Dienstag, 29. Mai 2018

Wie süß ist das denn?! (Teil 4)

Fast drei Jahre ist es her, dass ich versprochen habe, mich mit den acht derzeit in der EU nicht zugelassenen Süßstoffen zu befassen. Ich weiß nicht, was mir damals dazwischen gekommen ist, aber ich bitte um Entschuldigung und löse das Versprechen endlich ein.
Der Süßkraft-Faktor gibt an, wie süß das jeweilige Süßungsmittel im Vergleich zu normalem Zucker ist (Saccharose hat demnach den Süßkraftwert 1).


1. Alitam
Zugelassen in Australien, China, Indonesien, Mexiko, Neuseeland und einigen südamerikanischen Staaten
Süßkraft: 2000
Bedenklichkeit: Bis jetzt wurden, u.a. laut dem Online-"Sugar and Sweetener Guide", noch keine Nebenwirkungen gefunden. Alitam hat null Kalorien und gefährdet die Zähne nicht. Zudem hat es einen geringeren Nachgeschmack als Aspartam. Lediglich nach längerer Lagerung von damit versetzten Getränken kann es "zu unerwünschten Geschmacksentwicklungen kommen" (Rosenplenter/Nöhle (Hgg.): Handbuch Süßungsmittel. B. Behr's Verlag 2007).
Gegen Alitam als Teil der Ernährung von sowohl Diabetes- als auch PKU-Patienten spricht also offenbar nichts. Die industrielle Herstellung ist allerdings kostenintensiv. Alitam wurde bereits 1979 von Pfizer entwickelt.

2. Brazzein
Zugelassen: nirgends
Süßkraft: 500 - 2000
Das Protein Brazzein wurde erst 1994 aus der afrikanischen Kletterpflanze Pentadiplandra brazzeana Baillon isoliert, nachdem man entdeckt hatte, dass sich manche Affenarten besonders gern an den Beeren von Pentadiplandra gütlich taten. Tatsächlich ist die Pflanze bei Einheimischen unter dem französischen Namen Oubli , was "vergessen" bedeutet, bekannt: "Man erzählt sich, dass Kinder, die von den Früchten essen, ihre Mütter vergessen würden, weil diese so süß seien." (Wikipedia) Bis zur Marktreife können etliche Jahre ins Land streichen. Bis jetzt sieht es aber danach aus, dass Brazzein alle Eigenschaften eines perfekten Zuckerersatzes mitbringt. "Im Falle einer erfolgreichen Markteinführung von Brazzein werden einschneidende Folgen für die traditionelle Zuckerindustrie erwartet." (Wikipedia)

3. Dulcin
Zugelassen: nirgends mehr
Süßkraft: ca. 250 
Dulcin war nach Saccharin der zweite synthetische Süßstoff überhaupt, 1883 entdeckt von einem polnischen Chemiker mit dem herrlichen Namen Józef Berlinerblau. Wie schon bei Saccharin wurde die Zulassung von Dulcin in Deutschland mit dem akuten Mangel an Zucker im Reich gerechtfertigt. Entsprechend kippte der Bundesrat 1916 das bis dahin bestehende Verbot der Herstellung künstlicher Süßstoffe. In einem Begleitgutachten wird vermerkt, dass mit Dulcin gefütterte Kaninchen zwar "etwas dünnere[n] Kot" aufwiesen, Menschen jedoch "keinerlei unangenehme Wirkungen des Dulcins wahrnehmen" konnten. Im 57. Band der "Arbeiten aus dem Reichsgesundheitsamte" von 1926 ist dann zu lesen, dass "kleine Gaben" an Katzen "längere Zeit ohne Schaden verabreicht werden konnten, daß größere Mengen (1,0 bis 2,0 g für ein Tier)" aber "sofort Speichelfluß, Übelkeit, Erbrechen und teilweise Durchfälle, nach 1/2 Stunde deutliche Narkose veranlaßten. Bei wiederholter Zufuhr solcher Gaben starben die Katzen an Gehirnerscheinungen." Was die Versuche mit Affen und Menschen zeitigten, ist leider dank Google-Bücher-Vorschau-Einschränkung nicht einsehbar, doch Experimente an Ratten bewiesen später die karzinogene Wirkung des Stoffes und führten dazu, dass er Anfang der 1950er Jahre durch die FDA vom amerikanischen Markt genommen wurde. 

4. Hernandulcin
Zugelassen: (noch) nirgendwo
Süßkraft: ca. 1000
Bedenklichkeit: Studien, die konkrete gesundheitliche Risiken für den Menschen nahelegen, konnte ich nicht finden; erste Tests an Ratten fielen hinsichtlich Toxizität positiv (i.S.v. "gut") aus, vermeldete der New Scientist bereits 1986. Jedoch enthält die Pflanze, aus der Hernandulcin isoliert wird, auch Kampfer, und dies über einen längeren Zeitraum einzunehmen, ist nachweislich gefährlich. Bei der Pflanze handelt es sich um das Aztekische Süßkraut (Lippia dulcis, aztekischTzonpelic xihuitl, "süßes Kraut"), erstmals um 1570 beschrieben von dem spanischen Arzt Francisco Hernández, nach welchem das daraus gewonnene farblose Öl benannt ist. Hernandulcin soll, wie etliche andere Zuckeralternativen, einen bitteren Beigeschmack haben, der andererseits als "minzig" beschrieben wurde, "which would make it a good candidate for oral hygiene products" (Wikipedia). Man wird sehen.

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