Donnerstag, 18. August 2022

Meine zehn zuletzt gesehenen Filme

Beyond the Pole
2010, als das Genre noch nicht so verbraucht war wie heute, lief diese Mockumentary in britischen Kinos – recht erfolgreich, nachdem bereits die Festival-Premiere positive Kritikerstimmen eingeheimst hatte. Dieses Lob mag eine Art von Vorschusslorbeeren gewesen sein, denn dem Film war eine äußerst beliebte Radioreihe der BBC vorausgegangen. Da ich diese nicht kannte, konnte ich mit der Figurenzeichnung und dem Humor nicht ganz so viel anfangen, wie ich gewollt hätte.
Worum geht es? Zwei Freunde (Stephen Mangan, Rhys Thomas) wollen groß rauskommen, indem sie eine Arktis-Expedition unternehmen, die als erste ihrer Art komplett CO2-neutral, vegetarisch und bio sein soll. Mit einer remote arbeitenden Regisseurin (Helen Baxendale) und einem chaotisch betriebenen Ü-Wagen in England an ihrer "Seite" schaffen es die wohlmeinenden, aber komplett unerfahrenen Umwelt-Enthusiasten tatsächlich bis an den Nordpol. Oder doch nicht? Der Dramaturgie einschlägiger Buddykomödien wie auch Über-sich-hinauswachs-Abenteuer folgend, gibt es auf der Reise zermürbende Konflikte, peinliche Überrumpelungen und retardierende Momente. Die Mission zu verfolgen, ist also nicht unspannend (zumal sie tatsächlich im grönländischen Eis gedreht wurde), aber wie gesagt: Ein bisschen mehr Witz hätt's sein dürfen.

The Cursed (aka: Eight for Silver)
Ein in Frankreich gedrehter historischer Werwolf-Grusler des britischen Regisseurs Sean Ellis, der mit einigen modernen Spins aufwartet, der alten "Zigeunerfluch"-Trope etwas Erfrischendes abgewinnt und auch visuell einiges hermacht. Dennoch scheint er mich nur wenig beeindruckt zu haben, immerhin musste ich soeben noch einmal die entsprechenden imdb- und Wikipedia-Seiten durchlesen, um mir die Details ins Gedächtnis zu rufen. Dass Charakterkopf Alistair Petrie trefflich gecastet war, weiß ich noch.

A Most Wanted Man
Philip Seymour Hoffmans letzte Hauptrolle, ach Menno. Man muss leider feststellen, dass diese John-le-Carré-Verfilmung ohne das 2014 verstorbene Jahrhunderttalent bestenfalls Standardkost wäre. Die Handlung – ein sich in Hamburg aufhaltender Tschetschene soll als muslimischer Terrorist überführt werden – lockt einen kaum mehr hinterm Ofen vor, ist aber zumindest aus deutscher Sicht insofern interessant, als ein paar hiesige household names wie Nina Hoss und Rainer Bock in Nebenrollen zu sehen sind.
 

Million Dollar Baby
Zusammen mit dem beim letzten Mal besprochenen "The Mule" war auch Clint Eastwoods vierfacher Oscargewinner von 2004 (über welchen ich erst kürzlich lernte, dass er auf einer Kurzgeschichte basiert) bei Amazon Prime verfügbar, also fasste ich mir ein Herz: Kiekste halt mal einen Boxfilm; immerhin ist das wohl ein moderner Klassiker. Was soll ich sagen? "Million Dollar Baby" weicht, nachdem es sich wie eine klischeesatte rags-to-riches-Fabel angeht, vom erwartbaren Pfad eines Sportdramas ab und nimmt eine Wendung, die einen trifft wie ein wohlplatzierer linker Haken. Neben Hilary Swank und Eastwood ist auf schauspielerischer Seite Margo Martindale zu ehren, in ihrer Paraderolle "Matriarchin in dysfunktionaler Familie".

Mord im Pfarrhaus
Abt. Vergeigte deutsche Verleihtitel: Weder hat diese schwarze Komödie von 2005 etwas mit Agatha Christies gleichnamigem Roman (A Murder at the Vicarage) zu tun, noch ereignet sich während der gesamten 100 Minuten Laufzeit ein einziger Mord im Pfarrhaus. Den Originaltitel halte ich allerdings für noch missglückter, verrät er doch einen überraschenden Umstand, der erst weit nach der Hälfte offenbart wird; weswegen ich ihn ausnahmsweise verschweigen möchte.
"Mord im Pfarrhaus" ist beileibe nicht die originellste Briten-Comedy aller Zeiten, lässt sich aber prima an einem verregneten Samstag zum Fünfuhrtee weggucken. Für einen Film mit FSK-6-Freigabe geht es reichlich naughty und auch in Sachen Gewalt nicht übermäßig gezügelt zu. Gefallen hat mir, Rowan Atkinson in einer seltenen nicht-misterbeanartigen Rolle zu erleben. Maggie Smith ist eh immer toll. 

