Samstag, 10. April 2021

Precht'sches Theater

Ich habe eine Stelle aus dem Interview mit Richard David Precht im aktuellen Stern abgetippt:

Die Tuberkulose zum Beispiel gedieh dort, wo es eng und schmutzig war und wo Armut herrschte. Wenn der Staat nicht wollte, dass sehr große Teile der Bevölkerung hinweggerafft wurden, musste er dafür sorgen, dass die Wohnverhältnisse und die Hygiene besser wurden. So begann im 19. Jahrhundert das, was der Philosoph Michel Foucault Bio-Politik nennt. Der Staat fing an, sich für die Gesundheit seiner Bürger verantwortlich zu fühlen, und handelte. Zumindest, wenn es um ansteckende Krankheiten ging. Es entstand dann nach und nach das moderne Vor- und Fürsorge-System, das wir heute als Pflicht des Staates begreifen.

Dies ist, ich schwöre es, der einzige Abschnitt in zweieinhalb Seiten à drei Spalten, der so etwas wie Erkenntnisgewinn beinhaltet. Der Rest sind Platitüden, Nullsätze und Aussagen, die auch ein durchschnittlich begabter 16-Jähriger in Gemeinschaftskunde zu Papier bringen könnte. Es sollte in dem Gespräch um die Pflichten des Staates vor dem Hintergrund des sog. "Impf-Debakels" gehen. Warum auch nicht? Die Menschen dürfen und sollen während einer Pandemie nicht nur von Fachleuten aus der Medizin Erklärungen und Handreichungen bekommen, sondern auch aus den Bereichen Politologie, Wirtschaftswissenschaften, Psychologie und eben: Philosophie. Aber wenn sich die Aufklärung durch einen als Intellektueller geltenden Honorarprofessor in Sentenzen erschöpft wie "Der Staat muss verhindern, dass der Einzelne durch andere in eine bedrohliche Situation kommt", "Der Vorsorgestaat darf nie zum Bevormundungsstaat werden" oder "Es geht immer um die Frage, inwieweit andere von meinem Handeln oder Unterlassen betroffen sind", dann wirft das kein gutes Licht auf den gegenwärtigen Stand der Philosophie in Deutschland. Für die sollten Knalltüten wie Richard David Precht und Markus Gabriel natürlich nicht als stellvertretend behandelt werden, ich fürchte aber, in der öffentlichen Wahrnehmung geschieht genau das. Sonst hätte man die Niederschrift des Stern-Interviews ja direkt eingemottet, statt sie abzudrucken.

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