Montag, 21. März 2022

TschüssiVZ!

Das soziale Netzwerk StudiVZ ist endgültig Geschichte, bis zum Monatsschluss werden alle verbliebenen Userkonten gelöscht. "In E-Mails an registrierte Nutzerinnen und Nutzer der einstigen Facebook-Konkurrenten schreibt die Betreiberfirma Poolworks, die Netzwerke seien nach mehr als 16 beziehungsweise 14 Jahren 'technisch so veraltet, dass ein Weiterbetrieb keinen Sinn macht'", meldet "Spiegel online". Ich habe so eine Mail nicht erhalten, aber ich könnte auch nicht einmal sagen, ob mein Account noch besteht oder wann ich mich zum letzten Mal eingeloggt habe, denn scheintot ist StudiVZ nun schon seit mindestens zehn Jahren. 

Von 2006 bis etwa 2010 war ich dort allerdings sehr aktiv und hatte viel Freude daran, mehr als später mit Facebook, wo ich heute praktisch auch nichts mehr mache (kürzlich habe ich sogar die Facebook-App vom Handy geworfen). Hach, gerade werde ich ein wenig nostalgisch. Eine Suche in meinem Blog-Archiv offenbart, dass StudiVZ bisher immerhin drei Mal auf Kybersetzung erwähnt wurde, noch öfter auf dem längst gelöschten Vorgänger. Hier zwei aufschlussreiche Beiträge aus der Hoch-Zeit der Online-Community:

10.05.2007
Zeige mir deine Gruppen und ich sage dir, wer du bist

Das StudiVZ ist schon eine feine Sache bzw. ein nutzloses Spionage-Netzwerk. Man lernt dabei Menschen kennen, die man nienienie kennen lernen wollen würde. Eine Studentin aus Innsbruck sah sich neulich meine Seite an, also warf ich auch einen Blick auf ihr Profil. Anhand ihrer Zugehörigkeit zu den Gruppen "Ja zur Todesstrafe", "Mir stinken die Linken!", "Ich bin kein Klugscheißer, ich weiß es wirklich besser!", "Nur weil ich gut aussehe werde ich für arrogant gehalten", "Ich habe Strache die 3 Bier gebracht!", "Nicht alle Männer sind Idioten. Einige sind Vollidioten", "Wenn ich könnte, würde ich mit dem Auto zum Klo fahren" und "Tu was für DEIN IMAGE - lass dich MIT MIR sehen!" weiß ich, dass ich mit diesem Subjekt nicht mal eine Minute im selben Raum verbringen mag - ein Urteil, das zu fällen im Real Life viel länger dauern würde! Wenn man wie genannter Unmensch Mitglied der Gruppe "Alle meine Gruppen werfen genau das richtige Licht auf mich" ist, dann ist das zumindest ein Zeichen von Einsicht.

09.12.2008
Eine unbequeme Wahrheit

Tatsache ist, dass Leute, die in StudiVZ-Gruppen mit der Kernaussage "Ich bin intelligent" oder "Ich hasse dumme Menschen" Mitglied sind, selber nie als besonders klug auffallen. Woran liegt das? Wahrscheinlich wie so oft am Umfeld. Die Leute merken, dass sie irgendwie schlauer sind als ihre peers, und fühlen sich deshalb überlegen. Nüchtern betrachtet sind ihre Freunde und Bekannten einfach nur noch beschränkter. Die StudiVZ-Leute sind solche, die zwar wissen, dass der "Walfisch" kein Fisch ist, aber lassen es unkommentiert im Raum stehen, wenn jemand behauptet, der Hirsch sei der Mann vom Reh. Jetzt wird man einwenden: "Jaaa, der Walfisch ist zwar kein Fisch, sondern ein Sternbild, aber das Schnabeltier ist auch kein Fisch und kein Sternbild." Aber warum sollte das Schnabeltier ein Fisch sein? Das sind doch keine Flossen, die es da hat, sondern Plattfüße, wie man ja schon an dem englischen Wort platypus sieht. Ein seltsames Tier übrigens. Legt es nicht sogar Eier?

Na ja, das lasse ich mal so stehen. In meinen Zwanzigern neigte ich, wie es typisch für dieses Alter ist, dazu, auf gewisse Mitmenschen hinabzusehen. 

Neue Bekannt- oder gar Freundschaften habe ich über StudiVZ nie geschlossen, meine Freundesliste bestand ausschließlich aus Leuten, die ich aus dem echten Leben kannte. Auch bei Facebook habe ich es so gehandhabt: Nur mit Personen verbinden, die mir schon einmal begegnet sind! Interaktionen mit Fremden gab es trotzdem hin und wieder, vor allem über die erwähnten "Gruppen". Gruppen waren das Beste und waren tatsächlich das geeignetste Mittel der Selbstdarstellung, ein Ersatz für verbale Charakterbeschreibung. In mehreren Gruppen war ich sogar Moderator, darunter in einer Anti-Burschenschaftler-Gruppe (was wohl das Politischste war, was ich während meiner gesamten Unizeit gemacht habe), und mindestens zwei habe ich selbst gegründet. Noch aufregender als in Forendiskussionen Antworten oder Erwähnungen zu bekommen war es, wenn man "Besucher" auf der eigenen Profilseite hatte. Das ist es, was ich in dem Eintrag von 2007 mit "... sah sich neulich meine Seite an" meinte. Wie gesagt, tiefergehende Kontakte haben sich durch StudiVZ nie ergeben, aber ich bin dankbar für all die Ablenkung während meines Studiums und für die Möglichkeit, mit meinen mehr oder weniger engen Freunden und Freundinnen rund um die Uhr zu agieren. RIP VZ.

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