Dienstag, 8. Juni 2021

Ripley in der Goebbels-Schnauze?

In der spannenden Biographie "A Curious Man: The Strange & Brilliant Life of Robert 'Believe It or Not' Ripley" von Neal Thompson erfährt man auf Seite 231f., dass der berühmte Cartoonist, Weltenbummler und Kuriositätensammler Robert Ripley im Jahr 1934 die womöglich erste globusumspannend ausgestrahlte Live-Radiosendung präsentierte. Für ein "Believe It or Not"-Special auf NBC versammelte er 16 Simultandolmetscher mit Mikrofonen auf einer Bühne und ließ sie seine Moderation on air übersetzen. Das Programm ging der Presse zufolge u.a. nach China, Japan, Italien, den Niederlanden, Schweden, Persien und Argentinien über den Äther. Und: nach Deutschland. Für diese Behauptung kann ich leider keine bestätigenden deutschsprachigen Zeitungsmeldungen, keine Tagebucheinträge oder Erwähnungen in Büchern finden. Gab es die Sendung überhaupt in deutscher Sprache, oder konnte man sie innerhalb des Deutschen Reiches lediglich aus Anrainerländern oder aus Großbritannien "abfangen"? Ob sich ein Zeitzeuge auftreiben lässt?

Ich zumindest kann bezeugen, dass "Believe It or Not!" spätestens sechs Jahrzehnte später als "Unglaublich aber Wahr!" den Weg nach Deutschland gefunden hatte. Als Schuljunge stieß ich nämlich einmal beim Familienurlaub auf ein Taschenbuch, das mich aus einem Grabbeltisch vor einem Ramschladen anlachte. Für 1 oder 2 Mark nahm ich es mit, und ich besitze es noch heute.


1995 erschien dann das lose auf Ripleys Abenteuern basierende Indiana-Jones-artige Computerspiel "Das Rätsel des Master Lu". Erst als ich von einer Spielezeitschrift darüber informiert wurde, erschloss sich mir der Zusammenhang mit meinem Büchlein (Internet stand damals ja noch nicht zur Verfügung)! Ich wünschte mir das Game zu Weihnachten, bekam es auch geschenkt, aber ach – es wollte nicht laufen und musste umgetauscht werden; das Problem, dass ein bestimmtes Programm mit einem bestimmten PC aufgrund einer Kleinigkeit wie der falschen Soundkarte völlig inkompatibel ist, kann man sich in Zeiten von GOG.com und Cloud Gaming kaum vorstellen, aber damit hatten wir damals regelmäßig zu kämpfen! Zum Glück konnte ich das Adventure dank dem YouTuber "FireFox" ein Vierteljahrhundert später doch noch, in Form eines Let's Plays, erleben. Aber ich schweife ab.

Ab 2005 wurde im Spätabendblock von RTL II die US-Neuauflage von "Believe It or Not!" (88 Folgen in 4 Staffeln, 2000-2003) gezeigt, was komplett an mir vorbeigegangen ist. In der deutschen Bearbeitung ("Ripley's unglaubliche Welt") wurden, wie die Seite "TV Wunschliste" weiß, die Moderationsteile durch Einspieler mit Markus Majowski ersetzt. Den habe ich vor ein paar Jahren in einem Theaterstück an der Komödie Frankfurt gesehen, aber ich schweife schon wieder ab. Wie meine weiteren Recherchen ergaben, war sogar mal ein Kinofilm basierend auf dem Leben Bob Ripleys in der Mache, bzw. nicht einmal in der Mache, sondern lediglich geplant. Das Projekt, bei dem Jim Carrey die Hauptrolle übernehmen sollte, ist bereits Ende der Nullerjahre eingeschlafen, die letzten Updates diesbezüglich datieren auf 2011.

Die Frage bleibt: War LeRoy Robert Ripley schon zu Lebzeiten in Deutschland bekannt? Ein allgemeines Interesse an seinem Treiben wäre hierzulande mit Sicherheit vorhanden gewesen, denn die amerikanische Schaubuden-, Tingeltangel- und Freakshow-Kultur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ist nachweislich wiederholt nach Europa hinübergeschwappt. Harry Houdini hatte in Deutschland einige vielbeachtete Auftritte, was ich, glaube ich, erstmals in David Blaines autobiographischem Sachbuch "Mysterious Stranger" gelesen habe; auch in einer Spiegel-Fotostrecke wird es erwähnt. (Side note, re: "The Great Span": Die letzte noch lebende Bühnenassistentin Houdinis starb erst 2011 im Alter von 103.) P.T. Barnum tourte mehrmals durch Europa. Ob er auch je in Deutschland war, konnte ich nicht verifizieren. Chang und Eng Bunker, die von ihm promoteten siamesischen Zwillinge, deretwegen Siamesische Zwillinge bis heute so heißen, waren es. (Ich empfehle übrigens den faszinierend-deprimierenden "Dollop"-Podcast zu Chang & Eng.)

Abschließend soll festgehalten werden, dass es den Globetrotter Ripley natürlich auch nach Deutschland verschlagen hatte, nur eben nicht als Entertainer, sondern als Erkunder und Oddities-Aufspürer. Im Rahmen seiner Europareise 1913 wohnte er in Deutschland einer Mensur bei ("a bizarre sword-fighting contest", a.a.O., S. 52).

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