Freitag, 1. Mai 2020

Von Bern ins Erzgebirge

In Dürrenmatts Kriminalnovelle "Der Richter und sein Henker" heißt es über eine zentrale Figur, sie sei "gebürtig aus Pockau in Sachsen". Da ich aus Sachsen stamme, aber noch nie von diesem Ort gehört hatte, überprüfte ich, ob es sich nicht um eine Erfindung handelte. Tut es nicht. Pockau selbst ist seit 2014 keine eigenständige Gemeinde mehr, sondern Teil der Stadt Pockau-Lengefeld, welche trotz ihrer überschaubaren Größe (rund 7600 Einwohner) bis heute nicht unbedeutend ist. Das Erzgebirgsörtchen ist nämlich Hauptsitz der Lorenzianer, einer christlichen Sekte mit dem offiziellen Namen "Gemeinschaft in Christo Jesu", die mit der dortigen Eliasburg ihr Zentralheiligtum hat. Die Vereinigung mit insgesamt ca. 3800 Mitgliedern wurde 1922, also ein Jahr nach Friedrich Dürrenmatts Geburtsjahr, von Hermann Lorenz gegründet, der "sich als Vollender des Erlösungswerkes Christi" sah und dessen 1200 "Offenbarungen", die "in der Eliasburg unter Verschluss gehalten werden [, ...] faktisch einen höheren Rang als die Bibel" haben (Zitate von sekten-sachsen.de). Die Grundlage dieser Bewegung geht allerdings weiter zurück und ist die "eines konsequent eschatologisch-apokalyptischen Biblizismus und prophetischer Offenbarungen" nicht nur von Lorenz, sondern zweier weiterer Männer, die bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewirkt haben (Helmut Obst: Apostel und Propheten der Neuzeit. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 2000). Details zu Lehre und Liturgie kann man auf Wikipedia nachlesen.

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