Dienstag, 25. Dezember 2018

Wo ein Wille ist

Die unverschämteste Möglichkeit der deutschen Sprache, Modalität auszudrücken, ist die folgende:
wollen in der 3. Person (Singular oder Plural) Indikativ Präsens + Infinitiv Perfekt

Beispiel: Sie will einen Schuss gehört haben.
Diese Konstruktion bringt einen stärkeren Zweifel zum Ausdruck als die Variante mit soll. Wenn etwas geschehen sein soll, basiert das Gesagte auf der Aussage einer Person, die bekannt oder unbekannt, beteiligt oder unbeteiligt ist, womöglich auch gar keiner Person; es ist ein zu einem Satz geronnenes Ondit, dessen Wahrheitsgehalt man für nicht oder nur schwer zu ermitteln hält. "Sie soll einen Schuss gehört haben", munkelt man und ist aber geneigt, die Behauptung nicht sofort als Schmarrn abzutun. Sagt oder schreibt man dagegen "Sie will einen Schuss gehört haben", bedeutet das in der objektivsten Lesart: "Sie behauptet, einen Schuss gehört zu haben." Mehr noch: Sie behauptet das nicht nur, sie ist auch nicht nur überzeugt davon, sie wünscht sich, dass es wahr sei. Man kann sich richtig vorstellen, wie jemand, der einen Satz wie "Sie will einen Schuss gehört haben" in die Tasten haut, dabei mit den Augen rollt. 
Für mich sind solche Formulierungen ein Indikator für schlechten und tendenziösen Journalismus. Gerade im Zusammenhang mit Zeugenaussagen muten will-Sätze geradezu höhnisch an: Der Subtext eines Satzes wie "Er will von einer Straßenbande überfallen worden sein" lautet "Ja ja, das hätte er wohl gerne!", indes man annehmen darf, dass derlei garantiert keiner will.
Das waren ein paar ungeordnete und gewiss unpräzise Überlegungen von mir zu einem spannenden Thema, über das ich leider keine Aufsätze und sonstigen Texte bei Google Books finden konnte, da ich nicht einmal weiß, ob es einen Namen für das gibt, wonach ich suche. Falls jemand entsprechende Literatur kennt (gerne auch nicht-digital), bin ich dankbar für Tipps.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen