen Stunden Leidens, 
Zeterns, Kotzens, Blutverlustes, 
überrollt von sechs Dampfwalzen, 
plattgetrampelt, aufgeschaufelt,
und von einem Trommelhäcksler 
fein zerhäckselt, als Viehfutter 
dienend, aufgefressen, ausge-
schissen, düngend ein Baumwollfeld
als Präsident 
verhin-
dert 
wird.
... während die Kompromiss-Version so auslief:
Dass am End’ auch in Amer’ka 
Rechtsstaat (Biden) triumphiert! 
Und dass Trump, diesen Berserker, 
einer abknallt und ihn röchelnd 
auf der Straße liegenlässt, worauf ein 
streunender Puma ihn be-
schnuppert, ableckt, schändet, 
und mit Dutzenden venerischen Krank-
heiten infiziert, wodurch die 
Sau nach vielen Stunden Leidens, 
Zeterns, Kotzens, Blutverlustes, 
überrollt von sechs Dampfwalzen 
plattgetrampelt, aufgeschaufelt 
und von einem Trommelhäcksler 
fein zerhäckselt, als Viehfutter 
verwendet, aufgefressen, wieder ausge-
schissen und ein Baumwollfeld düngend 
als Präsident ver-
hindert 
wird. 
Alles sehr schön, befand ich, und nahm die erste ab. Am folgenden Sonntagmorgen erfuhr das noch schläfrige Mitteleuropa, dass D. Trump bei einer Wahlkampfveranstaltung von einem Attentäter angeschossen worden war. Ein paar Stunden später – ich befand mich gerade wandernd im Taunus – erreichte mich eine SMS von Michael: "Hm, jetzt wirkt mein politisches Gedicht irgendwie merkwürdig." Dem stimmten am Montag Chefredakteurin Julia Mateus und ich zu. Es wurde beschlossen, ein Ersatz-Poem abzudrucken.

Das ursprüngliche Werk dem Giftschrank zu überantworten, hätte ich nun aber doof gefunden. Ich schlug Michael vor, er solle es wenigstens (samt Einordnung) auf Facebook veröffentlichen, worauf er meinte, nee, wenn, dann lieber auf deinem (also meinem) Blog! Und hier isses nun. Was aber wird im Augustheft der Titanic zu finden sein? Das, liebe Leserinnen und Leser, erfahrt ihr am 27. Juli.

Donnerstag, 18. Juli 2024

What's that(')s?

Letzte Woche bin ich im Something-Awful-Forum über folgenden Satz gestolpert:

One could almost say that Ozymandias is an inscription that's message has been rendered ironic by the passage of time and history...

"Muss es nicht 'an inscription whose message' heißen?", dachte ich. Bisher war mir that's ausschließlich als Kurzform von that is begegnet, noch nie als Possessivpronomen. Bzw. genauer: als relative possessive. Man braucht nicht tief zu graben, um Erklärungen zu Tage zu fördern: Auf der Seite der Uni Yale findet sich ein anschaulicher, konziser und leicht verständlicher Abriss des Phänomens. Kurzum: "Some English speakers", nämlich in den USA, Teilen Kanadas, in England, Schottland und Australien, akzeptieren und verwenden that's anstelle von whose.

Ich möchte hier nicht alle Unterpunkte hineinkopieren, festhaltenswert erscheint mir vor allem:
1. dass das Wort mitunter, analog zu its, als thats verschriftlicht wird;
2. dass Experimenten zufolge Kinder eher bereit sind, that(')s mit Substantiven zu verbinden, die Unbelebtes bezeichnen, als mit solchen, die Belebtes bezeichnen. "The children's preference for inanimate nouns might be related to the presence of an animacy distinction in the relative pronouns in English who (for animates) vs. which (for inanimates), since which does not have a possessive form". Das scheint Englisch-Frischlingen generell so zu gehen, oder? Mir jedenfalls kam whose in Bezug auf Dinge/Gegenstände sehr lange irgendwie unnatürlich vor (so wie mir auch that als Relativpronomen-Alternative zu who komisch vorkam).
3. dass that's historisch aus that his hervorgegangen ist, wie anhand des inhaltlich unerfreulichen Beispiels "dhe maan ut hiz bairn deed" = "the man that his child died" gezeigt wird. "The idea is that the ’s on that’s started out as a weakened form of his. Then the use of that’s was extended to feminine and neuter nouns as well".

Martinez, Randi and Jim Wood. 2023. Relative possessive that's. Yale Grammatical Diversity Project: English in North America. (Available online at http://ygdp.yale.edu/phenomena/. Accessed on 2024-07-17

Dienstag, 16. Juli 2024

Neues Altes (Mai-Juli 2024)

Ich habe wieder jede Menge für euch ausgegraben ... Also, nicht ich, aber ... seht selbst.
  • Archäologen entdecken Fresken mit Bildern zum Trojanischen Krieg ("Spiegel online", 11. April; in der letzten Ausgabe durchgerutscht) Der "schwarze Raum" hat eine Fläche von 15 mal 6 Metern und wird so genannt, weil seine Wände schwarz gestrichen wurden, wohl zwecks Unkenntlichmachung von Öllampenruß. Er "ist mit einem Mosaikboden versehen und befindet sich demnach in einem ehemaligen Privathaus in der Via di Nola, der längsten Straße des antiken Pompeji." Bei den Motiven handelt es sich um Szenen aus der Ilias.
  • Der pazifistische Springer (Süddeutsche Zeitung, 4. Juni) Unter einer mittelalterlichen Befestigungsanlage im Landkreis Reutlingen wurde eine fast 1000 Jahre alte Schachfigur gefunden, ein aus Horn geschnitztes Pferd.
  • Vermutlich größte Felsgravuren der Welt entdeckt (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. Juni) An Felswänden in Venezuela und Kolumbien sind prähistorische Petroglyphen von Dutzenden Metern Länge entdeckt worden. Sie zeigen menschliche und Tierfiguren, darunter viele Schlangen. "Nach Ansicht der Forschenden handelt es sich bei der Darstellung einer Riesenschlange um die weltweit größte einzelne Felsgravur, die bislang erfasst wurde."
  • 1600 Jahre altes Buch mit Bibel-Texten in London versteigert (Rheinische Post, 11. Juni) Das älteste Buch im Privatbesitz, der sog. Crosby-Schøyen-Kodex, wurde bei Christie's für umgerechnet 3,63 Millionen Euro versteigert. Die 52 Papyrusseiten enthalten eine Abschrift des Buches Jona und des ersten Petrusbriefes in einem koptischen Dialekt. Mehr auch bei geo.de.
  • Doppeltes Menschenopfer: In blutigen Zeremonien töteten die Maya bewusst Zwillingsjungen (geo.de, 13. Juni) Ein Team des Max-Planck-Instituts hat "die Überreste von 64 rituell
bestatteten Kindern aus einer 1967 entdeckten unterirdischen Kammer" in Chichén Itzá untersucht: "Zusammengenommen
 deuten die Ergebnisse den Forschenden zufolge darauf hin, dass verwandte männliche Kinder wahrscheinlich paarweise für Rituale ausgewählt wurden. Zwillinge nähmen in den Schöpfungsmythen und im spirituellen Leben 
der damaligen Maya einen besonderen Platz ein, hieß es zur Erläuterung. Im 'Buch des Rates' (Popol Vuh) der Quiché-Maya seien Zwillingsopfer ein wiederkehrendes Thema."
  • Ältester Weißwein in Urne gefunden – zusammen mit menschlichen Überresten ("Spiegel online", 18. Juni) Bereits 2019 wurden im spanischen Carmona in einem versunkenen Grab aus römischer Zeit etwa fünf Liter eines "sherryähnlichen Weins" gefunden, "zusammen mit verbrannten Knochenresten" sowie einer "Kristallflasche [...], die ein 2000 Jahre altes römisches Parfüm mit Patchouli-Duft enthielt". Mit ebenfalls rund 2000 Jahren handelt es sich bei dem Hauptfund um "den wohl ältesten in flüssiger Form erhaltenen Wein".
  • Archäologen stoßen auf jahrhundertealte Flaschen mit eingelegten Kirschen ("Spiegel online", 19. Juni) 35 Flaschen mit großteils gut erhaltenem eingekochten Obst wurden im Vorratskeller des ersten US-Präsidenten auf dem Anwesen Mount Vernon, Virginia, zu Tage gefördert. "George Washington übernahm die Villa im Jahr 1761. Die Vorratsgruben, in denen die Flaschen lagerten, wurden wahrscheinlich zwischen den 1750er- und 1770er-Jahren genutzt."
  • Israel findet mehr als 3000 Jahre altes Schiffswrack (FAZ, 20. Juni) Ein vor der Küste Israels auf dem Meeresgrund liegendes spätbronzezeitliches Schiff enthielt Hunderte intakte Amphoren, in denen von den Kanaanitern u.a. Öl, Wein und Obst aufbewahrt worden war. "Die große Menge der Amphoren an Bord eines einzigen Schiffs ist laut dem Direktor der Abteilung für Meeresarchäologie, Jacob Sharvit, ein Beleg für die bedeutenden Handelsbeziehungen mit den altorientalischen Ländern an der Mittelmeerküste. [...] Die Entdeckung ist laut der Behörde auch ein Beweis dafür, dass die Seefahrer damals das Meer durchquerten, ohne dabei die Küste sehen zu können."
  • Älteste gegenständliche Höhlenmalerei auf Sulawesi gefunden (Frankfurter Rundschau, 3. Juli) Die Felsmalerei in einer Höhle im indonesischen Karstgebiet Maros Pangkep wurde mit Hilfe eines alternativen radiometrischen Verfahrens "auf mindestens 51.200 Jahre datiert. Einer Studie zufolge handelt es sich um die weltweit älteste gegenständliche Malerei, die bisher bekannt ist. Abgebildet sind nach Forscherangaben drei menschenähnliche Figuren, die mit einem Wildschwein interagieren."
  • Pest könnte das Steinzeitvolk Nordeuropas ausgelöscht haben ("Spiegel online", 12. Juli) DNA-Analysen legen nahe, dass es Krankheiten, allen voran die Pest, waren, die vor ca. 5000 Jahren den neolithischen Niedergang auslösten und für den Zusammenbruch der nordeuropäischen Bauerngemeinschaften hauptverantwortlich waren. "Die Bevölkerungen Skandinaviens und Nordwesteuropas verschwanden schließlich vollständig und wurden später durch ein Volk namens Jamnaja ersetzt, das aus einer Steppenregion um Teile der heutigen Ukraine einwanderte."

Sonntag, 14. Juli 2024

Lasst mich nicht zappeln!

Dies ist ein Update zum Beitrag "Zwar und Zimmermann". In einem Beitrag auf der Rechts-Seite der FAZ wurde neulich der Vogel abgeschossen:


So weit kann, soll, darf man "zwar" und "aber" bzw. in diesem Fall "doch" doch nicht auseinander stellen. Ich war kurz vorm Hyperventilieren, Leute!

Freitag, 12. Juli 2024

Albernes zum Wochenschluss

Wenn ich Fußballtrainer wäre, würde ich bei jeder Begegnung versuchen, zwölf Spieler auf den Platz zu schicken. Wer weiß, irgendwann fällt es vielleicht niemandem auf.

Als Schiedsrichter würde ich jedes Match exakt zur 90. Minute abpfeifen. Damit der Ball bloß nicht noch weiter gekickt wird, würde ich auf ihn zurennen und mit einem Schuss aus einer Pistole, die ich stets bei mir führen würde, die Luft aus ihm lassen.

Wenn ich als Ersatzbankhüter überraschend eingewechselt würde, würde ich mit der Theatralik eines "Der Preis ist heiß"-Kandidaten aufs Spielfeld hüpfen: Mitspieler abklatschen, wie verrückt winken, mit Luftküssen um mich werfen, perplexe "Was? Iiiich?!"-Gesten machen ...

Als Kapitän hätte ich immer einen Feuerwerkskörper unterm Trikot versteckt, den ich im geeigneten Moment zünden und in die Fantribüne schleudern würde.

Wäre ich die Person, die die Einlaufkinder auswählt, würde ich den Spielern der Abwechslung halber einmal Einlauf-Erwachsene zuordnen, die sie an die Hand nehmen müssten.

Wäre ich hingegen selbst ein Einlaufkind, würde ich darauf achten, dass meine Hände so richtig schön klebrig sind.

Gehörte mir ein Fußballverein, würde ich nicht mit möglichst viel Geld möglichst gute Spieler kaufen, sondern so viele Spieler wie möglich (also die billigsten, die zu haben sind), so dass ich irgendwann den größten Kader der Liga hätte. Damit alle Spieler ungefähr gleich lang im Einsatz sind, würde ich den Trainer anhalten, innerhalb einer Begegnung entsprechend oft auszuwechseln (90 Spieler, 90 Minuten = ca. jede Minute eine Auswechslung).

Als Ältester in einer Elf wäre ich darauf bedacht, mich regelmäßig aus der laufenden Partie auszuklinken: kurz hinsetzen, am Spielfeldrand eine rauchen, kopfschüttelnd die Bandenwerbung studieren ...

Wenn ich Torwart wäre, würde ich, sobald es einigermaßen sicher ist, nonchalant aus dem Torbereich tänzeln, "Schieß doch"-Handbewegungen machen und die Stürmer der gegnerischen Mannschaft anderweitig provozieren.

Mittwoch, 10. Juli 2024

Was birst denn da?

Zu meinem Wohnhaus führt ein kurzes Stück Fußweg, das von großen Kastanienbäumen bestanden ist. Als ich diesen Weg gestern entlangging, wurde ich Zeuge (und beinahe Opfer) eines unheilvollen Naturschauspiels. Offenbar als Reaktion auf die brütende Hitze – es hatte um 18 Uhr noch weit über 30 Grad – warfen die Bäume unter lautem Ächzen ihre Rinde ab! Schnalzend, knackend, splatternd explodierten die Stämme regelrecht, mehr als einmal ging nur wenige Meter vor mir eines dieser knochentrockenen Rindenstücke nieder. Heute Morgen sah es dann so aus:


Als würde es nicht reichen, dass man herbstens Angst haben muss, von herabfallenden Kastanien in stacheligen Hüllen getroffen zu werden! Mir kann doch niemand sagen, dass früher so was gang und gäbe war.

