Dienstag, 15. Oktober 2019

Mit Kanones auf Spatzen schießen

Pünktlich zum Beginn der Frankfurter Buchmesse möchte ich ehrlich und ohne Scham gestehen, dass ich aus Denis Schecks Literaturkanon ("Die Scheck-Liste", einsehbar und kommentiert im aktuellen Stern) nur drei Dinge gelesen habe. Ich schreibe bewusst "Dinge" und nicht "Bücher", weil auch ein Gedicht darunter ist. Hinzu kommen ein abgebrochenes, zwei pausierte und drei lediglich in Auszügen studierte Werke.
Man kann über Sinn und Unsinn eines solchen Lesekanons streiten. Wenn es heißt, dies und jenes müsse man gelesen haben, weil man es halt gelesen haben muss, habe ich in der Regel gleich viel weniger Lust auf die Lektüre. Das erinnert mich nämlich an Schule (XYZ muss man lesen, weil es Prüfungsstoff ist) und hat gleichzeitig etwas von alberner Distinktion (Stichwort Bourdieu, "Die feinen Unterschiede" (muss man gelesen haben! (ich hab's nicht gelesen))): Lesen als Abgrenzung, Kenntnis von Literatur, damit man einem speziellen Zirkel angehören darf.
Im Gegensatz zu Marcel Reich-Ranickis berühmtem Kanon scheint mir der Scheck'sche aber tatsächlich mehr leidenschaftliche Empfehlung denn bildungsbürgerliche Direktive zu sein, was ich daran festmache, dass unter den 100 Items auch Modernes, Kindliches, Abseitiges ist. Da will jemand aufrichtig Neugier aufs und Freude am Lesen machen. Und darauf kommt's doch an. Kurzum: Nicht schämen, wenn man was nicht kennt! Auch wenn ich in Sachen Weltliteratur nicht mitreden kann, meine ich doch, dass die Hunderten (Tausenden?) Titel, die ich konsumiert habe, mir in hinreichendem Maße Wissen vermittelt und den Verstand geschärft haben. Ich glaube jedenfalls nicht, dass mich ein Schnarchschmöker wie "Frau Jenny Treibel" zu einem interessanteren Gesprächspartner gemacht hätte.

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