Montag, 13. Juni 2022

God Save the Bean

International hat die Küche des Vereinigten Königreiches keinen guten Ruf, ja als nahezu ungenießbar gilt alles, was von dort kommt; ein Klischee, das wie so viele Klischees vorrangig auf Unwissenheit gründet. Auch ich hätte noch vor einigen Jahren keine fünf "typisch britischen" Mahlzeiten aufzählen können. Fragt man jemanden nach dem britischen Nationalgericht, wird man am ehesten wahlweise "Chicken Tikka Masala" oder "Fish and Chips" zur Antwort erhalten. Mit Letzterem kommt man dem Wesen der traditionellen UK-Gastronomie schon näher als mit der zwar vielfältigen und gediegenen, aber eben nur importierten "Ostindien"-Speisekarte. Denn soweit ich als Laien-Foodologe das beurteilen kann, lässt sich jenes Wesen ur-britischer Gerichte, die oft in der working class ihre Wurzeln haben, auf die Formel "Fleisch + Fett + kohlenhydratreiche Beilage" herunterbrechen. Trocken hat's der Engländer (pars pro toto) dabei nicht gern: Was Bratöl oder Nierenfett nicht mushy genug gemacht hat, wird in dicker Soße ertränkt oder – da sind wir wieder bei Fish'n'Chips – großzügig mit condiments wie Essig oder HP Sauce übergossen.

In der Serie "15 Storeys High" hörte ich letztens von Toad in the hole, also "Kröte im Loch". Bei diesem so herz- wie nahrhaften Mahl handelt es sich um Würstchen, die in einem Yorkshire-pudding-Teig im Ofen gebacken und gerne mit Zwiebelsoße serviert werden. Wann immer der Name einer solchen Spezialität fällt, sei es in TV-Serien, Filmen oder Büchern, muss ich in Erfahrung bringen, was es damit auf sich hat. Die Faszination ist noch nicht so groß, dass ich versuchen würde, einzelne Gerichte nachzukochen (immerhin an Welsh Rarebit sowie einen Gemüse-Stew habe ich mich schon gewagt), aber meine Sympathie für die britische Küche steigt von Ma(h)l zu Ma(h)l. Ein paar Beispiele:

  • Bangers and mash: Würstchen, Kartoffelbrei, Soße, Erbsen
  • Steak and kidney pudding: Steak und Nieren in einem Teigmantel auf Lammnierenfett- oder Rindertalg-Basis. Die Füllung kann auch variieren, wie es überhaupt von jedem Rezept eine Handvoll Variationen gibt – der Spielraum in der Zubereitung scheint nach der Fleischhaltigkeit das Top-Charakteristikum der cuisine Großbritanniens zu sein.
  • Bubble and squeak: ein ausnahmsweise fleischloses (Reste-)Essen, ein Kartoffel-Kohl-Stampf, in reichlich Butter gebraten
  • Cottage pie: Hackfleisch in Soße, unter Kartoffelbrei gebacken. Auch hier gibt es Varianten, für einen Shepherd's pie etwa nimmt man Lamm statt Rind, und auf die mashed potatoes kann man noch Parmesan streuen.
Pies gibt es mit allen möglichen Füllungen. Als ich 2003 mein Work&Travel-Halbjahr in Neuseeland begann, habe ich wochenlang nichts anderes als Mikrowellen-Pie gegessen (wie etliche Gerichte aus dem Mutterland sind Pies in alle Ecken des Commonwealth gewandert), denn die waren billig, verzehrfertig, sättigend sowie – bevor sie mir zum Hals raushingen – abwechslungsreich und lecker.

Die Maßlosigkeit im Umgang mit Fett, die allgemeine "Grobheit", die Verarbeitung "ungewöhnlicher" Tierteile und die mitunter unappetitlich-lachhaften Namen (Anyone for Spotted dick?) mögen die britische Küche auf "uns" befremdlich wirken lassen. Well, mir erschließt sie sich allmählich. Apropos Spotted dick: Wir haben noch gar nicht über die bunte Welt der Kuchen, Süßspeisen und Desserts gesprochen. Machen wir jetzt auch nicht, denn es würde gar zu weit führen, allein die diversen Sorten von pudding zu behandeln, ein Wort, das zehntausend Bedeutungen zu haben scheint. (Dass ein "Pudding", s.o., etwas Herzhaftes sein kann, war auch so etwas, das ich erst in Neuseeland gelernt habe: "Was zur Hölle ist Blutpudding???") Zu reden wäre ferner über kalte Mahlzeiten wie Jellied eels (Aal in Aspik) oder den Ploughman's lunch. Für heute belassen wir es dabei, Pub grubs & Co. für ihre Bodenständigkeit und Reichhaltigkeit zu würdigen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen