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Sonntag, 13. Februar 2022

Logik lernen im Weltuntergang

Aus US-amerikanischen Sicherheitskreisen wurde verlautbart, dass mit einer Invasion der Ukraine durch Russland am kommenden Mittwoch zu rechnen sei. Das ist gewiss beunruhigend und nur ein weiterer Schritt in Richtung "the great cataclysm that will surely befall our civilization" ("The Omnibus"), aber auch eine gute Gelegenheit, sich mit dem berühmten Überraschungstest-Paradox vertraut zu machen, einer Abwandlung des Paradoxons der unerwarteten Hinrichtung. Ich meine, erstmals in Hofstadters Klassiker "Gödel, Escher, Bach" davon gelesen zu haben, kann aber auf die Schnelle nur einen Abschnitt in "Professor Stewarts mathematische[m] Sammelsurium" von Ian Stewart (2011) finden. Diesen lege ich für meine Formulierung dessen, was ich "Paradoxon des angekündigten Überraschungsangriffs" nennen möchte, zu Grunde.

Angenommen, Russland selbst habe letzte Woche kommuniziert: "Nächste Woche (werktags) werden wir die Ukraine angreifen, und der Angriff wird überraschend kommen." (Ich weiß, so funktioniert Diplomatie nicht, aber stay with me ...) Die ukrainische Regierung kann nun wie folgt argumentieren: "Wenn bis zum Ende des Donnerstags kein Angriff stattgefunden hat, wissen wir, dass er für den nächsten Tag geplant sein muss; dann wäre es aber keine Überraschung mehr. Bleiben noch vier mögliche Tage. Wenn wir bis zum Ende des Mittwochs keinen Angriff erlebt haben, muss er am Donnerstag geschehen, womit das ebenfalls keine Überraschung mehr wäre. Mit dieser Denkmethode können wir auch den Mittwoch, den Dienstag und den Montag ausschließen und schlussfolgern, dass es überhaupt keinen Angriff geben wird, hurra!" Dann aber kommt der Mittwoch, und die Invasion wird durchgeführt, wie von den USA vorausgesagt. Da haben wir unser Paradox. Oder doch nicht?

Laut Ian Stewart sieht es nur "aus wie ein Paradox, ist aber keins". Er führt aus (ich zitiere mit entsprechend auf unser Szenario angepasstem Vokabular): "Die [ukrainischen Regierenden] verkünden jeden Morgen voll Überzeugung: 'Heute wird der [Angriff] sein.' Das tun sie insbesondere an dem Tag, an dem der [Angriff] tatsächlich stattfindet, und können dann mit Recht behaupten, dass der [Angriff] keine Überraschung war. Diese Aussage ist eine Art fauler Zauber – wahr, aber trivial. Einen, der täglich mit der Überraschung rechnet, kann nichts überraschen. [...] Die Unklarheit entsteht dadurch, dass die Akteure der Geschichte [...] nie etwas tun, sondern sich immer nur etwas vorstellen. Ich behaupte hier zweierlei. Erstens hängt das Paradox daran, was man unter 'Überraschung' versteht. Zweitens, und wichtiger: Unabhängig von dem ersten Punkt gibt es zwei logisch gleichwertige Beschreibungen für die Vorhersagestrategie der [Ukrainer]. Eine ist die oben zitierte, die ein echtes Paradox nahelegt; die andere ersetzt hypothetische Handlungen durch echte und macht dadurch aus dem vorgeblichen Paradox eine zutreffende, aber unbedeutende Aussage."

Das ist natürlich nur eine Herangehensweise unter vielen, denn wie wir auf der verlinkten Wikipediaseite lesen, gibt es "in der akademischen Diskussion nach wie vor keine Einigung über die Lösung", i.e. darüber, wo der Fehler in der Logik der Schüler/Angegriffenen steckt. Ich persönlich neige zu der Ansicht, dass das Schein-Paradox nur dann zum Paradox wird, wenn man das Konzept einer "angekündigten Überraschung" überhaupt akzeptiert. Wenn ja, darf das Element Überraschung/Unvorhersehbarkeit bis zum Schluss des Vorhersagezeitraums nicht aufgegeben werden. Bezogen auf den Fall des hinzurichtenden Delinquenten schreibt Wikipedia: "Der Gefangene geht nämlich davon aus, dass die Aussage, er werde in der nächsten Woche überraschend hingerichtet, wahr ist; wenn er aber eine unerwartete Hinrichtung voraussetzt, kann er selbst am Samstagabend nicht davon ausgehen, dass er am Sonntag hingerichtet wird, da dies seiner eigenen Annahme widerspräche. Ergo kann der Gefangene selbst am Sonntag überraschend hingerichtet werden".

Zudem steht, auch darauf weist Wikipedia hin, die Methodik der Rückwärtsinduktion schon auf wackligen Füßen: Die "Argumentation [des Gefangenen / der Schüler / der Ukraine] setzt stillschweigend voraus, dass [er noch am Leben sein wird / sie den Test noch nicht geschrieben haben werden / sie noch nicht angegriffen worden sein wird], um sich sicher oder überrascht zu sein. Oder anders formuliert: Aus der Voraussetzung, dass [die Hinrichtung / der Test / der Angriff] bis einschließlich [Samstag/Donnerstag] nicht stattgefunden hat, ist richtig zu folgern, dass auch der [Sonntag/Freitag] als Termin [der Hinrichtung / des Tests / des Angriffs] ausfällt."

