Montag, 6. März 2023

Dem Rätsel auf den Fersen: Katzenjammer und säuische Klänge

Ließen europäische Könige Instrumente aus Tieren anfertigen?

In einem Monty-Python-Sketch führt ein exaltierter Musiker, dargestellt von Terry Jones, eine sog. mouse organ vor: 23 weiße Mäuse, nebeneinander gereiht und darauf trainiert, unterschiedlich hohe Töne von sich zu geben. Er schlägt mit zwei Holzhämmern auf die armen Nager ein und "spielt" so auf ihnen "The Bells of Saint Mary". Die Mäuseorgel ist freilich ebenso eine Nonsens-Schöpfung wie das aus lebenden Fellkugeln bestehende "Muppaphone" aus der Muppet-Show oder die in Herbert Rosendorfers Kurzgeschichte "Die Karriere des Florenzo Waldweibel-Hostelli" erwähnte "ormizellische Katzenorgel (zweiundsiebzig angebundene Katzen, nach Stimm- oder besser Miau-Höhen geordnet und in eine Klaviatur gespannt, in der die Katzen je nach Tastendruck mit einer Nadel in den Schwanz gestochen wurden, womit man verschiedene Töne ... hervorrufen konnte)".

Oder doch nicht? Haben animalische Instrumente wie das "Cat Piano" – zuletzt Thema eines gleichnamigen australischen Animationskurzfilms von 2009 – reale Vorbilder in der Geschichte? In seinen Merkwürdigen Beyträgen zu dem Weltlauf der Gelehrten von 1765 behauptet Georg Heinrich Büchner, Zar Peter der Große habe ihn 1716 mit dem Bau einer Katzenorgel beauftragt, nachdem in heiterer Runde auf Athanasius Kircher zu sprechen gekommen war. Jener Universalgelehrte des 17. Jahrhunderts habe nämlich die Idee zu einer "Katzenmusic" als erster gehabt. Sie sollte, auf ähnliche Weise wie bei Rosendorfer beschrieben, erzeugt werden, indem sieben oder vierzehn Tiere in einen Kasten gesetzt und mit den Claves verbunden werden, deren "spitzige Stacheln" die Katzen am Schwanz "kützeln" und sie so zum Tönen bringen.

Die praktische Umsetzung stellte Büchner vor etliche Hürden. So veränderten die Kater in der Nähe von Weibchen "ihre Stimme wohl zehenmal", waren mithin nicht auf eine Note festzulegen. Manche Exemplare ließen sich nicht bändigen, befreiten sich aus der Apparatur, so dass das Zusammenstellen des Ensembles Kosten und Geduld verschlang. Bei denjenigen, die festgehalten werden konnten, zeigte sich, dass "die Schwänze dieser Thiere von dem scharfen Einklemmen nach und nach taub" wurden: "Einige sprachen an, andere aber blieben stumm, und verderbten die ganze Capelle". All die Mühe und Quälerei war umsonst, "das Geheule unter einander war so fürchterlich, und zugleich lächerlich, daß es mit keiner Feder zu beschreiben."

So glaubhaft Büchners Ausschmückungen seiner Konstruktionsversuche wirken, verlässliche Zweitquellen dafür finden sich nicht. Führte der Autor seine Leserschaft hinters Licht? War seine Fantasie womöglich von einer älteren Legende beflügelt worden? Ein anderer Monarch, Frankreichs König Ludwig XVI. (1461 bis 1483), soll nämlich einen musikalisch begabten namenlosen "Bargiensischen Abt" im Scherz gebeten haben, "er solte ihm einmahl auch eine Schwein-Music praesentiren" – was dieser auch tat, mit dem Ergebnis eines "grossen Gelächters über die wunderliche Harmonie". So steht es in der Historischen Beschreibung der edelen Sing- und Kling-Kunst des Komponisten Wolfgang Printz von 1690. Der zugrunde liegende Mechanismus dieser "Schweineorgel" – bei Tastendruck fährt ein Stachel in den Schwanz des Tieres – ist der gleiche wie bei Kirchers Katzenversion. Von einer solchen, in Rom mit dem Ziel, einen Gemütskranken aufzuheitern, gefertigten, berichtet Printz ebenfalls; sie sei offenbar nach dem Vorbild der Schweineorgel entstanden.

Das satirische amerikanische Quickstepp-Stück "La Piganino" griff das Motiv der Schweineorgel 1867 wieder auf. Zeitgenössische Karikaturen wie das "Swineway" auf dem "Piganino"-Deckblatt oder von angeblichen Katzenpianos hielten die Vorstellung von Tierinstrumenten im Bewusstsein. Außerhalb der Fiktion dürfte so eine Gerätschaft nie über einen Prototypen hinausgegangen sein. Das zumindest kann man allein aus tierethischen Erwägungen nur hoffen.

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Anm.: Wer sich bei Inhalt, Aufbau und Überschrift dieses Beitrags an eine Rubrik der Süddeutschen Zeitung erinnert fühlt, braucht das nicht auf eine Zufallsdoppelung zu schieben. Als Fan der Wochenend-SZ hatte ich schon seit langem den Traum gehabt, mich einmal an der Reihe "Dem Geheimnis auf der Spur" zu beteiligen, und schickte der Redaktion im Februar zwei Artikel über recht unverbrauchte Mysterys zur freien Verwendung. Wie ich hätte ahnen können, ließen sich die Damen und Herren in München nicht mal zu einer Ablehnungs-Mail herab. Damit meine Recherchen nicht umsonst waren, erscheint der erste Text jetzt hier. (Folge 2 kommt demnächst, und eine Fortsetzung ist nicht ausgeschlossen, denn ich habe noch weitere "Rätsel" in petto.)

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