Sonntag, 18. September 2022

Zauberhafte altdeutsche Rechtssprache (I)

Nachdem es im vorletzten Beitrag um obskure Rätsellösungen und im letzten um eine obskurere Berufsbezeichnung ging, ist es nur folgerichtig, sich erneut mit obskurem Sprachgut zu befassen ... Nein, halt, das ist überhaupt nicht folgerichtig! Das Blog droht monothematisch zu werden, und das ist keineswegs meine Absicht.

Nichtsdestotrotz ist es an der Zeit für eine neue kleine Reihe, in welcher ich lexikographische Stöbereien in einem Lehrbuch betreiben möchte, das ich bereits im August erwähnt habe: Deutsche Rechtsgeschichte von Heinricht Mitteis, erschienen in 3. Auflage 1954 bei C.H. Beck. Ich hatte es in einem Berliner Antiquariat erworben und mit Blick auf das Erscheinungsjahr direkt gedacht: Uiuiui. Denn wenn man sich, wie ich, ein bisschen mit der westdeutschen Nachkriegsgeschichte beschäftigt hat, weiß man, dass jemand, der in dieser Zeit eine höhere Position in der Rechtspflege oder -lehre bekleidete, mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit eine oder mehrere Leichen im Keller hatte. Aufatmen war angesagt, als ich den Wikipedia-Artikel zu H. Mitteis las, denn der in Prag geborene Ordinarius darf nicht nur als unbelastet, sondern sogar als bedingt widerständisch betrachtet werden. Bereits 1933 "verlor er sein Amt als Dekan, weil er gegen die Verunglimpfung jüdischer Kollegen in der nationalsozialistischen Presse Stellung nahm und den Rektor der Heidelberger Universität kritisierte. Obwohl Mitteis nicht der NSDAP beitrat, wurde er 1934 auf den Lehrstuhl für Deutsches Privatrecht, Deutsches Bürgerliches Recht, Handels- und Wechselrecht und Deutsche Rechtsgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München berufen. Wegen seiner kritischen Einstellung zum Nationalsozialismus war Mitteis offenen Angriffen von Seiten der nationalsozialistischen Studentenführung ausgesetzt. In einer Vorlesung kam es sogar zu einer Schlägerei zwischen NS-Studenten und Mitteis’ Schülern. [...] 1938 entging Mitteis der Schutzhaft nur, weil seine Familie mit der Frau von Alfred Jodl, dem damaligen Leiter des Wehrmachtführungsamtes, befreundet war. Nach dem 'Anschluss Österreichs' wurde Mitteis von allen Ämtern suspendiert und an die Universität Rostock versetzt."

Mitteis (1889-1952) gilt bis heute als Koryphäe für Rechtsgeschichte. Dementsprechend geht das vorliegende Studienbuch aus der Reihe "Juristische Kurz-Lehrbücher", bei aller Kompaktheit, ganz schön in die Tiefe, ist voraussetzungsreich und anspruchsvoll. Ich habe es dennoch bewältigt, und hier kommt nun die Nacharbeit. Viele der Fachwörter, die oft ohne weitere Erklärung gedroppt werden, sehen kurios aus, scheinen uralt zu sein, sie sind, kurzum, einer näheren Betrachtung wert. Für jede Folge dieser Serie werde ich mir zwei Wörter herausgreifen und unter Zuhilfenahme mir vertrauenswürdig scheinender Drittquellen definieren. Weitergehende Forschungen (bspw. etymologischer Art) sind mir nicht zuzumuten.

Schatzwurf. War wohl eine Form der Freilassung durch den König mit Vollfreiheit als Folge. Aber wie sah dieser Akt konkret aus? Der Klappentext von Ute Maass' Monographie Die Freilassung durch Schatzwurf in den Urkunden der karolingischen, sächsischen und salischen Kaiser und Könige (zugl. Diss. Bochum 2007) fasst es in einem Satz zusammen: "Der Schatzwurf ist eine symbolische Handlung, bei der der freizulassende Unfreie dem Freilasser einen Denar darbietet, den dieser ihm aus der Hand schlägt."
Allgemeiner das Online-Mittelalter-Lexikon, welches auch die althochdeutsche Form (scazuurfun) und die mittellateinische Grundlage für die Lehnübersetzung angibt (excussio denariatio): "Symbolischer Akt bei der Freilassung Leibeigener. Der Freizulassende hielt dabei vor Zeugen seinem Herrn eine Münze hin, die dieser annahm und zu Boden warf (iactante denario), wodurch die Ablehnung des Kopfzinses augenfällig dargestellt war."

Hantgemal. Erscheint in Klammern hinter dem Halbsatz "Später wurde das Schöffenamt mit gewissen Gütern verbunden". Wo ich schon mal das Mittelalter-Lexikon offen habe: Dort wird es definiert als "dinglicher Ausweis für Freiheit und Adel einer Person oder Sippe in Form eines Stamm- oder Erbguts, nach welchem diese ihre Hausmarke führt. Insbesondere das Stammgut ritterbürtiger, schöffenbarer Geschlechter. Das vererblich an das Gut gebundene Zeichen des hantgemals wurde als Unterschrift gesetzt und war nur in männlicher Linie vererbbar."
Da tun sich sogleich Folgefragen auf. Also: "Unter Schöffenbaren haben wir [...] Schöffen und ihre Familienangehörigen zu verstehen. Jedoch war ihre Standesstellung durch ein Anrecht an freies Eigengut, das im Bezirke des betreffenden Schöffengerichtes lag, beschränkt; man nannte dieses Eigen Hantgemal." So steht es bei Aloys Meister, Deutsche Verfassungsgeschichte von den Anfängen bis ins 14. Jahrhundert, 2013. In welcher Gestalt man sich das Zeichen "als Unterschrift" bzw. die "Hausmarke" vorzustellen hat, konnte ich nicht herausfinden, auch nicht bei Wikipedia, die den Begriff als "Handgemahl" führt. (Es gibt verschiedene Formen, von denen die älteste, handmahal, wie man dort erfährt, im altsächsischen Heliand belegt ist.)

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