Dienstag, 11. Oktober 2016

Nüsschen und Oppel

Die alte Bundesrepublik! Deren Geist wird nirgendwo mehr geatmet, ist unwiederbringlich erloschen. Die Zeiten, als man immer die gute Fischli-Knabbergebäckmischung im Keller hatte und den doofen Nachbarn als "Kamel" beschimpft hat. Als man mit hochgekrempelten Ärmeln bei Siemens oder Volkswagen eine Lehre gemacht hat, und dann wurde man übernommen und hat vierzig Jahre lang dort malocht, erst als einfache Fließbandkraft, dann als Vorarbeiter mit 'nem Posten in der Gewerkschaft, am Ende als Abteilungsleiter mit eigenem Büro. Zum Abschied gab es eine goldene Armbanduhr, und in der Einfamilienhausgarage standen zwei Mittelklassewagen, dabei hatte man ganz bescheiden mit einem gebrauchten Polo angefangen. Die Kinder waren aus dem Haus, dem Ältesten hatte der Papa eine Stelle im Betrieb verschafft, die Tochter machte Interrail durch Spanien, ein Geschenk zum Abi. Im Sommer ging es an den Gardasee oder nach Bregenz oder ans Kattegat, am Wochenende auf Schalke. Currywurst, Pilsken, Canapés, Mettigel, kein Schnickschnack. Eine bunte Samstagabendshow im Nordmende- oder Blaupunkt-Fernseher, gespielter Witz. Hörzu-Abo, Aufsitzmäher, Makramee-Eulen. Im ganzen Viertel gab es exakt einen Italiener, der hat auch mal schwarz das Esszimmer neu vertäfelt. Es gab CDU- und SPD-Familien, und man war entweder katholisch oder evangelisch. Zu Weihnachten hat man die Schwiegermutter (den Drachen!) aus dem Heim geholt und dann das Fondueset aus dem Küchenschrank, Eiche rustikal. Der aufgesetzte Kirschlikör wurde in besondere Kristallgläschen gekippt, und dann wurden auf dem Diaprojektor Bilder von Opas Kameradentreffen angekuckt.

Gott sei Dank habe ich diese Ära nie miterleben müssen!

2 Kommentare:

  1. Stört sich außer mir noch jemand an der Stelle "dem Ältesten hatte der Papa eine Stelle im Betrieb versorgt"? Oder habe ich ein hypersensibles Sprachempfinden? Als Lektor dieses Blogs würde ich die obige Stelle jedenfalls anstreichen. Auch wenn es "nur" im Internet erscheint.
    Ich werde weitere Petitessen dieser Art sammeln und gelegentlich in meinem Watchblog veröffentlichen.

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  2. Danke für Ihren Kommentar. Tatsächlich ist "jemandem etw. versorgen" nicht dudenkonform, dem Autor aber schon mehrmals als mundartliche Wendung aufgefallen. Der obige Gebrauch sollte Authentizität herstellen. Nun gut, ich korrigiere es.

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