Infernal Affairs
Zwei Schmunzel-Fakten vorab: 1.) Ich hatte jahrelange geglaubt, der Film hieße "Internal Affairs", weil es ja schließlich um Interna, Insiderwissen und interne Ermittlungen geht. 2.) Die DVD (!) lag damals der Fernsehzeitschrift TV Movie bei und befindet sich seit 2008 in meinem Besitz. Das weiß ich, weil in der nicht skipbaren Trailerschau ein Filmfestival angekündigt wird, das 2008 lief. Neben Teil 1 enthält der Silberling auch noch "Infernal Affairs II". Wann ich mir den anschauen werde, kann ich noch nicht sagen, denn so richtig gepackt hat mich der vielgelobte Mafiathriller nicht. Ich gebe es nur ungern zu – denn ich bin bekanntermaßen kein Fan von Remakes –, aber Martin Scorseses "westliche" Aufbereitung des Stoffs ("The Departed", 2006) fand ich ungleich gelungener. Meine Begeisterung für Letzteren mag sogar den Ausschlag dafür gegeben haben, dass ich mir die TV-Zeitschrift mit Gimmick damals überhaupt kaufte, aus Neugier. Ich bin – eventuell weniger bekanntermaßen – aber auch kein Fan von Hongkong-Action, weswegen ich die Qualität, die dem 2002er Werk von Andrew Lau und Alan Mak einhellig beschieden wird, nicht ein- bzw. wertschätzen kann.

The Ladies Man
Tim Meadows gehört zu meinen All-time-Lieblingsmitgliedern von "Saturday Night Live". Dass er vor ein paar Jahren auf einer "Greatest SNL Cast Members"-Liste (vom Rolling Stone oder was) unter "ferner liefen" geführt wurde, war nur ein Zeichen von vielen dafür, dass dieses Ranking von komplett ahnungslosen Narren erstellt worden war. Von 1991 bis 2000 war Meadows Teil des Ensembles – mit dieser Verpflichtung über zehn Staffeln stellte er damals einen Rekord auf! – und glänzte dabei sowohl als straight man als auch als Wegwerf-Pointenlieferant, der mit einer einzelnen Zeile einen Sketch zu vergolden im Stande war. Doch egal, ob in solchen kleineren Parts oder als Lead, er spielt(e) stets mit 100-prozentiger Hingabe und vor allem ohne jemals aus der Rolle zu fallen. (Heute kommt ja leider keine verdammte SNL-Folge ohne breaking aus.) Bezüglich der angesprochenen Lead-Parts haben von seinen Promi-Parodien (impressions) wohl O.J. Simpson und unter den wiederkehrenden Figuren (characters) der "Ladies Man" den höchsten Bekannt- und Beliebtheitsgrad erreicht.
Im Jahr 2000 entschied man sich, Letzteren ins Kino zu bringen. Wider besseres Wissen, ist man geneigt zu sagen, denn die meisten vorigen Filme mit SNL-Charakteren aus Meadows' Ära (in einigen hatte er sogar mitgespielt) waren peinlichst gefloppt: "It's Pat", "Stuart Saves His Family", "A Night at the Roxbury", "Superstar". Um es kurz zu machen (und verwundern sollte es nicht; ich gehe davon aus, die wenigsten, die das hier lesen, haben je von diesem Film gehört): Der Fluch traf auch "The Ladies Man", Kritiken wie Zuschauerzahlen waren desaströs. Schade, denn es gibt ein paar zündende Gags, tolle Nebendarsteller (Will Ferrell!), und vor allem: Entgegen den Befürchtungen, die man bei einer Komödie aus der Jahrtausendwende über einen lüsternen Sextherapeuten haben könnte, ist sie erstaunlich gut gealtert. Der titelgebende Casanova und Radiomoderator hat das Herz am rechten Fleck und am Ende eine korrekte Botschaft zu verkünden: "Respect women!"

Infinite Storm
... ist mein Highlight in der diesmonatigen, eher mittelmäßigen Auswahl. In einem Satz zusammengefasst, klingt die Prämisse dünn bis altbacken: Eine Frau zieht sich nach einem Schicksalsschlag (der in Rückblenden rekonstruiert wird) in einen Nationalpark zurück, wo sie als freiwillige Rettungskraft arbeitet und eines Tages auf dem Mt. Washington nicht nur einen jungen Mann, sondern auch sich selbst (wieder)finden muss. Aber! Das auf einem Zeitungsartikel basierende Abenteuerdrama der preisgekrönten polnischen Regisseurin Małgorzata Szumowska kann mit zwei überwältigenden Protagonistinnen auftrumpfen: zum einen Naomi Watts (auch Produzentin), die sich schon in "The Impossible" mit einer ungebändigten Naturgewalt konfrontiert sah; zum anderen ebenjene Naturgewalt selbst. Der menschenfeindliche Berg im Schneesturm (gefilmt wurde in Slowenien) ist so eindringlich in Szene gesetzt worden, dass man die Eiseskälte sogar im 27 Grad heißen Wohnzimmer spürt. Danke!