Montag, 8. Juli 2024

Hier sind Brennstäbe!

Ungemein spannend ist der Komplex Atomsemiotik. Der Online-Auftritt des ORF hat eine tolle Einführung in die Problematik aufbereitet, und auch der Wikipedia-Eintrag ist ergiebig. Atomsemiotik als Zweig der Zeichentheorie beschäftigt sich, kurz gesagt, mit der Frage, wie man den Menschen der Zukunft (konkret: den in 10.000 Jahren lebenden) begreiflich machen soll, sich von Atommüll und sonstigen radioaktiven Hinterlassenschaften fernzuhalten. Zu den teils sehr schönen Ideen gehören (alle zitiert nach orf.at):

- "Es müssten Warnschilder aufgestellt werden, die je nach Entwicklung mit anderen Sprachen ergänzt werden."
- "Wenn nicht das eine Zeichen, das noch in 10.000 Jahren vor Atommüll warnt, gefunden werden kann, muss ein kultureller Kontext geschaffen werden, der die Zeit überdauert. [Der Semiotiker Thomas Sebeok] sprach sich für eine 'atomare Priesterschaft' aus, die mit Hilfe von Legenden und Ritualen Fremde von atomaren Lagerstätten fernhält."
- "Eine Studie aus der Schweiz empfahl, ein Endlager mit Millionen von Tonscherben zu markieren, die zu Symbolen wie Totenschädeln angeordnet werden."
- "Zwei Forscher wollten etwa Katzen genetisch so manipulieren, dass sich ihr Fell verfärbt, wenn sie radioaktiver Strahlung ausgesetzt werden." (Anm.: Diese "Strahlenkatzen" hat kein Geringerer als Stanisław Lem erdacht.)

Als ich zum ersten Mal mit diesem weiten Feld konfrontiert wurde, meldete sich sogleich der Zyniker in mir: Pff, als ob wir in 10.000 Jahren nicht eh ausgestorben sind ... Aber, dachte ich weiter, sollten wir nicht wenigstens etwaige Außerirdische, die nach uns auf der Erde siedeln, davon abhalten, sich gefährlicher Strahlung unnötig auszusetzen? Nun gut, die sind womöglich resistent gegen ionisierende Strahlen und haben ohnehin diverse genetische und technische Vorteile entwickelt, wenn sie in der Lage sind, sich auf fernen Welten niederzulassen. Hm, und was ist mit Tieren, etwa unseren nächsten Verwandten, die bis dahin so weit auf der evolutionären Leiter nach oben geklettert sein werden, dass sie Symbole deuten können und entsprechend handeln? Ihr merkt schon, man verliert sich recht bald in Spinnereien, wenn man in das Thema einsteigt.

Setzen wir einfach mal voraus, dass unsere Spezies in 10.000 Jahren noch existiert. Wie kommunizieren wir mit unseren Erben? Das Naheliegendste sind Schilder mit schriftlichen Hinweisen. Ebenso naheliegend ist leider, dass diese irgendwann entweder nicht mehr verstanden werden oder schlicht nicht ernst genommen werden, wie es mit den Tsunami-Steinen der alten Japaner geschehen ist ("Baut nicht unterhalb dieses Punktes!"). Bei jeder Sprachstufe eine neue Übersetzung und ein paar zusätzliche Ausrufezeichen oder sonstige Dringlichkeitsmarker eingravieren? Kann man machen, aber wer weiß schon, ob nicht die überübernächste Stufe beispielsweise des Deutschen ("Spätneohochdeutsch" oder so) die letzte ist? Sprachen sterben aus.

Und selbst scheinbar universelle Zeichen mögen verblassen. Die Person, die den Diskos von Phaistos gestempelt hat, dachte sich bestimmt auch: "Das ist was für die Ewigkeit!" Das von der Internationalen Atomenergieorganisation für verständlich gehaltene Warnschild nach der ISO-Norm 21482 sieht seit 2007 so aus:


Das rennende Männchen halte ich für einigermaßen nachhaltig begreiflich. Zwei Beine, zwei Arme, Kopf, das wird auch noch in ein paar tausend Jahren dem Phänotyp des Homo sapiens entsprechen. Die Beine sind in Bewegung, dazu ein Pfeil, Fluchtverhalten, klar. Mit einem Toten(!)schädel auf drohenden Tod zu verweisen, macht ebenfalls Sinn, wobei ich da an den alten Witz von Jack Handey denken muss: "The tired and thirsty prospector threw himself down at the edge of the watering hole and started to drink. But then he looked around and saw skulls and bones everywhere. 'Uh-oh,' he thought. 'This watering hole is reserved for skeletons.'" Das Strahlenwarnzeichen in Kombination mit abfallenden Wellen ist heutzutage freilich einleuchtend (hehe), ist aber das für Bedeutungsverblassung anfälligste Element von allen. Zuletzt: Wie kann sichergestellt werden, "dass es sich überhaupt um eine Mitteilung handelt" (Wikipedia)?

Den Vorschlag mit der mündlichen Tradierung, auch wenn er belächelt worden ist, finde ich tatsächlich attraktiv. Verwandte, die eine Generation voneinander entfernt sind, werden immer einander verstehen. Ein Vater erzählt seiner Tochter einmal im Jahr, möglichst in den immerselben Worten, vielleicht sogar gereimt, das Märchen vom glühenden Fass. Die Tochter gibt es später an ihre Kinder weiter und so fort. Auch hier besteht die Gefahr, dass die Sprache ausstirbt, weil das sie verwendende Volk ausstirbt; bzw. die Familienlinie endet, oder Änderungen in der Sprache werden nicht berücksichtigt, so dass Teile des Textes nicht mehr kapiert werden, aber trotzdem stur weitergegeben werden. Oder, oder, oder. Dennoch: Ohne dass ich mich je eingehender mit Oral History beschäftigt hätte, weiß ich, dass Überlieferungen in Kulturen ohne Schriftlichkeit stabiler sind als der Laie denkt. Und mitunter wertvoller als schriftliche Überlieferung, wie schon Platon erkannte:

Wer also glaubt, eine Kunst in Schriften zu hinterlassen, und wieder, wer sie annimmt, als ob aus Buchstaben etwas Deutliches und Zuverlässiges entnommen werden könnte, der wird wohl einfältig genug sein und in der Tat den Wahrspruch des Ammon nicht kennen, indem er glaubt, geschriebene Reden seien etwas mehr als eine Gedächtnishilfe für den, der das schon weiß, wovon das Geschriebene handelt. [...] Dieses Mißliche nämlich, o Phaidros, hat doch die Schrift, und sie ist darin der Malerei gleich. Denn die Werke auch dieser stehen wie lebendig da, wenn du sie aber etwas fragst, schweigen sie sehr vornehm.
(Sokrates im Phaidros-Dialog)

Einen "Zukunftsrat" einzurichten, scheint mir auch etwas blauäugig. Jede Organisation kann sich wegen irgendwelcher Umstände von heute auf morgen auflösen. Gehen wir zum Schluss auf das Konzept der "feindlichen Architektur" ein. Meterhohe Granitsäulen wie am Waste Isolation Pilot Plant in New Mexico, dornenbewehrte Mauern oder "Verbietungsblöcke" machen nur neugierig. "Eingewendet wurde bei diesen Warnsystemen, dass diese Hochsicherheitsmaßnahmen die Nachfahren dazu verleiten könnten, erst recht nach 'Schätzen' zu graben." (ORF) Eben! Hat denn niemand von denen, die so was anregen, "Riptide" von Preston/Child gelesen? Ich kenne doch die Menschen. Eine bombensichere Lösung, sie vor Gift und Verderben zu bewahren, habe ich derzeit leider auch nicht.

Samstag, 6. Juli 2024

Hörtipp in eigener Sache

Man verzeihe mir die shameless self-promotion, aber ganz ungehört soll sie ja nicht bleiben, die zweite Folge des Bücherschrank-Podcasts "Seitenstraße", die seit gestern auf Soundcloud verfügbar ist. Viel Spaß!

Donnerstag, 4. Juli 2024

Torsten testet Nachahmerprodukte: Kokostraum

Choceur Kokostraum ist eine relativ neue Raffaello-Alternative von Aldi:


Ich habe die ausgepackte Praline nicht fotografiert, denn sie sah, das kann ich versichern, exakt so aus wie das Original. Stellt euch also einfach ein Raffaello vor. Auch geschmacklich sind weder mir noch meiner Mitverkosterin Abweichungen aufgefallen. Da ich die Kokoskugel geschenkt bekommen hatte, musste ich ein paar Details recherchieren. Ich schaute mir das Testvideo eines Junkfood-Bloggers an und erfuhr, dass die Aldi-Version weniger knusprig als das Ferrero-Produkt sei, dafür aber mit ein wenig weißer Schokolade angereichert sei. Dass Raffaelo mit dem Slogan "Vollkommen ... ohne Schokolade" beworben wird und "[d]ie Betonung der Tatsache, dass Raffaello keine Kakaobestandteile enthält, [...] konstitutiv für das Image des Produkts" ist (Wikipedia), wusste ich nicht! Neu war mir auch, dass die "Saisons", in denen bestimmte Ferrero-Süßigkeiten ausschließlich verfügbar sind, kein alljährlicher Marketing-Stunt qua künstlicher Verknappung sind. "Als im ersten – und heißen – Sommer nach der Mon Chéri-Einführung im Jahr 1957 einige Pralinen nicht mehr so appetitlich in der Schachtel lagen, wie man es von Ferrero-Produkten erwarten darf, haben wir die Sommerpause eingeführt und seither beibehalten. Denn Hitze und Mon Chéri passen nicht zusammen. So wurde Mon Chéri übrigens zum Vorreiter für andere besonders wärmeempfindliche Marken."

Das Aldi-Raffaello scheint jedenfalls auch jetzt im Sommer zu haben zu sein. (Moment! Auf die Schnelle finde ich gar keine Hinweise darauf, dass Raffaello nicht ganzjährig vertrieben wird. Erinnere ich mich falsch an dahingehende Werbeaussagen?) Abzüge gibt es allerdings für den Preis: Das Nachahmerprodukt kostet fast genau so viel wie the real deal. Wozu also die Kopie kaufen? Trotzdem vergebe ich 8/10 Punkten, denn wer Raffaello mag (was ich tue), wird mit Choceur Kokostraum glücklich.

Dienstag, 2. Juli 2024

Serientagebuch 06/24

02.06. Jury Duty 1.03
Jury Duty 1.04
03.06. Gotham 4.10
04.06. Doctor Who 14.04
Jury Duty 1.05
05.05. Gotham 4.11
06.05. Jury Duty 1.06
07.06. The Responder 2.01
09.06. 3 Body Problem 1.07
10.06. The Responder 2.02
Doctor Who 14.05
11.06. Jury Duty 1.07
13.06. Jury Duty 1.08
The Responder 2.03
Gotham 4.12
15.06. 3 Body Problem 1.08
17.06. Doctor Who 14.06
Doctor Who 14.07
House of the Dragon 2.01
18.06. The Responder 2.04
The Responder 2.05
19.06. Evil 2.01
Evil 2.02
24.06. Doctor Who 14.08
25.06. Evil 2.03
House of the Dragon 2.02
26.06. The Jack and Triumph Show 1.01
The Cockfields 2.00
27.06. The Jack and Triumph Show 1.02
The Jack and Triumph Show 1.03
Gotham 4.13
28.06. The Jack and Triumph Show 1.04
The Cockfields 2.01
30.06. Eric 1.01
Eric 1.02

Die für den nicht werbefreien Amazon-Kanal Freevee produzierte Mockumentary Jury Duty hat ein Konzept, das mir noch nie in einer Serie begegnet ist. Die Zuschreibung "Mockumentary" trifft es noch nicht mal: Zu sehen ist eine Sitcom über die Arbeit einer Jury in einem amerikanischen Zivilprozess, wobei alle "Geschworenen" sowie der Richter und sämtliche sonstigen Beteiligten Schauspieler/innen sind (wohlgemerkt Laiendarsteller, bis auf eine Ausnahme: James Marsden spielt eine fiktionalisierte Version von sich selbst; auch Hollywoodgrößen können zum Jurorendienst verpflichtet werden!). Nur eine einzige Person ist kein Schauspieler, sondern ein uneingeweihter angeblicher Teilnehmer einer TV-Dokumentation: Er wähnt sich tatsächlich in einem Gerichtsverfahren und reagiert ungefiltert, live und spontan auf die immer absurderen Situationen in seinem Umfeld.
Allein für die Idee dieses Hybriden aus Sitcom und Fake-Reality-Show war ich dankbar! Wann bekommt man heutzutage schon neuartige Stoffe und unverbrauchte Genres serviert? Und es bleibt nicht nur bei dem erfrischenden Ansatz: Die acht halbstündigen Episoden sind mit famosen Gags, beeindruckenden Improvisationsleistungen und pfiffigen Wendungen gefüllt. Zudem wurde dieses einmalige Experiment unter erschwerten Bedingungen, nämlich während einer Corona-Hochphase, realisiert. Hut ab vor 
Lee Eisenberg und Gene Stupnitsky ("The Office" US) und ihr Team!

