Dienstag, 22. August 2023

Künstliche Köche verderben den Brei

Ich sehe einer Zukunft, in der KI eine immer größere Rolle spielt, inzwischen gelassener entgegen als noch vor einem halben Jahr. Vor einem Jahr hätte ich vielleicht noch "einer von KI dominierten Zukunft" geschrieben. Seien wir ehrlich: Gerade jene Branchen, deren feindliche Übernahme durch ChatGPT & Co. am vehementesten behauptet wird, scheinen mir derzeit auffallend ungefährdet zu sein. Wie ich in der Vergangenheit mehrfach gezeigt habe, ist das Erzeugen von Gebrauchstexten zwar simpel wie nie, die Ergebnisse sind aber, gerade im journalistischen Bereich, oft von bescheidener Qualität. Klar kannst du in Windeseile mit ein paar Prompts einen Blogbeitrag erstellen, der es von der Entropie her mit einem durchschnittlichen Wikipedia-Artikel aufnehmen kann, stilistisch wird er aber selten über das Niveau eines solchen hinausgehen, davon abgesehen, dass am Ende immer noch faktische Fehler und Unstimmigkeiten enthalten sein werden. Kurzer Besuch der Reiseseite, die ich hier schon einmal hinsichtlich groben Chatbot-Einsatzes begutachtet habe:

Die besten Discos/Clubs der Welt
Es gibt keine eindeutige Liste der 20 besten Discos der Welt, da dies stark von persönlichen Vorlieben und aktuellen Trends abhängt. Es gibt jedoch einige bekannte und beliebte Discos weltweit, wie zum Beispiel das

  •   Europa:Berghain in Berlin, das Pacha in Ibiza, das Fabric in London
  •   Asien das Zouk in Singapur

[...]
Es gibt auch viele andere großartige Discos auf der ganzen Welt, die je nach Musikstil und Atmosphäre unterschiedliche Erfahrungen bieten. Es ist wichtig zu beachten, dass sich die Clubszene in Asien ständig weiterentwickelt und neue Discos eröffnen können,

Peinlich. Wenn fürderhin jemand orakelt, semi-professionelle und leidenschaftliche Reiseblogger könnten ihr Hobby demnächst an den Nagel hängen, weil neue, mit Hilfe von Sprachmodellen generierte Angebote ihnen die Reichweite wegnehmen, dann lache ich mir 'nen Ast.

Kaum bedroht sehe ich auch die Arbeit von Kochbuch-Autor(inn)en. Ich beanstande im Folgenden nicht die Möglichkeit an sich, Gerichte von Künstlicher Intelligenz "erfinden" zu lassen. Die Verbandelung von Kulinarik und moderner Informatik kann ein witziges Experiment sein. Ich beziehe mich explizit auf Rezeptsammlungen: Jeder, der seine sieben Zwetschgen beisammen hat, wird ein klassisches, mit Herzblut kompiliertes und mit Könne designtes Kochbuch jenem Schmarrn vorziehen, den beispielsweise das in Dänemark ansässige Unternehmen Magic Media zum Preis von 5,95 $ (!) pro PDF vertreibt.

"Taste of Vanuatu": "A Journey Through the Island’s Cuisine! Delicious Island Fare" und "A Collection of Vanuatu Recipes" versprach eine Kollektion von 25 Rezepten. Das interessierte mich natürlich, denn über Vanuatu weiß ich nur wenig, und Inspirationen für den eigenen Herd entdecke ich immer gern. Vorab: Ich vermag nicht zu sagen, ob die Gerichte tatsächlich existieren. Sie lesen sich mach- und essbar und einigermaßen pazifiktypisch; zusammengestellt hat sie ausweislich des Impressums ein "David Bule", über den man im gesamten Internet nichts findet. Die Illustrationen stammen von "Paramte Poompuang", und den oder die gibt es nun, zumindest laut Google, gar nicht. Vermutlich wird das von Magic Media verwendete Bildgenerierungs-Tool intern so genannt, und was das ausspuckt, bewegt sich irgendwo zwischen aberwitzig und uncanny.


Das schaut ja erst einmal nicht sooo unrealistisch aus, aber man beachte bitte die Hände!


Ich würde so ein leicht schräges Essensbild als auflockerndes Flavour-Element durchgehen lassen, wären nicht auch die "Fotos" der einzelnen Gerichte teilweise extrem daneben. Dabei sieht manches sogar recht schmackhaft und präsentabel aus, etwa der Coconut Cream Fish:


Die Darstellung von Tuluk zum Beispiel könnte indes gar nicht weiter von der Wirklichkeit abweichen.


Regelrecht verstörend wird es bei Suppen und Desserts:


Ich glaube, das hier sind meine Favoriten: Lobster Mornay und Bananenkuchen. The horror, the horror!

 

Es ist offensichtlich, dass die KI-Resultate nicht nur nicht nachbearbeitet, sondern nicht einmal angesehen wurden. Ein geistig gesunder Mensch wird doch unmöglich einen Blick auf die obige Monstrosität werfen und denken: 'Jepp, das ist Banana Cake, wie wir ihn kennen und schätzen!'

Dass die "Redaktion" hier einfach alles, was der Rechner ausspuckt, reinlaufen lässt, zeigt sich auch bei den Texten. Fast alle Beschreibungen beginnen mit irgendeiner Variation von "XY is a traditional dish from Vanuatu, an island nation in the South Pacific". Der Rest: lieblos, unpersönlich, lahm. Das ist Schrott, Dreck, Ausschuss, und mir tun alle leid, die fast sechs Dollar (welcher Dollar eigentlich?) dafür ausgegeben haben.

Ich könnte an dieser Stelle noch etliche weitere Beispiele aus Publikationen wie "Taste of USA Vegetarian" oder "Taste of Argentina" zeigen, nach denen ihr euch alle siebzehn Finger lecken würdet. Besonders albtraumhaft ist "Taste of Germany" für stolze 11,95 $ (dafür aber auch mit 112 Seiten Umfang), wo wirklich keine Illustration zum Rezept passt. Okay, eins muss ich euch zeigen: den süddeutschen Klassiker Leberkäse. Und vielleicht eine nicht-euklidische Brezel dazu?


Ich wiederhole mich nur ungern, aber: Wenn noch irgendwer schnattert, dass die schreibende und buchgestaltende Zunft in Bälde nichts mehr zu lachen habe, dann lache ich erst richtig.

"Babe, are you ok? You've barely touched your Milanese carried by a thousand maggots."

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen