Sonntag, 13. November 2022

Lesetipp: Interview mit Karin Stüber

"Und was kannst du damit machen?" Diese Frage hörte ich als Student der Vergleichenden Sprachwissenschaft seeehr oft, vermutlich öfter, als wenn ich irgendein anderes geisteswissenschaftliches Fach studiert hätte. Etwas Konkreteres als "Keine Ahnung, mal sehen" konnte ich darauf nie erwidern. Dass es abseits akademischer Einrichtungen kaum Beschäftigungsmöglichkeiten für Indogermanisten gibt, war mir von vornherein klar gewesen, und letztlich hätte ich für den Job, in den es mich später verschlug, überhaupt keinen höheren Abschluss benötigt; bereut habe ich meinen Weg trotzdem nicht.

Ein extremes Beispiel für die unerwartete Zweitkarriere einer immerhin Sprachwissenschafts-Professorin lieferte jetzt ein Interview in der Neuen Zürcher Zeitung. Befragt wurde Karin Stüber, die mir in meiner Postgraduierten-Zeit wiederholt begegnet war, wann immer ich mich mit dem Keltischen zu befassen hatte. Ich glaube, ich habe sie sogar einmal auf einem Kongress reden hören. Jedenfalls arbeitet Karin Stüber seit kurzem als ... millionenschwere Autohändlerin!

Sowohl ein solcher Berufswechsel als auch – das muss man ganz klar sagen – die Entscheidung, sich full-time einer potentiell unlukrativen Nischendisziplin zu widmen, erfordert eine gewisse Privilegiertheit. Im Falle Stüber scheinen die Sterne seit jeher günstig gestanden zu haben.

Sie haben es getan. Sie beendeten Ihre akademische Karriere in Würzburg und wurden Verwaltungsratspräsidentin des grössten ­Mercedes-Händlers der Schweiz.
Mein Vater, Peter Stüber, führte die Firma mehr als 50 Jahre lang, sie gehörte ihm auch seit langem. Er sagte: Wenn ich 80 Jahre alt bin, möchte ich aufhören. Also musste sich die Familie überlegen, wie es weitergeht. Meine Schwester studierte Wirtschaft, aber sie wollte nicht seine Nachfolgerin werden. Die Verantwortung war ihr zu gross. Nun sitzt sie auch im Verwaltungsrat der Firma und unterstützt mich.

Warum haben Sie Ja gesagt?
Die Aufgabe reizte mich. Ich wollte etwas zurückgeben.

Wem wollten Sie etwas zurückgeben und warum?
Der Firma, den Mitarbeitern, der Familie. Ich bin meinen Eltern sehr dankbar. Ich habe so lange profitiert. Ich konnte eine akademische Karriere machen und ein Fach studieren, das brotlos ist. Für Indogermanisten gibt es ausserhalb der Uni keine Stellen. Als ich eine Zeitlang keine Anstellung hatte, war das mit meinem Hintergrund kein Problem. Wenn ich aus einer Arbeiterfamilie käme, wäre das nicht dringelegen. Meine Karriere wäre vorbei gewesen.

Das ganze Gespräch, in welchem auch der hübsche Helvetismus Sackgeld fällt, ist hier zu finden. Mich hat übrigens ein Google-Alert zu "indogermanistik", den ich vor langer Zeit eingerichtet habe, dorthin geführt. So richtig lösen konnte ich mich von dieser herrlichen Wissenschaft nämlich bis heute nicht.

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