Montag, 9. November 2015

Die Reise nach Afrika (1)

Meine Schwester kam aus dem Schulhort und war grambehaftet. "Ei, was für ein artiges Ränzlein du trägst!", rief ich ihr zu, wie als Aufmunterung. Grund für ihren Kummer war das Hansaplast-Pflaster, das man ihr auf das linke Brillenglas geklebt hatte, um ihr den Silberblick zu nehmen. Ich setzte mir die Narrenkappe auf und hopste keck, damit ein Ulk sei. "Lass mich in Ruh!", fuhr mich Dorothy an (so hieß mein Geschwister-Mensch). Wir zogen uns jeweils in unsere Privatgemächer zurück.

Es muss Schlag drei gewesen sein, als eine unvermutete Störung in die Behaglichkeit der Residenz hineinbrach. Aus einem Zimmer im Westflügel stürmte Vaters Vorgesetzter; er hatte schon seit etlichen Monaten bei uns gehaust, wie später zu erfahren war. In Bälde stieß Vater selbst hinzu und machte Tumult. Die beiden Wissenschaftler suchten mich! Hätte ich mich besser versteckt gehalten, wären mir die folgenden Scherereien erspart geblieben ...

Zur Erklärung: Professor Theobald Windisch war Leiter des Lehrstuhls für "Ethnologie und Interessantes" an der Universität Helgoland. Bei ihm beschäftigt war mein Vater, Wissenschaftler auf dem Gebiet der Schnalz-, Klopf- und Zwitschersprachen indigener Völker. Heuer sollte der Forschungsetat in die Erkundung von Buschmännern und -frauen gesteckt werden, erklärte mir Vater. Windisch hatte eine Reise nach Schwarzafrika geplant, deshalb waren die zwei auch so aus dem Häuschen.

"Was ficht mich das an?", fragte ich. "Von mir aus könnt ihr ruhig die gesamten Ferien auf Achse sein." Der Professor zwinkerte meinem Vater verschmitzt zu. "Junger Bursche", sagte er dann, "wir dachten uns, dass du uns auf der Expedition behilflich sein könntest." – "Warum dies?", versetzte ich. Vater antwortete: "Du bist doch auf dem Gebiet der Naturheilkunde sehr bewandert. Das könnte sich im tiefen Dschungel als nützlich erweisen!" Es stimmte. Als angehender Pharmazeut hatte ich mir die Kräuterkunde als Lieblingsdisziplin ausgewählt. Nach knapper Bedenkzeit verkündete ich: "Wohl, ich bin dabei. Ein Abstecher in die Wildnis kann meinen Horizont nur erweitern. Wann soll die Reise losgehen?" – "Jetzt", sagte Windisch. "Wir nehmen mein privates Kleinflugzeug. Es braucht kein Kerosin, sondern lediglich reines Olivenöl." – "Herrlich!", jauchzte Vater. "Lasst uns rasch packen. Jeder nimmt einen Tornister mit. Spute dich, mein Sohn. Und sag deiner Schwester Adieu!"

Ich ging in Dorothys Spielsaal, doch sie hatte keine Zeit für mich. Sie spielte mit ihren neuen Freunden – das waren: ein Löwe, eine Vogelscheuche und ein Zinnmann. Nach dem Fünfuhrtee trotteten wir auf die Startbahn. Worauf hatte ich mich hier eingelassen?

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