Jaha, da brummt einem der Schädel. Hoffen wir einfach, dass das alles bloß Gedankenspiele bleiben.

Dienstag, 4. Oktober 2016

Ein Beitrag für dich (und dich!)

In einer alten TV-Reklame für Kellogg's Frosties, die man sich auf YouTube ansehen kann, wird folgendes Lied gesungen:

(Frauenstimme) "Lass ihn raus, den Tiger! Zeig ihnen, dass du es kannst. 
Die Kellogg's Frosties schmecken so, die wecken den Tiger in dir."
(Tony der Tiger) "Und dir!"

Was ich mich seit Ewigkeiten frage: Wen meint Tony der Tiger mit "und dir"? Meint er mich, den Betrachter des Werbespots? Aber wen hat dann die Frau, die vorher gesungen hat, mit "du" gemeint? Das muss doch ein ganz anderes "du" gewesen sein! Der Ablauf ergibt eigentlich nur Sinn, wenn exakt zwei Kinder vor dem Fernseher sitzen. Zuerst adressiert die Frau Kind Nr. 1; dann spricht Tony der Tiger Kind Nr. 2 an. Aber woher soll welches Kind wissen, wann es gemeint ist? Und was ist, wenn sich mehr als zwei Kinder vor dem TV-Gerät versammelt haben? Bilden sie instinktiv zwei Gruppen, von denen die erste sich auf eine kollektiv-pluralische Interpretation des "du" einlässt (Wir hatten in der Schule eine Kunstlehrerin, die stets die gesamte Klasse in der 2. Person Singular ansprach: "Hole deine Gouachefarben heraus!") und die zweite nur aus einem einzelnen Menschen besteht, der sich dann freuen darf, am Ende noch persönlich von dem animierten Frühstücksmaskottchen angeknurrt zu werden?

Die Originalfassung hilft uns leider nicht weiter, denn darin hören wir (fast) dasselbe in Englisch:

(Männerstimme) "So show them you're a tiger! Show them what you can do! 
The taste of Kellogg's Frosties brings out the tiger in you."
(Tony the Tiger) "And you!"

Tatsächlich weist die englischsprachige Version eine zusätzliche Ungereimtheit auf: "[S]how them you're a tiger [...] brings out the tiger in you." Bin ich nun ein Tiger oder steckt lediglich einer in mir, den herauszuholen die Haupteigenschaft der beworbenen Cornflakes ist? Hier wurde eine ganze Generation auf immerdar verwirrt! Fahrlässig oder vorsätzlich – darüber wollen wir nicht spekulieren ...

Ich möchte aber nicht nur meckern, sondern auch eine von Logiklöchern bereinigte deutsche Neuversion anbieten:

(geschlechtsneutrale Stimme) "In dir steckt ein Tiger. Lass ihn doch einfach raus!
Mit Kellogg's Frosties schaffst du dies. Sie sind ein zuckriger Schmaus!"
(Tony der Tiger) "Du bist gemeint!"



Mittwoch, 23. Mai 2012

Sprache, Logik und Internetsexwerbung

Einmal erreichte mich eine Spam-Mail folgenden Wortlauts:
"Haben sie im Bett Schwierigkeiten Ihre Ehefrau zu befriedigen? Die Macht des steifen Schwanzes ist bis zu 2-5 mal besser, unsere die Blauen Pillen erhoeen sehr deutlich die s.e.xuelle Power, Vitallity und die Errektion. Besttellen sie jetzt und ver-gessen sie Ihre Enttaeuschungen und alle peinlichen Situationen in denen Sie mal waren. Gar nicht mehr zufrueh zum Orgasmus kommen und die Freundinnen geil befriedigen! Oder andere Produkte fuer den Mann shoppen auf [...].
Mit angenehmen Grussen
Prof. Dr. Simone Klein"

Wir halten fest: mehr als zehn Rechtschreib-, Grammatik- und Stilfehler, fehlende Begrüßung, logische Ungereimtheiten (Wer soll denn nun befriedigt werden: die Ehefrau oder die Freundinnen?), und von der Wortwahl her ist das ganze auch höchst fragwürdig. "Quo vaditis, Akademiker?" fragt man sich da!

Wo wir gerade bei logischen Ungereimtheiten sind:
Auf diversen Internetseiten poppt manchmal von rechts unten so ein Fake-Video-Messaging-Fensterchen auf, in dem das Bild einer vorgeblich live mit dem Betrachter chattenden Frau zu sehen ist. Neulich "schrieb" mir eine solche Frau die Zeile: "Hey there stranger. Remember me?"
Mooooment, dachte ich. Wenn die Lady mich für einen Fremden hält, wie kann sie dann in Erwägung ziehen, dass ich mich an sie erinnern würde? Oder redet sie jeden mit stranger an, weil sie den Internetnutzer ja nicht sehen kann, der Internetnutzer sie hingegen schon, und das womöglich zum wiederholten Male, weswegen er sich durchaus an sie erinnern könnte? 
Puh ...