Dienstag, 19. Juli 2016

Ich denke, also bin ich

Sprachkritiker wie Bastian Sick (um den es zuletzt erfreulich ruhig geworden ist) oder auch Quatschseiten wie die Huffington Post ("Es gibt 5 nervige Anglizismen, die Sie wahrscheinlich auch verwenden - ohne es zu merken") monieren den angeblich inflationären Gebrauch der Phrase "Ich denke, ...". Sie behaupten, das sei eine faule Übernahme des englischen "I think". Es kann natürlich sein, dass sich "Ich denke" in den letzten zwei Jahrzehnten etwas stärker verbreitet hat; ich bin indes kein Korpuslinguist, und mir fehlen die entsprechenden Data-Mining-Tools, um diese Vermutung zu bestätigen. Meine These ist die: Früher, als der Mensch noch bescheidener war als heute, bevorzugte er mehr unpersönliche Wendungen, vgl. etwa "mich friert", "mich dürstet" und eben auch "mich dünkt" (wobei denken und dünken zwei zwar verwandte, aber eigenständige Verben sind). Im Englischen war's ähnlich, siehe methinks. Als wir mehr und mehr ich-bezogen wurden, gaben wir der persönlichen Form mit denken den Vorzug. Das geschah aber gewiss nicht unter dem Einfluss der bösen englischen Sprache im ausgehenden 20. Jahrhundert. Bei den Grimms findet sich ein viel älteres Beispiel: "Ich denke, das ist nur ein Trost, den ein geiziger Vater oder Mutter für ihre Kinder erdacht haben" (C.F. Gellert), und für die Bedeutung von denken "in der Erwartung leben" führen sie den Beispielsatz "Ich denke, das Unternehmen gelingt." an. Sogar bei Goethe heißt es in einem Brief: "[...] ich denke daß Sie es in zehen Tagen lesen werden". Goethe! Ich denke also, man darf ruhig mal etwas "denken" statt immer nur Dinge zu "glauben" oder zu "finden".

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