The Nightingale
Noch mehr an die Substanz geht dieser ... ja, was eigentlich? "Rape-and-Revenge-Western"? Er spielt jedenfalls im ausgehenden "Black War" im Umfeld einer tasmanischen Strafkolonie, und inszeniert hat ihn die Australierin Jennifer Kent, die vier Jahre zuvor mit "The Babadook" einen der abgründigsten Gänsehaut-Streifen der 2010er vorgelegt hatte.
Oft moniere ich zu lange Laufzeiten, aber hier sind die fast zweieinhalb Stunden angemessen und verstärken die Intensität.

Vier im roten Kreis (OT: Le cercle rouge)
Es reicht jetzt endgültig. Wie dem deutschen Kino kehre ich hiermit dem französischen Kino ein für alle Mal den Rücken und werde mich nur im absoluten, schlechterdings nicht vorstellbaren Ausnahmefall umkehren.
Ich hatte vor einer Weile schon mal einen anderen Schwarzweißfilm desselben Regisseurs angefangen, weil die Beschreibung mich als Binneninsel-Fan gereizt hatte: "Der Kampf auf der Insel" (1962). Den habe ich nach zehn Minuten abgebrochen, weil ich es einfach nicht aushielt. Durch Jean-Pierre Melvilles "Cercle Rouge" habe ich mich durchgekämpft, allein weil ich verstehen wollte, warum ihn Quentin Tarantino zu seinen Vorbildern und Lieblings-Thrillern zählt. Nun, ich verstehe es genauso wenig, wie mir die Prädikate "wegweisend" oder "bahnbrechend" in Bezug auf "Rififi" und "Fahrstuhl zum Schafott" einleuchten. Es sind objektiv keine akzeptablen Heist-Movies, und ich bin mir sicher, auch ohne sie hätte sich das Genre entwickelt – weiterentwickelt hat es sich außerhalb Frankreichs allemal. Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Sobald ein räuberisches Element hinzutritt, büßt der Beutezug an Cleverness ein und ist kein Heist mehr, wie wir ihn lieben. Und entre nous, wenn du während der "großen Nummer" mit einem quälend zähen Kameraschwenk zu unpassender Musik über die Dächer der nächtlichen Stadt vom Geschehen ablenkst, grenzt das an Arbeitsverweigerung.
Als "hart wie Granit, kalt wie Polareis und logisch wie eine mathematische Gleichung" kündigte das deutsche Filmplakat "Vier im roten Kreis" seinerzeit an. Va chier! Es gibt kalte Charaktere, die einen wirklich bibbern lassen, und solche, die einen schlicht kalt lassen, weil sie, wie hier, hohl, leer, flach, hölzern, kurzum: charakterlos sind. Man lässt sie schweigen, weil man zu faul ist, ihnen glaubwürdige Dialoge zu schreiben, und verkauft das als Abgebrühtheit, als definierende Eigenschaft, ja als "Tiefe". Ich erkenne aber bei keinem der Akteure irgendeine Motivation, geschweige denn bin ich bereit, mich in sie hineinzuversetzen oder mit ihnen zu sympathisieren. Entsprechend scheißegal ist es mir, dass die "Antihelden" (nicht mal als solche gehen sie durch) im antiklimaktischen Finale erschossen werden; und dass ich das jetzt gespoilert habe, ist mir ebenso scheißegal.
Ein Beispiel für das Versäumnis, irgendwelche intrinsischen Antriebe darzustellen: Ein Polizist im Ruhestand, der in den verbrecherischen Coup hineingezogen wird, begreift seine Involvierung als Chance, von seiner Alkoholsucht loszukommen. Das habe ich allerdings erst bei Wikipedia nachgelesen. Im Film ist der einzige Hinweis auf ein psychisches Problem des Ex-Ermittlers ein Halluzinationsanfall, in welchem Frösche, Schlangen und andere Untiere durchs Schlafzimmer kreuchen. Von einem Alkoholentzug oder sonstigem struggle sieht man original nichts.
Abstoßender als der eben erwähnte Traum sind nur noch die widerwärtigen Paris-Aufnahmen. Dass uns französische Großstädte als Rattenlöcher verkauft werden, ist mir schon in den zwei oben genannten Filmen sauer aufgestoßen. Was solllll das? Gerade die Hauptstadt hat (und hatte garantiert auch damals schon) mehrere ansehnliche Ecken und reizende Sehenswürdigkeiten zu bieten, wovon ich mich erst neulich überzeugen konnte (Kybersetzung-Leser erinnern sich). Das hat nichts mehr mit "Atmosphäre" und "Noir" zu tun, das ist einfach Negativfärbung und choquer pour choquer.
Zu guter Letzt müssen wir noch den Bechdel-Test machen. Während der 140 (!) Minuten sagt keine Frau auch nur e i n Wort. Der einzige längere Auftritt einer weiblichen Figur besteht darin, dass die Partnerin von einem der Gangster diesen durch eine Tür bei einem Gespräch belauscht. Barbusig. Diese Szene hat keinen Sinn und keine Konsequenzen. Null.
Ich behaupte, ich habe in diesen Beitrag mehr Gedanken investiert, als in das Drehbuch zu "Le cercle rouge" geflossen sind. Tut mir leid, dass er mit so einer bitteren Note endet.

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