Samstag, 13. April 2024

Motordroschken und Nächstenliebe

Die Leute werden immer ruppiger, rüpelhafter, rotziger, behandeln einander ohne Rücksicht und Respekt? Hilfsbereitschaft ist ein Fremdwort geworden? "We live in a society!" Ach, na ja. Hin und wieder erlebe ich, wie selbst Großstadtmenschen geradezu rührende Nettigkeit und Fürsorge an den Tag legen. Einmal wurde ich mitten in der Nacht Zeuge, wie ein ungesund alkoholisierter Fahrradfahrer auf den Asphalt stürzte, und binnen Sekunden waren gleich drei Personen (darunter ich) zur Stelle, dem desorientierten, aber unversehrten Mann auf die Beine zu helfen.

Von drei Fällen unerwarteten Entgegenkommens, die mir selbst widerfuhren, möchte ich erzählen: Bemerkenswerterweise hatten sie alle drei mit Taxis zu tun.

1.) Nach einer Ausstellungseröffnung im Frankfurter Caricatura-Museum mit anschließendem Abhängen (i.S.v. geselligem Beisammensein, nicht Herunternehmen von Gemälden) war es sehr spät geworden. Ich lallte in die Runde: "Mist, jetzt fährt keine U-Bahn mehr, und ich habe kein Geld für ein Taxi dabei." (Das war in einer Zeit, bevor sich Kreditkarten und Apps als alternative Zahlungsmittel in Taxis durchsetzten.) "Muss ich halt laufen." Da steckte mir der anwesende Kabarettist Wilfried Schmickler einen 20-Euro-Schein zu und beschwor mich, ein Taxi zu rufen. Einfach so! Leicht beschämt, aber dankbar nahm ich die Spende an und gönnte mir eine komfortable Heimfahrt.

2.) Ebenfalls in Frankfurt am Main und ebenfalls zu später Stunde musste ich nach einer Pen-&-Paper-Session vom in jeder Hinsicht abgehängten Stadtteil Fechenheim nach Bockenheim kommen und hatte die Wahl zwischen einem zweistündigen "Spaziergang" und einer Taxifahrt. Für letztere Option entschied ich mich. Ich war noch etwa einen Kilometer von meinem Zuhause entfernt, als ich mit bangem Blick aufs Taxameter extrapolierte, dass mein Portemonnaie-Inhalt nicht bis zum Ziel reichen würde. (Nicht genügend Bargeld bei mir zu führen ist eine leidige Konstante in meinem Leben.) "Können Sie mich schon hier rauslassen? Den Rest gehe ich zu Fuß", bedeutete ich dem Fahrer. Der entgegnete im sanftesten, verständnisvollsten Tonfall: "Aaaach, das passt schon. Es ist ja nicht mehr weit. Außerdem wurden neulich erst die Tarife erhöht, da müssen sich die Kunden erst mal dran gewöhnen." Und chauffierte mich bis zur Haustür.

3.) Auf der koreanischen Insel Jeju war ich darauf angewiesen, dass mich ein möglichst schnelles Fahrzeug von meinem Hotel zum Airport bringen würde, wo ich meinen Rückflug nach Seoul anzutreten hatte. Es war früh am Morgen, auf den Straßen so gut wie nix los. An der Straßenseite, wo ich auf ein zufällig nahendes Taxi hoffte, stand etwa hundert Meter entgegen der Verkehrsflussrichtung eine junge Geschäftsreisende, die offensichtlich auch auf ein Taxi wartete. 'Wenn jetzt eins vorbeifährt, schnappt sie sich das, und wer weiß, wann das nächste kommt', dachte ich, der ich unter einigem Zeitdruck stand. (Warum hatte ich nicht am Vorabend die Rezeption konsultiert?) Da fasste ich mir ein Herz und sprach die Frau an: Ob wir das nächste Taxi gemeinsam nehmen und uns die Kosten teilen wollen? Sie tippte etwas in ihr Smartphone und zeigte es mir: "We share a cab and split fare?" – "Yes!", nickte ich begeistert. Als endlich ein Taxi anhielt, stiegen wir beide ein, die Einheimische übernahm die Kommunikation, und wir wurden zum Flughafen gebracht. Ich zückte meine Geldbörse, um die Hälfte des angezeigten Endpreises in den Hut zu werfen, doch meine temporäre Gefährtin – zahlte alles! Ich erinnerte sie an unseren Deal, doch sie bestand darauf, die volle Summe zu übernehmen.

Soeben fällt mir ein, dass ich auch schon mal – 2011 muss es gewesen sein – eine mir fremde Person nach einer Party in "meinem" Taxi mitgenommen und auf das Einfordern finanzieller Beteiligung verzichtet habe. Taxis: Sie erden uns, sie kitzeln das Humane aus uns hervor.

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