Sonntag, 27. Juni 2021

Bye-bye, Coco!

Ich kann mich noch genau an meine erste Folge von "Late Night with Conan O'Brien" erinnern! Nun ja, "genau" ist übertrieben, zum Beispiel vermag ich das exakte Datum nicht zu benennen. Es muss irgendwann im Sommer oder Herbst 2000 gewesen sein, denn wir befanden uns auf einem Familienkurzurlaub in Hannover, Anlass war die Weltausstellung "Expo 2000". Auf dem Fernseher in unserer Gästewohnung war CNBC Europe verfügbar, und dort wurden am späten Abend, mit ein paar Tagen Verzögerung, Teile des Programms vom Muttersender NBC gezeigt, darunter O'Briens Late-Night-Show. Was in der Ausgabe, die ich an jenem Abend sah, passierte, weiß ich noch sehr gut – es war nicht weniger als ein Schlüsselmoment in meiner Mediensozialisation, ein Erweckungserlebnis.

Natürlich war mir bereits bekannt gewesen, wer Conan O'Brien war, ich wusste, welche "Simpsons"-Episoden er geschrieben hatte, und es war kein Geheimnis, dass Harald Schmidt einige "Late Night"-Segmente für seine Sat.1-Sendung geklaut hatte. Aber ein Beispiel für das ur-amerikanische Format der Late-Night-Show hatte ich noch nie mit eigenen Augen gesehen. Die Ausgabe begann wie üblich mit dem Monolog. Ich freute mich über jeden Witz, den ich mit meinen mangelhaften Englischkenntnissen verstand; es ging, wenig überraschend, mehrmals um Bill Clinton. Wenig später folgte ein Auftritt der damals schon ikonischen Figur "Masturbating Bear", bei dem ich bereits erahnte, dass sich mir hier ein ganz besonderer Kosmos des abseitigen Humors eröffnete. Ein weiterer Sketch (wenn ich mich recht entsinne, nach dem ersten Gast) bestand darin, dass Conan "aus Versehen" sein Wasserglas umstieß, was darauf im Stile einer Medienskandal-Berichterstattung in mehreren "Breaking News"-Spots und "60 Minutes"-ähnlichen reports analysiert und rekapituliert wurde. Auch diese schlau geschriebene und exzellent durchgespielte Satire beeindruckte mich zutiefst. Was hatte ich da gerade gesehen!

Eine glückliche Fügung sorgte dafür, dass wir wenige Jahre später CNBC über unsere Heim-Satellitenanlage empfangen konnten. Ich schätze, von 2003 (vielleicht auch von 2004?) bis zum Ende von "The Tonight Show with Conan O'Brien" Anfang 2010* habe ich keine Ausgabe der O'Brien-Show verpasst. Auch die TBS-Iterationen habe ich bis zum Ende verfolgt, wenn auch zuletzt weniger enthusiastisch und in Form sporadischen Youtube-Konsums, da solche Sendungen während der Pandemie für mich ihren Reiz verloren hatten. Aber zurück zur NBC-Ära! Sofern ich nicht länger außer Landes war, programmierte ich viermal pro Woche den Videorecorder, um am folgenden Morgen mit Conan und Kaffee in den Tag zu starten. Es war fester Bestandteil meiner gesamten Studienzeit. Als CNBC die werktäglichen Wiederholungen erst auf eine halbe Stunde stutzte und schließlich ganz einstellte, ärgerte ich mich nicht, denn Internetanschlüsse waren inzwischen schnell genug, um sich die Show anderweitig, ähem, zu besorgen.

* Wisst ihr noch? Die epochalen "Late Night Wars", bei denen Conan Jay Lenos Show übernahm und Jimmy Fallon die Moderation von "Late Night"!

Hin und wieder schaute ich auch in Lenos Sendung rein, die ich aber bis auf gelegentliche "Man on the street"-Einlagen ganz furchtbar fand. Bei CNN lief eine "Global Edition" der "Daily Show" mit Jon Stewart, welche mich wiederum überforderte. Nein, ich war Conan-Anhänger durch und durch, auch wenn ich mir eingestehen musste, dass der geniale Wahnsinn bzw. die wahnsinnige Genialität mit dem Ausklang der Nullerjahre peu à peu abnahm und bei "Conan" auf TBS schließlich nur noch vereinzelt aufschien. Umso seliger war ich, wann immer Clips aus den Tagen vor "meiner Zeit" auf diversen Videoplattformen auftauchten – um binnen kurzem auf Drängen von NBC gelöscht zu werden. Seit 2017 unangetastet finden sich im "Internet Archive" etliche komplette Ausgaben von "Late Night" aus den Neunzigerjahren. Was für ein Schatz!