Schon vor Jahren hatte ich mir Liu Cixins "Drei Sonnen" von einer zwielichtigen Hörbuch-Plattform als Audiobuch heruntergeladen, nachdem u.a. Dietmar Dath davon geschwärmt hatte, doch waren die Tracks nicht richtig getaggt, so dass ich mir die Reihenfolge der Kapitel durch wildes Hin- und Herskippen selbst erschließen musste, was bei einem solch anspruchsvollen und Konzentration erfordernden Werk reichlich mühsam ist. Kurzum: Ich brach das Hörbuch ab und war umso erfreuter, als Netflix eine Serienadaptation ankündigte, die mit David Benioff und D.B. Weiss obendrein in fähigen Händen zu liegen versprach.
Dass 3 Body Problem von den "Game of Thrones"-Showrunnern produziert wird (die auch die Hälfte der acht Folgen geschrieben haben), schlägt sich in der Musik (abermals glänzende Arbeit von Ramin Djawadi) wie in der Besetzung nieder: Gleich drei "GoT"-Granden übernehmen tragende Rollen. Wem dabei das Herz höher schlägt, der sei gewarnt, denn hier wie da gilt: Jeder Charakter kann jederzeit das Zeitliche segnen ...
Auch die sonstige Besetzung geht klar. Gefreut habe ich mich, dass es mit Benedict Wong jemand, den ich als Co-Star in einer kruden Independent-Britcom kennengelernt habe ("15 Storeys High", s. Serientagebuch 09/21 und 07/22), in eine High-Prestige-Hollywood-Serie geschafft hat.
"3 Body Problem" ist packend, emotional und überraschend, ich hätte es mir indes angesichts des Rufs, welcher der als einer der wegweisendsten Science-Fiction-Romane des Jahrtausends gehandelten Vorlage anhaftet, im guten Sinne verkopfter, unzugänglicher, gleichermaßen hart wissenschaftlicher und esoterischer vorgestellt. Fans, die "dumbing down" und Massentauglichkeit monieren, bevorzugen, wie ich höre, eh die 30(!)-teilige chinesische Umsetzung. Aber wem kann man es schon recht machen? Ich fiebere jedenfalls der zweiten Staffel entgegen.

Schon die erste Staffel des BBC-Polizeidramas The Responder, das der ehemalige Liverpooler Polizist Tony Schumacher auf Grundlage seiner Erfahrungen kreiert und geschrieben hat, empfand ich als "harten Stoff". Bedrückend geht es weiter: Alle Figuren, großteils aus den ersten fünf Folgen bekannt, haben nicht nur, wie man so schön sagt, ihr Päckchen zu tragen, sondern jeweils einen gigantischen Rucksack von Problemen mit sich herumzuschleppen. Jede setzt sich aus unterschiedlichsten Motiven und Schwächen (Abhängigkeit, Bestechlichkeit, Zorn) einem eigenen Mahlstrom des Verderbens aus, allen voran Hauptfigur Chris (Martin Freeman, auch Produzent), dem es nicht oft gelingt, den Zuschauer für sich einzunehmen.
Adelayo Adedayo als seine Partnerin wirkt schauspielerisch noch gefestigter und liefert eine Gänsehaut-Performance ab. Bittersüß war es, den kürzlich verstorbenen Bernard Hill (der einzige Schauspieler, der in zweien der drei Filme mitgespielt hat, die jeweils elf Oscars gewonnen haben: "Titanic" und "Der Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs"; Quelle: Wikipedia) in seiner letzten Rolle, als Chris' Vater, zu erleben.

Viel Spaß gemacht hat die "erste" (nein, ich bleibe dabei: die vierzehnte) Staffel von Doctor Who. Insbesondere der Mittelteil, inklusive des Comebacks von Steven Moffat als Autor, hat wieder richtiges Who-Feeling erzeugt, ohne dass ich dieses Gefühl richtig zu definieren in der Lage wäre. Ncuti Gatwa taugt mir als 15. Doktor, und selbst die zwei "Doctor light"-Folgen, in denen er wegen anderer Drehverpflichtungen reduzierte Screentime hatte, atmeten seine überdreht-emotionale Aura und funkionierten ihrerseits trotzdem als klassische, munter wegzuguckende RTD-Abenteuer, wie überhaupt die Stand-alone-Geschichten runder ausfielen als der staffelübergreifende Handlungsbogen (der mir ehrlich gesagt nur half-arsed aufgelöst schien).

Samstag, 29. Juni 2024

Gut gebrüllt, Link

Der Youtuber raocow hat kürzlich das allererste Zelda-Spiel, "The Legend of Zelda" (NES, 1986/87), ge-let's-played und tatsächlich einschließlich des Second Quest geschafft, womit er sehr viel weiter als ich damals gekommen ist. (Mir ist es nicht mal gelungen, Gannon zu besiegen.) Das Second Quest ist in etwa das, was heute als "New Game Plus" geläufig ist, wobei die Oberwelt zwar dieselbe ist wie im First Quest, die Dungeons aber komplett neu designt und, ebenso wie die Händler-, Hinweis- und sonstigen Höhlen, an anderen Stellen auf der Map (und deutlich schwieriger) zu finden sind.

Jedenfalls spielte raocow den zweiten Durchgang mit einem auf der Japan-Version basierenden Rom mit englischer Übersetzung. An einer Stelle passierte etwas Kurioses: Als raocow einem bestimmten Monster begegnete, fing er plötzlich an zu schreien. Er schrie das Monster an. Die Erklärung lieferte er nach: Die Controller des Famicom, der japanischen Ur-Version des Nintendo Entertainment System, hatten eingebaute Mikrofone, und in einigen Spielen waren Interaktionsmöglichkeiten implementiert, die auf Stimmeingabe beruhten. In "Legend of Zelda" war es der nämliche Gegner (Pols Voice), der auf vom Spieler erzeugte Geräusche reagierte, i.e. dadurch besiegt werden konnte. (Es stellte sich heraus, dass das Feature im Emulator nicht funktioniert.)

Und jetzt kommt's: Im Begleitheft zu "The Legend of Zelda" findet sich ein subtiler Hinweis auf die Achillesferse von Pols Voice – und der wurde unsinnigerweise in die deutschsprachige Spielanleitung übernommen, obwohl die europäischen NES-Joypads überhaupt keinen Mikro-Eingang hatten. Ich habe den Eintrag im Bestiarium eigenhändig nachgeschlagen, denn ich besitze nicht nur die goldene Game-Kartusche samt Verpackung, sondern auch das dazugehörige Booklet nach wie vor.


Ich erinnere mich: Als Kind interpretierte ich den Fingerzeig so, dass Pols Voice (den ich mir eher als Wüstenfuchs denn als Geist vorstellte) mit der magischen Flöte geschwächt werden konnte. Doch wenn ich die Flöte in seiner Gegenwart benutzte, passierte nix. Nun konnte dieses Rätsel mit über 30 Jahren Verzögerung gelöst werden.

Mehr zur japanischen Konsole hier und hier (englisch).

Donnerstag, 27. Juni 2024

TITANIC vor zehn Jahren: 7/2014


Langsam, aber sicher kommen wir in der Jetztzeit an, a.k.a. in der Ära des stetigen Niedergangs von allem. Erstmals macht eine radikalislamische Gruppe von sich reden, die heute kurz und knackig als IS bekannt ist, zwischendurch ISIL oder – wisst ihr noch? – Daesh genannt wurde, anfangs aber ubiquitär, auch hierzulande, unter ISIS firmierte. "Ach, es tönt, auch wenn er fies is' / zart sein Name und charmant / blumig-orientalisch: Isis! / Schäkernd süßer Weltenbrand", wie Michael Ziegelwagner auf der Editorialseite dichtete.

