Samstag, 5. November 2022

When in Rome ...

Eine gehalt- und anspruchsvolle Lektüre stellt Wolfgang Pehnts Städtebau des Erinnerns dar. Wie ein populärwissenschaftliches Werk anmutend, kommt es doch überwiegend akademisch daher, der Autor arbeitet mit vielen Fußnoten, flicht lateinische Zitate ein und droppt als bekannt vorausgesetzte architektonische Fachwörter. Immer wieder musste ich Sätze mehrfach lesen, denn neben ihrer Schwierigkeit eignet ihnen auch eine hohe Informationsdichte. Ich erfuhr viel Staunenswertes über Leitmotive, Vorbilder und Narrative bei der Entstehung und dem Wachsen bedeutender Metropolen (Mythen und Zitate westlicher Städte lautet der Untertitel), und das wenigste davon konnte ich im Gedächtnis behalten.

Das Kapitel über Athen hat es mir besonders angetan. Dass es in der griechischen Hauptstadt keineswegs ein Kontinuum seit der hellenischen Antike gab, war mir ja total unbekannt! Das alte Griechenland musste erst "wiederentdeckt" werden, und die Re-Antikisierung im 18. Jahrhundert erfolgte denn auch zuvörderst durch Rest-Europa, nicht zuletzt spielte Bayern eine gewichtige Rolle ... Aber es steht mir nicht zu und ist nicht mein Anliegen, die ganze faszinierende Geschichte nachzuerzählen, ich möchte lediglich einen kuriosen Nebenaspekt zitieren, der im 19. Jahrhundert, nach dem Ende der osmanischen Herrschaft, aufkam: "Orts-, Straßen- und Firmennamen wurden auf die Helden der griechischen Götter- und Heroenclique getauft. Es gab sogar Versuche, das Altgriechische als gesprochene Sprache wieder zu beleben." (S. 47)

Ein Vorteil der Rückkehr zum Altgriechischen liegt auf der Hand: Man hätte wieder eine durchschaubarere Buchstabe-Laut-Zuordnung und wäre nicht auf "Not"-Schreibungen wie "Ompáma" angewiesen. Darüber hinaus dient so eine Wiederbelebung ausgestorbener Sprachen freilich der Identitätsstiftung und -bewahrung. Im Falle Griechenlands wäre das wohl zu viel des Guten gewesen, denn mit dem Neugriechischen hatte man ja bereits eine autochthone und dem nationalen Bewusstsein genügende Zunge.

Sprach-Revival ist insgesamt ein bemerkenswerter Vorgang, dessen Erfolge von gelungen (wie im Falle des Manx) bis zu schwierig/mühsam/konstruiert reichen (wie im Falle des Tasmanischen). Bis vor gar nicht langer Zeit war übrigens hie und da zu lesen, dass es in Indien eine mindestens vierstellige Zahl an Menschen gebe, insbesondere im als "Sanskrit village" gehandelten Dorf Mattur, die klassisches Altindisch als Erst(!)sprache verwenden – ein Mythos, der inzwischen widerlegt ist, zu dessen Bestehen ich aber leider beigetragen habe, indem ich ihn jahrelang als Partyfakt verbreitet habe.

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