Donnerstag, 13. April 2023

Absperren und Schlüssel wegwerfen!!!

Eine üble Eigenschaft des Volkes – "des Pöbels" hätte ich beinahe geschrieben – ist seine ungehemmte Vergeltungsgeilheit: das Schreien nach Ausreizung aller Sanktionsmittel, wo nicht gar sofortigem Erhöhen von Strafandrohungen, sobald ein durch Spektakularität oder Seltenheit herausragendes Verbrechen von sich reden macht. Wobei das Geschrei teilweise schon bei Vergehen anhebt, denn ich beziehe mich nicht nur auf den "Todesstrafe für Kinderschänder!"-Mob, sondern denke beispielhaft an einen Tag im Oktober letzten Jahres, als der Bahnbetrieb im Norden der Bundesrepublik gestört wurde, nachdem Unbekannte, wie es hieß, "Sabotage an Kabeln, die für den Zugverkehr unverzichtbar sind", verübt hatten. Ich bin mir sicher, dass, falls die Täter irgendwann gefasst werden sollten, Stimmen laut würden, man müsse für den § 88 des Strafgesetzbuches umgehend eine nicht zu knappe Mindestfreiheitsstrafe einführen, und, falls den Beschuldigten die verfassungsfeindlichen Absichten ihres Tuns nicht nachzuweisen sind, für den § 315 StGB gleich mit.

Derlei wird man nicht nur in "Klartext"-Gastkommentaren bei den üblichen Hardliner-Gazetten lesen, sondern auch von Politikern hören. Denn die sagen niemals "Wir müssen die Schuldigen mit den angemessenen Mitteln eines Rechtsstaates und unseren so ausreichenden wie funktionierenden Gesetzen behandeln", sondern: "Wir müssen die Schuldigen die volle Härte der Justiz spüren lassen!" War es nicht eine Ministerin links der Mitte, die kürzlich wieder die berüchtigten "Konsequenzen" forderte, aber nicht etwa für Cum-ex-Gauner, sondern für die Aktivismusgruppe "Letzte Generation"?

Über den Spruch "Das muss eine Demokratie aushalten können" macht man sich nur noch lustig, Volksvertreter reden dem von tendenziösen Medien aufgestachelten Volk nach dem Mund, am Ende winkt Haft für Alltagsdelikte wie Sachbeschädigung oder versuchte Nötigung. Ständig soll etwas verschärft werden, ich kann mich nicht erinnern, dass mal jemand die Änderung eines Strafrahmens nach unten angeregt hätte. Herabzusenken ist stattdessen das Strafmündigkeitsalter, zumindest wenn es nach den nicht wenigen Leuten geht, die in den jüngsten aufsehenerregenden Gewaltverbrechen durch unter 14-Jährige einen beunruhigenden Trend sehen, der gestoppt werden muss ("Was früher jugendtypisch ein Kaufhaus-Diebstahl war, das wird heute jugendtypisch ein Tötungsdelikt", so allen Ernstes ein Münchner Rechtsanwalt gegenüber dem Ekelblatt Nr. 1). Klar, wozu überhaupt noch Jugendstrafrecht; urteilen wir doch gleich Kinder wie Erwachsene ab!

Ich sag's, wie's ist: Diese Sehnsucht nach punitivem Exzess und gnadenloser Autorität ist eine Vorstufe von Stammtischparolen à la "Wir brauchen mal wieder einen kleinen Führer, der für Zucht und Ordnung sorgt". Das macht mir Angst.

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