In diesem (i.e. Terror-)Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass es M. Ziegelwagner war (welcher auch die Idee für den von Rudi Hurzlmeier umgesetzten Titel lieferte), der als einer der Ersten, wenn nicht als Allererster, folgendes Wortspiel machte:


Eine gleichermaßen aufwühlende Entwicklung war der sog. Nullzins, den die Europäische Zentralbank kurz zuvor eingeführt hatte. Finanzthemen sind erfahrungsgemäß unsexy, ihre satirische Verarbeitung knifflig; immerhin zwei gelungene Gags konnten wir uns abringen, nämlich erstens eine Anzeigenparodie (Heftrückseite), in der M. Ziegelwagner und ich die Deutsche Bank "Sparen muß bezahlbar bleiben" versprechen ließen ("Ein Sparbuch, das mich nur 35 Euro kostet? Fuck, das gibt's ja nicht!" ... "Zu arm für ein Sparbuch? Kredit nötig? Wir beraten Sie gerne!"), zweitens einen Bildwitz über drohendes "Strafgeld" (M. Hürtgen, in "Abgelehnt", S. 5).

Nett finde ich rückblickend, dass bei dieser harten Gemengelage Platz für freien Unfug blieb, so etwa im Aufmacher "Slow.litik", der in einer Persiflage auf die damals grassierenden Achtsamkeits- und Better-Living-Magazine ein sanfteres, relaxteres Herangehen an Politik zelebrierte ("Regierungsmitglieder verraten, wobei sie garantiert entspannen"; "Das kleine Slowlitik-ABC" von "Abwarten" bis "Zengarten").
Und ich durfte mich dem Aussterben der Polizei-Kaspertheater widmen: in der von Tom Hintner liebevollst ausgestatteten Reportage "Der tiefe Fall der Holzköpfe", zu der mich ein echter "Spiegel online"-Artikel inspiriert hat.


Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe war noch nicht abzusehen, wie die Fußball-WM in Brasilien ausgehen würde (so wenig wie beim Verfassen dieser Zeilen abzusehen ist, wie die EM in Deutschland enden wird), fest stand aber bereits, dass die FIFA-Weltmeisterschaft 2022 in Katar ausgetragen werden wird. Der Ankündigung 2010 folgten die (großteils berechtigten) Bedenken bzgl. Schummelei bei der Vergabe sowie Arbeitskraftmissbrauch und Menschrechtsverletzungen im Land, wobei sich im Juni 2014 vor allem die Korruptionsvorwürfe derart überschlugen, dass Moritz Hürtgen und ich schon mal das Brettspiel zum World Cup konzipierten und dieses "Die Siedler von Katar" tauften (ein Witz, den wenige Wochen später eine Satire-Show im Öffentlich-Rechtlichen ... äh: gewiss unabhängig von uns ersann).


In Tim Wolffs loser Reihe von Essays über mediale Formulierungsmarotten (vgl. "ausgerechnet") erschien im Juli 2014 sein Beitrag "über einen weiteren Sprach- und Dachschaden der deutschen Journaille": "Wer sind wir, und was geht uns das an?" Dass auch zehn Jahre später noch allüberall von "wir, wir, wir" die Rede ist, zeigt einmal mehr, dass man sich den Aufwand für diese Art kraus'scher Kritik im Grunde sparen kann, seufz. (Der Anglizismus "einmal mehr" mag seinerseits beanstandenswert sein – meine Kollegin Laura Brinkmann überantwortet ihn in ihren Redigaten regelmäßig dem Rotstift –, aber ich finde, er ist eine flotte Alternative zu "wieder einmal", basta!)


Der folgende "Streich der Woche" in "55ff" ist, bis auf das Finale, die 1-zu-1-Wiedergabe eines Tricks, den die Zeitschrift Micky Maus einmal in ihrer gleichnamigen Rubrik vorstellte und an den ich seitdem immer wieder denken musste. Moritz ist für die Rolle des Lausbuben geboren!


Nachdem der Juni-"Betrachter" schon, gelinde gesagt, abseitig war, widmet er sich in dieser Ausgabe etwas, das bei Heft-Unkundigen ratloses Stirnrunzeln hervorrufen dürfte, nämlich einer liebgewonnenen Figur aus der "55ff"-Vorgängerrubrik "Partner Titanic": Stulli das Pausenbrot. Für die nicht wenigen Fans der Rattelschneck-Erfindung war es indes bestimmt ein Vergnügen, die "schön mit Margarine beschmierte und dick mit Fleischsalat belegte" Klappstulle ausnahmsweise von Hurzlmeier und Hauck&Bauer gezeichnet zu sehen.


In den "Briefen" gab es diesmal außergewöhnlich viele kleine Zusatzspäße: neben Rürups "Basteln mit Bier" (ein Modell der Riesending-Höhle, welche er auch in seinem Startcartoon auf S. 3 verarbeitete) eine Preiserhöhungs-Mitteilung, eine Viertelseite "Die besten Fußballer-Sprüche aller Zeiten" ("Ich bin am Ende meiner Ausführungen angelangt, meine Damen und Herren!", Giovanni Trapattoni) sowie einen von mir ausgearbeiteten Analog-Google-Service:


Weiteres Notierenswertes
- Dass außerdem die Aboanzeige (U2) von mir stammt, weiß ich allein dank meinem privaten Veröffentlichungsnachweis-Dokument. Ich schätze, solche Beiträge fallen in den Bereich "Gebrauchstexte", so dass man sich nach einem Jahrzehnt weiß Gott nicht mehr an sie erinnern kann.
- Auf S. 24f. findet sich Martin Sonneborns erster "Bericht aus Brüssel"! "Ich habe gerade zum ersten Mal das Parlamentsgebäude betreten, da kommen im sogenannten 'Micky-Maus-Café' zwei junge Männer auf mich zu, überreichen mir ihre Visitenkarten und fragen, ob wir 'nicht lieber in die Fraktion der EVP kommen wollen, da gibt es viel mehr Geld'."
- Seltener Dominik-Bauer-Solo-Auftritt auf S. 52 bis 53: ein Humorkritik-Spezial über den österreichischen Kabarettisten Otto Grünmandl. Schön!
- Das Gedicht von Moritz Hürtgen (der sich für dieses Heft über die Maßen ins Zeug gelegt hat) zu einer reichlich kranken Werbekampagne der Firma Rügenwalder entstand auf meinen Wunsch hin.
- Dank Gerhard Henschel wurde ich zum ersten Mal nach zehn Jahren wieder der Existenz des Boulevard-Vogels Jo Groebel gewahr (S. 58-59). Würg.

Schlussgedanke
Ich glaube, von hier an gibt es wirklich keine "Sommerloch-Ausgaben" mehr. Diese hier ist jedenfalls keine. Alles hat irgendwie Relevanz, wodurch das Irrelevante umso mehr an Knalligkeit gewinnt. (Hä?) Mir hat's von vorn bis hinten Spaß gemacht.

Dienstag, 25. Juni 2024

Eine App geht in die Verlängerung

Nachdem im Herbst 2023 die Einstellung von Google Podcasts "in den ersten Monaten des Jahres 2024" angekündigt und später mit "irgendwann im März" grob "präzisiert" wurde, heißt es seit ein paar Wochen ganz konkret: "Nach dem 23. Juni 2024 kannst du dir keine Podcasts mehr in Google Podcasts anhören." Diese Meldung erscheint ganz oben in der Startansicht der App.

