Mittwoch, 23. November 2022

TITANIC vor zehn Jahren: 12/2012

Huch, ich hatte bis vor zwei Tagen nicht auf dem Schirm gehabt, dass die Dezemberausgabe 2012 bereits am 23.11., also am vorletzten statt wie gewohnt am letzten Freitag des Monats, erschien. Aber klar: Weil die Januarnummer in der Regel vor Weihnachten herauskommt ("zwischen den Jahren" droht sie unterzugehen), wird meist auch der Erstveröffentlichungstag (ET) von Ausgabe 12 um eine Woche vorverlegt. Jedenfalls hatte ich deswegen nicht ausreichend Zeit, das Heft bis ins letzte Detail zu studieren. Für eine Review von gewohnter Länge reicht's aber.


Wie man sieht, befand sich Heizkosten schon vor zehn Jahren als Angstbegriff im deutschen Bewusstsein. Der Titel stammt von mir, was ich bis zum Erhalten meines Belegexemplars gar nicht gewusst hatte, denn er war eigentlich als Aufmacherseite von "55ff" vorgesehen. Ersetzt wurde diese dann durch einen Bildwitz, den ich tatsächlich als Hefttitel vorgeschlagen hatte und der mir inzwischen gar nicht mehr gefällt.

Überhaupt scheint Kreativscham diesmal ein Leitmotiv zu sein. Beispielsweise könnte man den "Apocagypse!" betitelten "Zigeuner-Survival-Guide" (S. 36-39) heute so nicht mehr bringen. Das ridiküle Pamphlet hatte seinerzeit einen in der Gesellschaft relevanten Anlass, enthält genügend Ironiemarker und Fallhöhe, macht sich im Grunde lustig über westliche Ängste, indem es sie überhöht. Trotzdem, fürchte ich, würde diese Form von Satire inzwischen nicht mehr verstanden werden, und man würde mir und meinem Co-Autor – nicht ganz zu Unrecht – vorwerfen, antiziganistische Klischees zu reproduzieren. Ich erinnere mich außerdem daran, dass es später intern Kritik an der unentschiedenen Aufmachung des viel zu spät fertig gewordenen Beitrags gab und dass auch Leo Riegel, bei dem wir kurz vor knapp Illustrationen bestellten, keinen rechten Zugang fand.


Als kein großer Wurf muss leider auch die Telefonaktion "Og'würgt is!" (S. 14-19) bewertet werden. Deren Hintergrund, zu dem es auf S. 45 noch einen lustigen Uwe-Becker-Cartoon sowie auf S. 7 ein hübsches politisches Gedicht von Moritz Hürtgen – eine Premiere! – gibt, er dürfte so gut wie vergessen sein: Der CSU-Pressesprecher Hans Michael Strepp hatte dem ZDF telefonisch gedroht, es werde "Diskussionen nach sich ziehen", sollte der Sender über den Parteitag der bayerischen SPD berichten, und musste daraufhin "seinen Sepplhut nehmen". Die Kollegen Wolff, Ziegelwagner und ich riefen nun in schlechtem Bairisch als "CSU-affine Streppenzieher" diverse Lokalredaktionen an, um sozifreundliche Berichterstattung zu unterbinden.


Die Umsetzung der an sich cleveren Idee trug nicht die erhofften Früchte. Bemängelt wurden bei der folgenden Herausgeberkonferenz zudem die unpassenden selbstgeschossenen Begleitbilder, von welchen eines uns drei Streichespieler selbstherrlich feixend an einer Bierzelttafel zeigt. Aufschlussreich ist jenes Foto zumindest für mich, insofern es nämlich bewusst macht, was für Babyfaces wir damals noch waren! Ich hatte immer geglaubt, ich hätte damals schon zehn Jahre älter ausgeschaut, als ich war ... Auf der U4 kann man mich noch einmal sehen, hier allerdings mit zum Untermauern der Stoßrichtung dieser Fake-Anzeige müde geschminkten Augenrändern.


Apropos selbstgeschossen (Tom Hintner hasst den Anglizismus "Fotos schießen" übrigens): Weitaus gelungener ist des Duos Fischer/Wolff fünfseitiger Comic-Hybrid aus Agentur- und selbstgemachten Fotos auf Seite 24ff., die m.M.n. weiter nach vorn gehört hätte. Es handelt sich um den Mitschnitt einer Nachrichtensendung auf "Al-Dschasira 24", in der im Stile islamophober Auslandsreportagen jener Epoche über die rezenten Erfolge der Grünen in Baden-Württemberg gehetzt wird. Ein feiner Spaß mit "Claus Kaaba" und "Marietta Burka":


Historisch wertvoll ist Michael Ziegelwagners schönes Portrait des damaligen Debattenressortleiters des Focus, den "Gossen-Nietzsche" Michael Klonovsky, der heutzutage zwischen Fleischhauer, Martenstein und der Welt-Bagage kaum auffallen würde, aber gottlob ohnehin zur publizistischen Fußnote verkommen ist, seit er sich 2018 ... aber das kann man ja bei Wikipedia nachlesen.

Ein unauffälliges Highlight befindet sich in den "Briefen an die Leser" in Form einer Promo zum frisch angekündigten neuen "Tatort"-Team, die sich in einer Redaktion mit fränkischem Kollegen geradweg aufzwang:


Gezeigt werden soll abschließend die diesmonatige Abo-Anzeige, sieht man doch in ihr das brave Model Lovis, den Hund einer Redaktionsfreundin. Das Tier hat nach der Aufnahme noch auf den legendären Gaddafi-Teppich uriniert.


Weiteres Notierenswertes
- Ha, das war die Zeit, in der die Frankfurter Rundschau einzugehen drohte (s. Editorial)! Wenig später wurde sie von der FAZ übernommen.
- Ha!, entfährt es mir ferner beim Überfliegen von Oliver Nagels alljährlicher Britcom-Schau, denn einige der darin vorgestellten Serien habe ich erst wahrgenommen und konsumiert, seit ich mich vor ein paar Jahren verstärkt für britisches TV zu interessieren begonnen habe. (Korrektorengrübelei: Kann man damit beginnen, etwas verstärkt zu tun? Ich meine: ja.) Und ich lese, dass es eine späte "Alan Partridge"-Miniserie namens "Midmorning Matters" gab. Oha!
- Völlig aus gewiss nicht nur meinem Gedächtnis verschwunden war der Piraten-Geschäftsführer Johannes Ponader, den Mark-Stefan Tietze auf S. 48f. in einer Cinema-Parodie auftreten lässt. Der Ex-Politiker ist inzwischen Schauspieler und Theaterregisseur.
- Sowohl bei Kahl als auch bei Hurlmeier wird in diesem Monat Schlachtvieh penetriert. Solche Doppelungen fallen einem oft erst nach einer halben Ewigkeit auf.
- Vorweihnachtsbedingt werden mehrere Bücher aus dem Titanic-Umfeld beworben, darunter "101 Dinge, die Sie sich sparen können" (Bräuer/Nagel), "Macht Sex Spaß?" (hg. v. Volker Surmann) und "Quatsch" (Schiffner/Sonneborn), eines der "drei komischsten Büche[r] in meinem Bücherregal" (Zitat ich, an anderer Stelle).
- Der Katz+Goldt enthält eines meiner All-time-Lieblings-Panels:


Schlussgedanke
Einfach nur WOW! Wer über diverse Dinge, die ich hier nicht zitiert oder gezeigt, sondern nur angedeutet habe, selbst staunen, lachen und/oder den Kopf schütteln möchte, möge sich das Heftchen per Online-Bestellung zulegen. Es lohnt sich.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen