Samstag, 7. April 2018

Pie & I (Aufstriche der Völkerverständigung)

Ich weiß noch ganz genau, wie ich als in vielerlei Hinsicht unbeleckter junger Erwachsener bzw. alter Jugendlicher zwecks Work-and-Travel-Semester im englischsprachigen Ausland am anderen Ende der Welt aufschlug. Beizeiten stellte sich die Essensfrage: Wie ernährt man sich hier (idealerweise gleichzeitig) kostengünstig, kalorienreich und exotisch? Die Antwort war schnell gefunden: mit Pasteten. Der Neuseeländer liebt seine meat pies über alles, sogar ein "Supreme Pie Award" wird alljährlich vergeben, und in jedem noch so engen 24-Stunden-Shop erwartet einen ein breites Angebot der zudem irrsinnig billigen Mikrowellen-Fleischkuchen. Mit gesunder Experimentierfreude fraß ich mich quer durch das Sortiment, verlustierte mich an sämtlichen Steakstreifen-Käse-Ei-Soße-Kartoffel-Kombinationen. Nur um alles, was mit minced meat bedruckt war, machte ich zunächst einen Bogen. Weil ich nämlich auch sprachlich unbeleckt war (ich glaubte u.a., icing und frosting hätte irgendwas mit tiefgekühlten Backwaren zu tun), übersetzte ich minced meat nicht mit "Hackfleisch", sondern mit "geminztes Fleisch", Fleisch mit Minze. Klar, Pfefferminzsoße kannte man ja aus "Asterix bei den Briten", aber so etwas tatsächlich verspeisen? Zum Glück erschloss sich mir alsbald die wahre Bedeutung, worauf sich die Palette der konsumierbaren Snacks von einem Augenblick auf den nächsten mir noch erweiterte. Nach wenigen Wochen hatte ich dann aber auch mehr als genug von herzhaften Pasteten, und heute muss ich würgen, wenn ich bloß daran denke.

Letzte Woche nun verschlug es mich in das Wiener Feinkostgeschäft "Julius Meinl am Graben". Dort entdeckte ich im UK-Regal ein Glas mit der Aufschrift Mince Pie Filling. Iiiiiihhh, dachte ich und besah mir das Erzeugnis genauer. Es handelt sich um einen Aufstrich, der überhaupt kein Fleisch enthält, sondern lediglich die süßen Bestandteile dessen, was in England zur Weihnachtszeit als mince pie gereicht wird: ein Mürbe- oder Blätterteiggebäck, das mit einer dunklen Masse aus Apfelstückchen, Sultaninen, Rosinen, getrockneten Orangen und anderem saisonalen Fruchtzeugs gefüllt ist. Interessanterweise sahen ursprüngliche Rezepte noch bis ins 19. Jahrhundert tatsächlich Fleisch als Bestandteil vor, wie ich später nachlas. Deshalb verweist der Name auch heute noch auf mincemeat, während die mir anno 2003 liebgewonnenen Pasteten mit minced meat völlig obstfrei waren. ("In other contexts mincemeat refers to minced or ground meat." Wikipedia. Ohne Verwirrung geht's halt nicht.) Das komplett vegane und schmerzhaft teure Importprodukt habe ich mitgenommen und heute endlich zum Frühstück probiert.


Es schmeckt weniger weihnachtlich und weniger süß, als ich vermutet hatte. Für Leute mit Rosinen-Abneigung (von denen es, wie ich weiß, leider viele gibt) ist der würzige Aufstrich freilich nix, denn Rosinen machen den Hauptbestandteil aus. Leckere Molasse hält das Gemisch zusammen und gibt ihm seine dunkle Farbe, die an Jersey Black Butter erinnert. 

Herrje, wieso habe ich eigentlich in diesem Blog nie auf diese Spezialität der Kanalinseln hingewiesen? Also, in aller Kürze: Jersey Black Butter hat mit Butter nichts zu tun, sondern ist eine Art Apfelkraut mit Jersey Cider, Nelken, Zimt und und und. Besser streichfähig, da nicht stückig, hat sie mich – auch geschmacklich – sogar noch mehr angesprochen als der Mince-Pie-spread, doch ach!, diesseits des Channels habe ich das schwarze Gold noch nie erspäht.


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