Nun schreiben wir den 25. Juni, was bekanntlich nach dem 23. Juni liegt, und ich kann immer noch Podcasts in Google Podcasts anhören. Ich erhalte sogar noch Pushnachrichten, wenn neue Folgen der von mir abonnierten Podcasts rauskommen, und auch das Runterladen funktioniert wie gehabt. Quousque tandem? Jeden Tag rechne ich mit dem Ende, wiewohl ich schon vor einer Weile die Akzeptanzphase erreicht habe; ich habe sogar schon brav meine Abos nach Youtube Music exportiert und bin bereit, meinen ersten Erfahrungsbericht über jene Ersatz-Anwendung zu schreiben. Bleibt dran!

Montag, 24. Juni 2024

Betr.: Glücksrad, Klingelton, Laotse, Illuminati

Dass das deutsche Buchstabieralphabet ab 2019 grundlegend überarbeitet worden ist und damit Ansagewörter wie "Siegfried" und "Wilhelm" in den Ruhestand geschickt wurden, dürfte bekannt sein. Einer alternativen, avantgardistisch-variablen Buchstabiertafel bediente sich aber schon viel früher ein gewisser Personenkreis im Fernsehen. Am 7. August 2002 schrieb ich in mein Notizbuch: "Hab' heute 'Glücksrad' gekuckt. Hilfe! Die Kandidaten drehen durch: 'S wie Sonnenschein, N wie Nixe, T wie Taufe, D wie Dussel!'"

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Kennt ihr den Kinderreim "Ei ei ei, was seh' ich da? Ein verliebtes Ehepaar"? Wenn ja, dann kennt ihr auch die primitive Melodie, zu der dieser Vers intoniert wird. (Der Spruch geht noch weiter, was aber für das Folgende unerheblich ist.) Diese Melodie, das fiel mir kürzlich wie aus heiterem Himmel ein, gibt es auch als Handy-Klingelton. Mindestens zweimal habe ich ihn schon im öffentlichen Raum gehört. Was stimmt nicht mit manchen Menschen?

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Erstaunlich, dass Laotse das modern klingende Wort Job verwendet hat!

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Endlich mal wieder was Aufregendes im Spam-Ordner:

Grüße vom Weltelite-Imperium der Illuminaten. Sind Sie Geschäftsmann/-frau, Politiker, Musiker, Student oder Angestellter? Streben Sie danach, Ihr Wissen zu erweitern, um sich persönlich weiterzuentwickeln? Wollen Sie reich werden? Brauchen Sie Schutz, sind Sie mächtig und berühmt? Wenn JA, dann können Sie Ihre Träume verwirklichen, indem Sie Mitglied des großen Imperiums der Illuminaten werden. Sobald Sie Mitglied sind, können all Ihre Träume und Herzenswünsche in Erfüllung gehen. Mit dieser kurzen Zusammenfassung: Wenn Sie daran interessiert sind, Mitglied der großen Illuminaten zu werden, dann melden Sie sich bei uns, um weitere Informationen zum Beitritt zu den Illuminaten zu erhalten. [...] Wir unterstützen kein schmutziges Spiel, es ist eine Bruderschaft des Friedens, eine großartige Gruppe der Erleuchtung.
Die Illuminaten.

Leider scheine ich nicht die Bedingungen zu erfüllen, um Mitglied zu werden.

Samstag, 22. Juni 2024

Die Schattenseite des Ruhms

Das mit Abstand erfolgreichste Video auf meinem Youtube-Kanal ist mit fast 81.000 Aufrufen (Stand: 21. Juni 2024) die kleine Compilation "Aktenzeichen XY - Die Seifenoper", die ich im Mai 2013 erstellt habe. Ich kann mir nicht erklären, warum die vor ca. einem Jahr eingesetzte Flut neuer Klicks nicht abreißt; wurde das Filmchen in einem reichweitenstarken deutschsprachigen Podcasts erwähnt? Fakt ist: Je mehr Menschen etwas im Internet angucken, desto mehr von ihnen fühlen sich berufen, ihren Senf dazu abzugeben. Dass die Youtube-Kommentarsektion eine Hölle ist, in die niemand blicken sollte, ist eine Binse, und mit wenig Aufwand könnte ich das Hinterlassen von Kommentaren deaktivieren, doch eine Mischung aus Masochismus, Neugier und Belustigung hält mich davon ab. Es ist offensichtlich, dass manche der Kommentierenden nicht einmal verstehen, was das Video eigentlich sein möchte ...





Donnerstag, 20. Juni 2024

Guter Einwurf!

Diese Woche landete tatsächlich etwas in meinem Briefkasten, mit dem ich nicht gerechnet hatte und über das ich mich gefreut habe wie ein Schneekönig:


Drei Mini-Staubwedel von Swiffer in einem sog. Duster Kit (was nicht deutsch auszusprechen ist) bzw. einem eigens Werbezwecken dienenden "Test Kit" (hier wiederum hätte ich "Probierpack" besser gefunden; "Test Kit" erinnert mich immer noch an die Corona-Schnelltests für den Heimgebrauch). Ausgepackt habe ich sie noch nicht. Irgendjemand in dem Haus, in dem ich wohne, hat übrigens sein oder ihr Duster Kit oben auf die Briefkastenanlage gelegt, weil er oder sie offenbar keine Verwendung dafür hat. Ich schüttele mein Haupt in Unverständnis und ziehe ernsthaft in Erwägung, das verschmähte Set auch noch, hehe, abzustauben.

Eine Postwurfsendung aus der Reihe "nett gemeint, aber frech" erreichte mich übrigens vor schätzungsweise zehn Jahren, als die langwierige und lautstarke Sanierung eines denkmalgeschützten ehemaligen Kraftwerks in meiner Nähe bevorstand: Der Bauherr bedachte uns Anwohner mit einer Entschuldigungs-Postkarte nebst einem Paar Ohrstöpseln. (Ich bin mir sicher, dass ich das damals fotografiert und auf Facebook geteilt habe, kann es aber nicht mehr finden.)

Dienstag, 18. Juni 2024

Einfach indisch, indisch einfach

In jedem Ottolenghi-Rezept gibt es die eine Zutat, deretwegen man in drei verschiedene Feinkost- oder Importläden rennt, die man trotzdem nicht findet und die sich durch nichts ersetzen lässt, weswegen man am Ende was anderes kocht. Na, das war leicht überspitzt, denn es gibt von Yotam Ottolenghi auch ganz bodenständige Rezepte, und das hier ist eins davon. Allenfalls schwarze Senfkörner mögen sich nicht in jedem Haushalt finden. Ich habe mir mal eine Packung schenken lassen und stolpere seither kaum über Einsatzmöglichkeiten; umso froher bin ich, dass sie hier eine prominente Rolle spielen.

500 g festkochende Kartoffeln in Spalten schneiden und in Salzwasser 12 Minuten kochen. (Die Kartoffeln erreichen wirklich die perfekte Konsistenz, wenn man die genaue Garzeit einhält.) Währenddessen kann man sich der undankbarsten Aufgabe widmen: In einen kleinen Topf oder über ein Schüsselchen hängt man ein Sieb, und auf diesem platziert man eine flache oder Vierkantreibe, durch deren gröbste Fläche man 2 Eiertomaten reibt. Am Ende sollte man a) im Sieb Fruchtfleisch, b) in der Schüssel Saft und c) auf der Reibe Schalen haben. Letztere können direkt entsorgt werden. (Anm.: Mir ist es nicht gelungen, a) und b) zu trennen, was aber nicht schlimm war.)