Von Anfang an war die exzeptionelle kreative Kraft hinter der Spätabend-Show spürbar, und zahlreiche Namen werde ich bis in alle Ewigkeit mit peak comedy verbinden. Denn es war ja nicht nur O'Brien, der den herrlichen Quatsch stemmte. Die neben und mit ihm Auftretenden waren durch die Bank weg eine Wonne, von Kultgreis Abe Vigoda über die sich dort ihre ersten Sporen verdienenden Youngsters Jack McBrayer und Amy Poehler (als Andy Richters Schwester) oder später Will Forte (als Ted Turner) bis hin zu Darstellern, deren Namen ich bis heute nicht eruieren konnte, z.B. den "Babbling Floor Whipper", dessen Theme-Song mir buchstäblich monatelang im Gehirn rumspukte. Am herausragendsten waren freilich die zwei Brians, die Autoren Brian Stack (heute bei Colbert) und Brian McCann (keine Ahnung, was der heute macht). Jeder Auftritt ihrer wiederkehrenden Figuren vermochte es, mir das Zwerchfell bersten zu lassen (bitte selbst googeln): "The Interrupter", der "FedEx-Pope", der "Fun hole"-Typ, "Hannigan the Travelling Salesman", "Preparation H Raymond" und und und. Nicht unerwähnt bleiben darf auch Robert Smigel, der nicht nur "Triumph the Insult Comic Dog" erfunden hat. Recurring characters waren neben komplett aus dem Nichts kommenden throwaway gags** die große Stärke von Conans Shows, und bei manchen reichte es schon, sie einfach auftreten und einen minimalistischen Act aufführen zu lassen, ich denke da etwa an die Slipnutz, an "Cactus Chef Playing 'We Didn't Start the Fire' on a Flute" oder, großer Gott!, "Gorilla Nurse Using an Old-Fashioned Abdominal Excersiser While Listening to 'Angel of the Morning' by Juice Newton".

** In welcher anderen Late-Night-Talkshow wurden oder werden regelmäßig Fake-Gäste auf die Bühne oder an den Schreibtisch gebeten, um während des Interviews erschossen zu werden oder eines anderen bizarren Todes zu sterben?

Während ich diese ganzen Erinnerungen niederschreibe, muss ich abwechselnd lachen und weinen. Aber warum schreibe ich sie überhaupt nieder, fragt ihr euch? Nun, weil ich festhalten möchte, dass mich die beinahe 20 Jahre Rezeption dieser Art von Humor, der mir selbst in düstersten Phasen Freude zu bereiten im Stande war, persönlich geprägt haben. Es ist kein Geheimnis, dass ich komisches Schreiben als Beruf ergriffen habe, und auch wenn ich nie Erfolg damit hatte, so ist es mir stets leicht gefallen, weil ich auf ein rigide verinnerlichtes Set von humoristischen Schnittmustern und Spielarten höheren Nonsense' zurückgreifen konnte und kann, das mir durch Conan vermittelt wurde. Unerwartete Non-sequitur-Wendungen, weirdness und absurdist humor, geplante randomness und intelligente Albernheit, das versuche ich in meinen Texten unterzubringen, und diese Herangehensweise haben Conan und sein Team auf eine Weise perfektioniert, die ich höchstens später, als ich zum "Saturday Night Live"-Superfan wurde, in dessen "goldenem Zeitalter" (Season 21-25) wahrgenommen habe. 

Conan hat es in seiner Abschiedsrede auf den Punkt gebracht: "I have devoted all my adult life [...] to pursuing this strange phantom intersection between smart and stupid. And there's a lot of people who believe the two cannot coexist. But god, I will tell you, it is something I believe religiously. I think when smart and stupid come together, it's very difficult, but if you can make it happen, I think it's the most beautiful thing in the world." AMEN! Dass diese Art von Comedy schon immer etwas nischig war und heute aus der Zeit gefallen zu sein scheint, ist bedauerlich, und ich wünschte mir, es würde sich irgendwann (wieder) – zuungunsten der inflationären Politsatire modernen Typus' – ein breiteres Publikum dafür finden. Ich hoffe und könnte mir vorstellen, dass Conan O'Briens 2022 startende Variety-Show auf HBO Max sich auf diese Tugenden besinnt.

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