Samstag, 16. Mai 2020

Von Nordfries- ins Sauerland

Wir befassen uns noch einmal mit den zuletzt erwähnten Kirchspielen und machen einen Exkurs nach Schleswig-Holstein in die Zeit, als dieses eine preußische Provinz war. Im Rahmen der Einführung der Landgemeinden im Jahr 1867 gingen die Kreise Süder- und Norderdithmarschen sowie der Kreis Husum einen Sonderweg: Weil mit den dortigen eben so (Kirchspiel) genannten Gebietskörperschaften "bereits weltliche Strukturen vorhanden waren" (Wikipedia, wobei nicht erklärt wird, was das genau bedeutete), wurden aus diesen, bei räumlicher Deckungsgleichheit, kurzerhand Kirchspielslandgemeinden statt einfach nur Landgemeinden. Damit gingen bemerkenswerterweise kirchliche Verwaltungseinheiten 1:1 in politische Gemeinden über. 1934 gab es dann Neuaufteilungen und -ordnungen, Auflösungen und Eingliederungen, teilweise wurden auch ohne Gebietsveränderung aus Kirchspielslandgemeinden einfache Landgemeinden. Damit hatte jedoch nicht die letzte Stunde dieses außergewöhnlichen Wortes geschlagen: Als 1948 die Ämter (i.S.v. Bundkörperschaften aus mehreren Gemeinden, die es heute unter dieser Bezeichnung nur in Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg gibt) gebildet wurden, hießen diese in Dithmarschen und (zum Teil) in Husum wieder "Kirchspielslandgemeinden". Der Kreis Husum gab diese Benennung noch im selben Jahr wieder auf, doch in Dithmarschen gab es bis zur Reform von 1970 noch offiziell Kirchspielslandgemeinden. Und damit war's das immer noch nicht! Obwohl es sich nun offiziell um Ämter handelte, durften die jeweiligen Ortsnamen den vorangestellten Zusatz "Kirchspielslandgemeinde" bis 2007 behalten – und zwei tun das sogar bis heute: das Amt Kirchspielslandgemeinde Heider Umland und das Amt Kirchspielslandgemeinden [sic] Eider. Wer möchte sich das nicht in den Briefkopf schreiben!
Eine Gemeinde, die den Kirchspielbezug bereits 1934 aufgeben musste, ist das nördlich von Husum gelegene Horstedt, welches ich hier ins Feld führe, weil es heraldisch interessant ist. Der Entwurf eines neuen Gemeindewappens spaltete den Ort 2016: Der im unteren Drittel abgebildete Handschlag zweier Hände erinnerte die Bürgerinnen und Bürger an den sozialistischen Händedruck, wie man ihn vom SED-Symbol kannte. Gegen allen Protest wurde das Wappen durchgesetzt. Noch ungewöhnlicher als die zwei Hände, wenn auch nicht so ungewöhnlich wie ein Elefant, ist das, was oben links neben einem Hufeisen abgebildet ist: ein Windrad. Es befremdet mich, weil es in etwas so Altmodischem wie einem Hoheitszeichen irgendwie anachronistisch wirkt. Ein Pferd als Wappentier hätte sich angeboten, steckt doch in dem Ortsnamen Horstedt das mit engl. horse verwandte Wort dafür.
In Schleswig-Holstein gibt es viele für mich noch weiße Flecken. Sobald die Reisebeschränkungen gelockert sind, muss ich dort mal hin. In den Dutzenden Magazin-Artikeln und Online-Strecken der letzten Wochen à la "Urlaub vor der Haustür" oder "So schön ist Deutschland" taucht gerade Nordfriesland immer wieder auf. Im Stern wurde darüber hinaus diese Woche ein Gebiet vorgestellt, das ebenfalls terra incognita für mich ist: das Sauerland. Dass ausgerechnet die Stadt Schmallenberg mit einem großen Teaserfoto als Ausflugsbeispiel herhalten musste, fand ich indes unglücklich: Man sollte nicht vergessen, dass es vor SARS-CoV-2 auch schon furchterregende Viren gab ...

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