In einem großen Topf erhitzt man reichlich Öl, mindestens 50 ml. Darin werden die in dünne Scheiben geschnittenen Knollen von 3 Frühlingszwiebeln (das Originalrezept sieht eine richtige, kleine Zwiebel vor, aber ihr wisst ja ...) zusammen mit 1,5-2 TL Kreuzkümmelsamen und 1,5 TL Salz maximal 5 Minuten angeschwitzt. 2 Knoblauchzehen, fein geschnitten, 20 g Ingwer, fein gerieben, und 1/4 TL Kurkumapulver unterrühren, nach ca. 1 Minute den Tomatensaft dazugeben (bzw., s.o., den Pulp). Als nächstes 250 g TK-Erbsen und 250 g TK-Spinat (ich habe Blattspinat genommen), beides aufgetaut, dazugeben und alles noch ein paar Minuten vorsichtig bei mittlerer Hitze verrühren.

Gleichzeitig 2 EL Öl in einer kleinen Pfanne heiß machen und dann 1 TL schwarze Senfkörner sowie 1 TL Chiliflocken (ich habe weniger hineingetan, es hätte aber im Gegenteil ruhig mehr sein können) hineinschütten – Vorsicht, die Körner beginnen bald zu hüpfen! Jetzt kommen noch das Tomatenfruchtfleisch (so vorhanden) sowie 2 TL Tomatenmark und 1/4 TL Salz hinzu. Schön braten, bis eine dunkelrote, verheißungsvoll zischende Paste entstanden ist.

In dem Topf mit den Erbsen und dem Spinat werden zuletzt behutsam die Kartoffelspalten untergehoben, bis diese (wieder-)erwärmt sind. Das Gemüse auf Teller füllen, nach Belieben Naturjoghurt darauf tupfen und mit der scharfen Paste garnieren. Zwei Personen werden davon satt, es bleibt sogar ein kleiner Rest übrig. Mit "Sommer auf dem Teller" war dieses grandiose Rezept im Focus passenderweise überschrieben.

Sonntag, 16. Juni 2024

Noch mal 26 obskure Kreuzworträtsel-Lösungen

  • katalonisches Bauernhaus: Masia
  • italienischer Hoftanz: Pavane
  • alter italienischer Tanz: Piva
  • Vormundschaft: Tutel
  • best. Sprecheinheit: Lalem
  • Kindslage: Situs
  • Lenkbeil: Segerz
  • kräftiges engl. Reitpferd: Kob
  • Lebewesen der Wasseroberfläche: Pleuston
  • größte Sonnenferne: Aphel
  • mächtiger Geist im Voodoo: Loa*
  • altruss. Volksinstrument: Domra
  • Sandsturm in der Sahara: Habub
  • Ringkettenglied (techn.): Schake
  • ein Damenreitpferd: Zelter
  • Spuren des Federviehs: Geläuf
  • Jungvogel im ersten Federkleid: Pullus
  • Prüfen von Zuchttieren: Kören
  • eine Spitzenklöppeltechnik: Okki
  • Warmhaltehaube: Cloche
  • Pottwalfett: Walrat
  • Schiffsteil an Bug und Heck: Steven
  • öliger Parfümgrundstoff: Zitral
  • Erdrutsch im Gebirge: Rüfe
  • Beilagen zum griech. Ouzo: Methes
  • steinzeitliche Wohnstätte: Abri
* nicht zu verwechseln mit dem Prolog älterer spanischer Dramen!

Freitag, 14. Juni 2024

Podcast-Empfehlung

Gute Nachrichten (in eigener Sache): Nach einer beschämend langen Pause bin ich ins Podcast-Geschäft zurückgekehrt! Zusammen mit Bibliothekar und Internet personality "Sebastian (8 Jahre)" präsentiere ich: Seitenstraße – der Podcast über Bücherschränke. In jeder Folge reden wir über das Phänomen Offene Bücherschränke und stellen einander je eine literarische Kostbarkeit vor, die wir in einer öffentlichen Bücherablagestelle aufgespürt haben. Die Sendung wird in unregelmäßigen, hoffentlich nicht zu großen Abständen (und eventuell irgendwann zusätzlich außerhalb von SoundCloud) erscheinen. Viel Spaß!

Mittwoch, 12. Juni 2024

Servicepost

Auf mein PPS im Beitrag vom Samstag erreichte mich erfreulicherweise Feedback. Tenor: Das Lehnwort Service mit der Bedeutung "zusammengehöriges, mehrteiliges Essgeschirr" wird tatsächlich "vor allem in Sachsen" und dort "von älteren Menschen (bis ca. Boomer)" (Zitat Kommentator M.L.) als "Servie" ausgesprochen. Ich hatte mich also doch nicht falsch erinnert!

Sowohl mein Langenscheidt-Französisch-Wörterbuch aus der Schulzeit als auch der Duden kennt allein die Aussprache mit hörbarem Schluss-s. Warum also verschlucken es manche Deutschsprechende? Das lässt sich mit einem Phänomen erklären, das in der Linguistik als "Hyperkorrektheit" bezeichnet wird. Den Sprechenden ist bekannt, dass französische Wörter oft "stumme Buchstaben" enthalten, vor allem am Wortende. Also lassen sie, sozusagen im Übereifer, auch das finale -ce in (Tee-, Kaffee-, ...)-Service weg, weil diese Buchstabenfolge "bestimmt anders behandelt wird als in dem aus dem Englischen übernommenen Service". Eine Parallele dazu ist die Aussprache vieler Englisch-Muttersprachler von coup de grâce ("Gnadenstoß") als "cou de gra". Lieber zu wenig als zu viel artikulieren, scheint die Devise zu sein, vgl. auch "Louv" statt "Louvre", wobei hier zusätzlich der äußerst spannende Komplex des finalen Schwa im Englischen hineinspielt (man denke an "Porsch" vs. "Porschah", tertium non datur).

Bleibt die Frage, warum die "Servie"-Variante (ausschließlich?) in Sachsen verbreitet ist. Eine heiße Spur könnte sein, dass das Geschirr-Wort im Sorbischen (!) kein Schluss-s enthält: Sowohl auf nieder- als auch auf obersorbisch heißt es laut Wiktionary serwij. Wegen der räumlichen Nähe könnte es sich um eine Folge von Sprachkontakt handeln. Was freilich immer noch nicht klärt, wieso die hyperkorrekte Aussprache von Älteren bevorzugt wird. Nun gut, jüngere Leute werden sich insgesamt viel weniger häufig über Sammeltassen und Kuchenteller unterhalten als ihre Großeltern ... Dass früher andere Regeln galten, kann ausgeschlossen werden; ein Aussprachewörterbuch von 1833 gibt für service "serwihß'" an. Andererseits fand ich in einem anderen Handbuch aus ungefähr demselben Jahr die Schreibweise "Thee-Servis", und wenn man "Servis" nun wiederum französisch ausspricht, landet man bei "Servie".

Wisst ihr was? Ich werde jetzt einem der Verantwortlichen des "Atlas zur deutschen Alltagssprache" vorschlagen, in die nächste Runde eine entsprechende Umfrage zu integrieren!