Mittwoch, 21. Mai 2025

Die Schönheit von Sprachunfallprotokollen

Gelegentlich schäme ich mich ein wenig dafür, aber ich habe eine diebische Freude daran, wenn in Literaturkritiken einem Autor / einer Autorin stilistische Fehler, schlechte Recherche und allgemeine Gedankenlosigkeit nachgewiesen werden. Solche Textarbeit ist natürlich im Umfeld der Neuen Frankfurter Schule besonders populär: Stefan Gärtner nimmt sich auf seiner Konkret-Doppelseite "Kunst & Gewerbe" regelmäßig schlechte Schreibe vor, Michael Ziegelwagner hat in mehreren Artikeln seine bejubelte Landsmännin Raphaela Edelbauer – stets auf Grundlage sauberer Zitatlese – abgewatscht, und unvergessen sind Bernd Eilerts Fritz-J.-Raddatz-Erledigungen.

Besonders freue ich mich, wenn sich an einer Stelle, mit der ich nicht gerechnet hätte, an überschätzten Geistesmenschen abgearbeitet wird. Jürgen Kaubes kolumnistische Senge gegen den neuen Kulturstaatsminister Wolfram Weimer (dessen Flitzpiepigkeit Hans Mentz bereits 2012 erkannt hat) ging vor ein paar Wochen viral (hinter der FAZ-Paywall nachzulesen), und heute zauberte mir Juliane Liebert ein breites Grinsen ins Gesicht. Im Süddeutsche-Feuilleton vom 20. Mai ließ sie sich über den neuen Roman des "Wunderkindes" Ocean Vuong wie folgt aus:

Im ersten Kapitel unternimmt Vuong eine literarische Kamerafahrt über Gladness, den Schauplatz des Buches, eine ausgedachte amerikanische Kleinstadt. Das Kapitel ist offenbar dazu zu gedacht, dem Leser die Sprachgewalt Vuongs zu demonstrieren – immerhin ist Vuong ursprünglich Dichter. Aber je heftiger er Sprachgewalt performt, desto unangenehmer wird es.
Da gibt es "Veteranen, die von sämtlichen nur denkbaren Schlachtfeldern nach Hause kommen (...) ehe sie in verqualmte Zimmer zurückschlurfen, wo kleine Fernseher, so groß wie Menschentorsos, sie in Schlaf lullen." Ohne kleinlich zu sein: Welcher kleine Fernseher hat denn bitte die Größe und das Format eines Menschentorsos? Zwei kleine Fernseher nebeneinander könnten Menschentorso-breit sein, oder ein Kindertorso, wenn man gnädig ist. Aber wozu?
Oder: "Am anderen Ende des Grundstücks liegt die vor einer Woche geborgene Abwrackkarre, die Augenhöhle gefüllt mit warmem Coca-Cola, das Werk eines Jungen, der sein Getränk auf dem Heimweg von der Schule aus Langeweile in dieses endlose Dunkel blinder Blicke geschüttet hat." Schmissig, schmissig, aber warum hat das arme Auto nur eine Augenhöhle, warum versickert die Cola darin nicht, und womit haben wir "das endlose Dunkel blinder Blicke" verdient?
Kaum hat man sich von dieser elaborierten Schwülstigkeit erholt, legt Vuong nach: "Trotz dieser Hitze wächst alles Grün, als gelte es, die Winterödnis wiedergutzumachen, üppiges Moos zwischen den hölzernen Schwellen, sodass es bei einem bestimmten Einfallswinkel von sattem Licht wie Algen wirkt, als wäre die Gletscherflut über Nacht wiedergekehrt und wir wären endgültig geworden, was zu werden uns schon immer bestimmt war: biblisch." Im Ernst, biblisch? Das ist prätentiöser Kitsch durch und durch, egal, wie viele Auszeichnungen man draufklebt.
Alles an Ocean Vuongs Sprache ist nicht bloß pathetisch, sondern parfümiert sinnlich, immer drei Stufen zu hoch. Als läge seine Welt zwischen sozialkritischem Melodram und Achtzigerjahre-Erotikfilm. Die Metaphern sind zu 90 Prozent beliebig, knapp dran vorbei, schief zu sein, aber sie haben auch keine semantische Zündkraft.

Hahaha! In derselben Ausgabe gab es übrigens auch eine – leider etwas zahnlose – "Begegnung mit dem Dark Lord des deutschen Debattenzirkus" Ulf Poschardt.

Eine meiner All-time-Lieblingszerpflückungen ist Peter Dierlichs Jungle-World-Beitrag "Zwischen den Mauern des Schluckaufs" aus dem Jahr 2008 über Martin Mosebachs Roman "Ruppertshain". Auch wenn beim digitalen Einpflegen die Formatierungen verloren gegangen sind, d.h. Auszüge nicht kursiv erscheinen, lohnt sich die Lektüre dieses 50.000-Zeichen-Rundumschlags in all seiner Glorie.

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