Donnerstag, 13. Oktober 2022

Denkt an die Kinder!

Wenn man früher in Ländern mit höheren Lebensmittelkosten als in Deutschland zu Gast war, etwa in Norwegen oder in der Schweiz, dachte man sich beim forschenden Gang durch die Supermärkte: 'Himmel, die armen Menschen, die hier leben! Wie kommen die nur über die Runden?' Es dauerte dann einen bis zwei Gedankensprünge, bis einem klar wurde, dass dort die Reallöhne und die Kaufkraft ebenfalls höher waren. Im Herbst 2022 haben die Preise in unseren Kaufhallen beinahe skandinavisches Niveau erreicht, ohne dass die Haushaltseinkommen gestiegen wären. Als wären die Sorgen, die seit gut fünf Jahren von diversen Katastrophen und Krisen verursacht werden, nicht genug, muss ein großer Teil der deutschen Bevölkerung nun auch noch unter Existenzängsten leiden. Es ist gerade wirklich nicht schön, auf der Welt zu sein, vor allem wenn man in der Blüte seines Lebens steht und die vage Hoffnung hatte, sich "etwas aufbauen" zu können. Aber ich will gar nicht jammern! Sondern sachte zum eigentlichen Punkt kommen.

Ich habe seit mindestens zehn Jahren keine politische TV-Talkshow geschaut, aber Anfang bis Mitte der Nullerjahre zappte ich regelmäßig und mit Vergnügen zu "Hart aber fair", zum Beispiel während ich Hausaufgaben machte. Jede Woche hatte dabei ein Gast die Rolle des Buhmanns einzunehmen, eine Person mit einer Meinung, die allzu offensichtlich vom Konsens der Talkrunde abwich und nur dazu diente, Zunder in das Format und selbst Moderator Frank Plasberg gelegentlich aus der Contencance zu bringen. Sollte dieses Spiel noch immer so gespielt werden, würde ich gerne mal jemanden in einem Panel sitzen (oder stehen) sehen, der Folgendes vorträgt:

Deutschland ist immer noch ein reiches Land. Das Gebot der Stunde ist Umverteilung. Und dann fängt man erst mal bei den oberen Hundert an. Niemand muss Milliardär sein, heißt es doch immer. Klar. Aber dann sollten wir uns auch die finanziell zweitstärkste Bevölkerungsgruppe vornehmen. Ich sag' Ihnen, wer das ist: Schulkinder. Na-, nein, ja lassen Sie mich bitte ausreden! Wenn ich mittags zu Rewe gehe ... ach so, ja, sicher, es gibt auch noch Edeka, Nahkauf und Norma. Wenn ich jedenfalls zufällig in der Mittagszeit in meinen Stamm-Rewe gehe, was glauben Sie, was da los ist? Der Laden bricht aus allen Nähten, weil er gefüllt ist mit Schulkindern. Da sehen Sie Mädchen und Jungs im Alter von, ich sag' mal neun bis sechzehn Jahren, die stehen allesamt mit vollen Händen an der Kasse. Energydrinks, Chipstüten, Backwaren, Instant-Ramennudeln, Süßigkeiten. Und so geht das jeden Tag. Das ist notabene das Einzugsgebiet ... Wie? Ach so, ja, "wohlgemerkt", danke, Herr Plasberg. Das sind wohlgemerkt hauptsächlich Kinder aus einer integrierenden Gesamtschule, "Problemschule" hätte man früher gesagt, also wo man denkt, da ist das Taschengeld begrenzt. Aber nein, das ist einfach da, fünf, sechs Euro täglich für Junkfood, vermutlich nach dem Unterricht noch einmal. Und das ist nicht nur ein Phänomen in meinem Wohnort, in einer anderen deutschen Großstadt kann ich das ebenfalls beobachten. Wir hatten ... Ich will jetzt nicht den Opa mit dem erhobenen Zeigefinger geben, aber womöglich erinnern Sie sich auch an Ihre Schulzeit, meine Damen und Herren. Da hatte man eine Brotbüchse – Brotkapsel hieß es bei uns auch – mit belegtem Brot, das man von zu Hause mitgebracht hat. Klar, manche von uns sind auch mal in der großen Pause zu Netto gegangen; "ins Netto" haben wir komischerweise immer gesagt ... Hm? Äh, genau, es gibt auch noch Lidl, Aldi oder Penny ... Aber da hat man sich maximal ein Käsebrötchen geholt. Die Gesellschaft müsste eben nicht nur einfach ein Bewusstsein schaffen, man müsste das Konzept Brotdose wieder einführen, davon ab, dass gesunde Ernährung ... Wenn ich das kurz zu Ende führen darf? Das ist ... selbstverständlich wieder eine andere Baustelle, schön, dass wir uns da einig sind. Worauf ich hinaus will: Hier muss der Staat die Schere ansetzen ... Nein. Nein, das habe ich nicht gesagt. Ich will Familien mit Kindern keineswegs etwas streichen. Jetzt werden Sie unsachlich. Um Bemessungsgrenzen geht es, um Entlastung für hart arbeitende Menschen. Umverteilung eben.

Ob der, der hier spricht, ein Avatar von mir ist oder nur ein Strohmann, verrate ich nicht.

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