Dienstag, 7. Mai 2019

Ich habe Victoria Jacksons Autobiografie gelesen, damit ihr es nicht müsst

Victoria Jackson (*1959) war von 1986 bis 1992 Teil des Ensembles von "Saturday Night Live" und übernahm dort regelmäßig die Rolle dessen, was man im amerikanischen Englisch bimbo oder ditz nennt, also dem blonden Dummchen, wie man es heutzutage zum Glück kaum noch in Comedyshows zu sehen bekommt. Mit ihrem Look sowie einer kindlich-naiven Quakstimme war sie prädestiniert dazu bzw. wurde halt type-gecasted, wobei sie auch über hohes akrobatisches Geschick und musikalisches Talent verfügt(e), so dass sie regelmäßig Ukulele spielend oder radschlagend auf der Bühne glänzte. Johnny Carson war ein Fan von ihr, 20 Mal war sie in seiner Late-Night-Show zu Gast.

Weil ihre Karriere in der Unterhaltungsbranche nach 1992, wie bei so vielen SNL-Alumni, nicht so recht Fahrt aufnehmen wollte, begann sie sich allmählich auf ungute Art zu politisieren und wurde Anfang der Zehnerjahre zu einem der prominenteren Gesichter der Tea-Party-Bewegung. Über diesen Werdegang hat sie 2012 ein Buch geschrieben ("Is My Bow Too Big?"), welches ich vor kurzem endlich ausgelesen habe. Ich lese grundsätzlich alle Biografien aus dem "Saturday Night Live"-Umfeld, und diese Geschichte interessierte mich ganz besonders, denn ich finde es zu gleichen Teilen spannend und unbegreiflich, wenn jemand peu à peu ideologisch "abdriftet". Beispiel Dennis Miller: War der Comedian in seiner Zeit als "Weekend Update"-Anchor noch keinem konkreten Spektrum zuzuordnen, begriff er sich nach 9/11 plötzlich als konservativer Patriot und ging die Jahre darauf schließlich full FOX News mindset.

Auch bei Victoria Jackson war dieses zweifellos traumatische Datum offensichtlich ein Erweckungserlebnis. Jedoch scheint mir in diesem speziellen Fall die Veranlagung zum Rechtsruck noch tiefer zu liegen, nämlich in einer von früh an verabreichten Überdosis Religion. Die Jacksons waren strenge Baptisten, und weil das Familienleben im Wesentlichen harmonisch ablief und kaum Anlässe bot, die diversen schrägen Dogmen infrage zu stellen, hat sich Victoria nie davon emanzipiert. Im Gegenteil: Bibelcollege und selbstauferlegte "Reinheit" bis in die wilde New Yorker Ära hinein waren logische Folgen. Und noch die übelsten fundamental-christlichen Urteile (Abtreibung ist Mord! Homosexuelle kommen in die Hölle!) galten ihr als unanfechtbar. Dann kam der 44. Präsident der Vereinigten Staaten und das Fass lief über. Bereitwillig ließ sie sich in die Verschwörungs- und Hetz-Maschinerie der far-right einspannen: Selbstverständlich zweifelt sie Obamas Staatsbürgerschaft an, die Vorbereitung eines muslimisch-kommunistischen Umsturzes wirft sie ihm vor, nicht weniger als Jesu erneute Ermordung befürchtet sie von der "liberalen Elite". "Socialist agenda" und "anti-American ideology" sind weitere gern verwendete Schlagwörter. Dass Andrew Breitbart (in dessen Haus sie sogar übernachten durfte) seine Anhänger anhielt, Obama lediglich als "Kulturmarxisten" zu titulieren, nimmt sie immerhin zur Kenntnis, verwendet aber mehrfach und allen Ernstes das Wort jihadist. Klar, in diesem Dunstkreis gelten ja schon Bernie und Ocasio-Cortez als Ultrastalinisten, weil sie stinknormale sozialdemokratische Visionen wie das Recht auf kostenlose Ausbildung und Gesundheitsversorgung haben.

Entsprechend zermürbend und enervierend gestaltet sich die Lektüre, und einzig die Passagen über die Welt des Showbiz haben mich bei der Stange gehalten. Fast schon schade ist zudem, dass das Buch mitten in Obamas erster Amtszeit endet. Ich wüsste gern, was Frau Jackson von Donald Trumps Wahlsieg 2016 und den Folgen gehalten hat. Ist für sie der Messias gekommen? Findet sie, dass seitdem alles in ihrem Sinne läuft? Oder dass im Gegenteil alles nur noch schlimmer geworden sei, weil in Wahrheit linke Massenmedien die Fäden ziehen? Vielleicht hat sie sich ja in einer ihrer Glossen dazu geäußert, die auch noch zu lesen mir aber die Kraft fehlt. 2017 hat sie sich zumindest – Quelle: Wikipedia – via öffentlicher Ankündigung endgültig aus der Politik zurückgezogen ("The article blamed her politics for her lack of career success"). Man wünscht ihr Glück.

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